Raus aus der Baukrise: Energetische Sanierungen als Chance
Deutschland macht Fortschritte: die Treibhausgasemissionen sind 2023 weiter gesunken und sogar das 2030er Zwischenziel erscheint machbar. Weiterhin gegen das geltende Klimaschutzgesetz verstoßen jedoch die Sektoren Verkehr und Gebäude. Eine Studie zeigt auf: Energetische Sanierung kann einen Konjunkturschub in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten bieten.
Das Umweltbundesamt veröffentlicht jährlich Mitte März die Daten zu den deutschen Treibhausgasemissionen des Vorjahres. „Grundsätzlich erfreulich ist, dass die Emissionen 2023 insgesamt deutlich zurückgegangen sind. Damit hält Deutschland sein Klimaziel knapp ein und sogar das Reduktionsziel 2030 rückt in greifbare Nähe“, heißt es von der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND). Zurückzuführen ist dies laut Umweltbundesamt auf einen Mix aus weniger Kohleverstromung, den Ausbau der erneuerbaren Energien und Produktionsrückgänge in der Industrie.
Beim Thema energetische Sanierung muss die gesamte Gebäudehülle, also auch der Austausch von Fenstern, betrachtet werden
Foto: Michaela Podschun
Für eine nachhaltige und wirtschaftlich verträgliche Reduzierung der Emissionen brauche es jedoch signifikante Fortschritte in den Sektoren Verkehr und Gebäude. „Hier wurden zum wiederholten Male die im Klimaschutzgesetz festgelegten zulässigen Emissionsmengen überschritten. Der Gebäudesektor hat nicht viel gerissen. Der Bau steckt in der Krise aufgrund hoher Zinsen, teurem Baugrund und den unbearbeiteten Baugenehmigungen“, fasste Carolin Friedemann, Geschäftsführerin der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND), zusammen.
Die IKND lud zu einem Pressegespräch ein, um die von ihr beauftragte Studie „Raus aus der Baukrise – Energetische Sanierung als branchen-, konjunktur- und energiepolitische Chance“ vorzustellen. „Würde jetzt Sanierung im großen Maßstab angereizt werden, würde das der Bauwirtschaft helfen, Auftragslücken zu überwinden und Arbeitsplätze zu erhalten“, so Carolin Friedemann. Dr. Lukas Meub von der EDIPA GmbH ist Autor der Studie und stellte die Ergebnisse vor. Das EDIPA-Team fokussiert sich auf wissenschaftliche Politikberatung.
Die Chancen energetischer Sanierungen auf einen Blick:
• Win-Win-Chance: Eine Ausweitung energetischer Sanierungsaktivitäten ist eine Win-Win-Chance für Branche, Wirtschaft, Verbraucherinnen und Verbraucher und das Klima.
• Konjunktureller Stabilisator: Energetische Sanierung kann als konjunktureller Stabilisator der Baubranche in einer Phase der Minderauslastung angesehen werden und der Gefahr des langfristigen Abbaus von Arbeitsplätzen entgegenwirken.
• Vielversprechendes Zeitfenster: Gleichzeitig bietet die seit mehreren Jahren erstmalige Unterauslastung der Unternehmen ein vielversprechendes Zeitfenster für einen Ausbau der Sanierungsquote ohne hohe Preissteigerungen.
Die Ausgangslage: weniger Neubau, mehr Sanierungsnachfrage
In der energetischen Sanierung steckt viel Potenzial. Regierungsschef im Norden versuchen, die Baukosten durch reduzierte Baustandards zu senken
Foto: Francesco Ungaro / Pexels
Aufgrund der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage werden heute deutlich weniger neue Gebäude errichtet als noch vor einigen Jahren. Das Bauhauptgewerbe, dem unter anderem Maurerinnen und Maurer sowie Betonbauerinnen und Betonbauer, Tischlerinnen und Tischler sowie Dachdeckerinnen und Dachdecker angehören, hat im Jahresvergleich zwischen dem zweiten Quartal 2023 und dem zweiten Quartal 2022 preisbereinigt 3,4 Prozent weniger Umsatz verzeichnet. Bedingt war dies vor allem durch den nachlassenden Wohnungsbau. Aufgrund sich leerender Auftragsbücher im Neubaugewerbe warnte der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) 2023 bereits vor weiteren Auswirkungen auf die deutsche Gesamtwirtschaft und forderte einen „Baukrisengipfel für Maßnahmen zur Bausektor-Stabilisierung“.
Ein zentraler Schlüssel bei der energetischen Sanierung sind die Fachkräfte. Laut Studie halten die Bauunternehmen in Deutschland derzeit ein relativ großes Arbeitskräftepotenzial vor, das für zusätzliche Bauprojekte im Bereich der energetischen Sanierung eingesetzt werden könnte. Beispiel: Geht man von einer Sanierungsquote von 4 Prozent aus, braucht man 60 Prozent mehr Fachkräfte. Die tatsächliche Entwicklung werde sich wahrscheinlich zwischen den beiden Eckpunkten 2 Prozent und 4 Prozent bewegen, heißt es.
Mehr Fachkräfte in die Sanierung verschieben
Eine Verlagerung der Beschäftigten vom Bereich Neubau- und Bestandsmaßnahmen hin zur Sanierung ist der Schlüssel, um die Klimaziele zu erreichen
Foto: Michaela Podschun
Im Jahr 2020 arbeiteten insgesamt rund 2,35 Millionen Menschen in der Branche. Davon sind etwa 401.000 in der Sanierung, 750.000 im Neubau und 1,03 Millionen in Bestandsmaßnahmen tätig, während der Rest in anderen Maßnahmen beschäftigt ist. Diese Zahlen verschieben sich deutlich, wenn eine Sanierungsquote von vier Prozent innerhalb von zehn Jahren realisiert würde. In diesem Fall würden im Neubausektor noch 160.000 Beschäftigte arbeiten und rund 485.000 in Bestandsmaßnahmen tätig sein. Das Volumen an Sanierungsarbeiten würde etwa 1,85 Millionen Beschäftigte binden – und damit mehr als die Hälfte von dann insgesamt 2,73 Millionen in der Branche.
In der Studie wird deutlich, dass eine Sanierungsquote von zwei Prozent und der damit verbundene Bedarf an Beschäftigten im Baugewerbe eine Verlagerung der Beschäftigten von etwa 20 Prozent vom Bereich Neubau- und Bestandsmaßnahmen zur Sanierung bedeuten würde - wenn die Anzahl der Beschäftigten im Baugewerbe nicht über das bisherige Wachstum hinaus erhöht wird. Wenn hingegen eine Reduktion im Bereich Neubau- und Bestandsmaßnahmen vermieden werden soll, müsste die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Baugewerbe um etwa 15 Prozent erhöht werden.
ZDH: Gesamte Gebäudehülle betrachten
Dr. Constantin Terton, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), begrüßte die Analyse: „Denn sie macht deutlich, dass wir nicht nur über das Thema Heizung sprechen dürfen. Um klimaneutral zu werden, muss die gesamte Gebäudehülle betrachtet werden.“ Das Handwerk bietet dazu sehr gute Karrierechancen. Junge Leute müssen stärker angesprochen werden, sich für Bau und Handwerk zu interessieren. Verschiebe man vorhandene Fachkräfte stärker in den Bereich der energetischen Sanierung, müsse dies auch unbürokratisch möglich sein. Constantin Terton sprach die „Kollegenhilfe“ und die „Arbeitsnehmer-Überlassung“ an. Beide Instrumente müssten juristisch so geschärft werden, dass klar werde, unter welchen Bedingungen Betriebe sich Personal „überlassen“ könnten.
Zudem sollte man aufpassen, den Neubau nicht ganz abzuschreiben. Die Politik müsse für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Dazu gehöre eine Info-Kampagne. „Jedem Hausbesitzer muss klar sein, wieviel Geld er einspart, wenn er energetisch saniert. Die Wärmepumpe ist aber kein Allheilmittel“, sagte er. Der Kunde müsse gemeinsam mit Handwerkern und Energieberater das individuelle Konzept erarbeiten.
Bauindustrie will keine Sanierungspflicht
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie fordert die Bundesregierung auf, die Umsetzung der Gebäuderichtlinie anzugehen und einen verlässlichen Rahmen bereitstellen, der sowohl die Kleinteiligkeit und Undurchsichtigkeit der Förderlandschaft korrigiert als auch vermeidet, dass „wir auf nationaler Ebene eine Debatte über überambitionierte Mindestziele führen und damit die Sanierungspflicht durch die Hintertür wieder Einzug hält“, wie es Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Bauindustrie formuliert. „Dies schreckt Investoren ab, lässt Eigentümer hilflos zurück und führt dazu, dass die Sanierungstätigkeit weiter zurückgeht. Sonst stehen die Arbeitsplätze, die nun in der Baukrise abgebaut werden, für zukünftige Aufgaben in der Sanierung nicht mehr zur Verfügung.“ (bhw/ela)
Die komplette Studie kann heruntergeladen werden unter:
initiative-klimaneutral.de/publikationen/raus-aus-der-baukrise
Baukosten senken durch reduzierte Baustandards
Der IVD Nord begrüßt die Initiative der Regierungschefs im Norden, die Baukosten durch reduzierte Baustandards zu senken. Carl-Christian Franzen, stellvertretender Vorsitzender des IVD Nord in Hamburg: „Wie das aktuelle Gutachten der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. (Arge) gezeigt hat, sind die Baukosten in Hamburg besonders in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Wir sehen deswegen die Ankündigung von Hamburgs Erstem Bürgermeister, Peter Tschentscher, und dem Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten, Daniel Günther, die Baustandards zu senken, sehr positiv.“
Der IVD Nord betont, dass besonders beim Ausbau, der Nachverdichtung und dem Dachgeschossausbau Regularien auf den Prüfstand gestellt werden müssen, um hier dringend benötigten Wohnraum zu entwickeln und zudem der Pleitewelle im Baugewerbe entgegenzutreten
Franzen schlägt vor, die Idee des reduzierten Steuersatzes, der für lebensnotwendige Grundbedürfnisse wie Lebensmittel gilt, auch auf den Bereich des Wohnens auszudehnen, denn Wohnen ist ebenso ein essenzielles Grundbedürfnis: „Eine solche Maßnahme könnte nicht nur als Initialzündung für den Wohnungsbau dienen, sondern auch unmittelbare Erleichterungen für Mieter im Bereich der Heiz- und Betriebskosten erwirken.“
Der IVD ist die Berufsorganisation und Interessensvertretung der Beratungs- und Dienstleistungsberufe in der Immobilienwirtschaft.