Umnutzung eines Heizkraftwerks in München für Musik, Kunst und Gastronomie
Im Münchner Stadtteil Aubing baute das Architekturbüro Stenger2 ein ehemaliges Heizkraftwerk der Bahn zu einem Ort für Musik, Kunst und Gastronomie um. Im Zuge dieser Umnutzung wurde das in den 1950er Jahren fertiggestellte Gebäude auch um einen viergeschossigen Neubau erweitert.
Wer jemals in der 24 m hohen Halle des neuen Kulturmagneten im Münchner Stadtteil Aubing stand, versteht, dass man diesen Ort unbedingt weiter als Kraftwerk bezeichnen muss. Dieser Raum hat „Power“ durch seine Größe, seine Oberflächen, seine Einbauten, auch wenn hier heute keine Heizenergie mehr produziert wird. Dem Architekturbüro Stenger2 aus München ist es gelungen, mit einer Vielzahl von Fachplanerinnen und Fachplanern sowie Gewerken, die Atmosphäre des ehemaligen Heizwerks als Impulsgeber und Energieerzeuger zu erhalten und sie gleichzeitig an unterschiedliche kulturelle Nutzungen anzupassen – ein kleiner Geniestreich.
Auch wenn der Bau in den 1950er Jahren fertiggestellt wurde, erkennt man deutlich die Entwurfsidee der 1920er Jahre
Foto: Sascha Kletzsch
In dem Bestandsgebäude am nordöstlichen Stadtrand von München sind heute neben Ausstellungsräumen der Galerie Johan König vielfältige gastronomische Angebote untergebracht. Zudem fungiert die Halle an sich als Ort für Konzerte und andere Events mit einer erstaunlich guten Akustik! Ergänzt wurde der Altbau zudem durch einen viergeschossigen Neubau, in dem unter anderem ein für knapp 500 Personen ausgelegter Konzertsaal sowie weitere Veranstaltungsräume untergebracht sind. Aber wie kam es überhaupt zu dieser Transformation?
Wie entstand die Idee, aus einem stillgelegten Heizwerk am Rande der Metropole, in einem Stadtteil mit dörflichem Ortskern und geringer Dichte an Bewohnerinnen und Bewohnern, einen Ort für Kultur und Veranstaltungen zu schaffen? „Blickt man aus der Mitte Münchens zum Bergson, steht es in der städtischen Peripherie, aber in Wirklichkeit liegt das Bergson längst im Zentrum der Münchner Metropolregion, zwischen Augsburg und Rosenheim, Landsberg und Landshut“, betont der Architekt Markus Stenger. „Viele meiden heute bereits den aufwendigen Weg in die dichte Innenstadt und freuen sich über das gut erreichbare Kulturangebot des Bergson am Rande Münchens.“
Der Bestand und seine Geschichte
Die Geschichte des Gebäudes selbst begann in den 1920er Jahren, als es von einem unbekannten Architekten entworfen wurde. Umgesetzt wurde der Bau dann erst zu Beginn der 1940er Jahre im Zuge der Idee der Nationalsozialisten, den Münchner Hauptbahnhof nach Laim zu verlegen. Kriegsbedingt konnte der Bau aber nicht abgeschlossen werden. Erst in den 1950er Jahren wurde er provisorisch fertiggestellt und von 1955 bis 1988 als Heizwerk von der Deutschen Bahn genutzt. Zwischen der Stilllegung und dem Kauf durch die Allguth GmbH 2005 fungierte der Ort als Lost Place und Aneignungsstätte suburbaner Jugendkultur.
Der beinahe sakral wirkende Raum der Kesselhalle wurde lange als Aneignungsstätte suburbaner Jugendkultur genutzt
Foto: Sascha Kletzsch
Die Inhaber der Allguth GmbH hatten zunächst die Idee, ihren Firmensitz in den 25 m hohen Ziegelbau mit den markanten vertikalen Fensterbändern zu verlegen. Dann gab es den Gedanken, an dieser Stelle für die Zeit der Gasteig-Sanierung ein Ausweichquartier für die Münchner Philharmoniker zu schaffen. Auch wenn diese Idee nicht umgesetzt wurde, blieb der Wunsch, hier einen Ort der Kunst und der Kultur zu errichten, dessen Anziehungskraft groß genug ist, um die Stadtrandlage auszugleichen. 2007 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. 2015 schließlich, also 10 Jahre nach dem Kauf, begann das Architekturbüro Stenger2 mit der Planung und 2021 mit dem Umbau. Im Oktober vergangenen Jahres wurde im „Bergson Kunstkraftwerk“ dann die große Eröffnung gefeiert.
Konstruktive Herausforderungen
Was genau war nun die bauliche Grundlage für die Vision eines Kulturkraftwerks? Wenn man die Frage wörtlich nimmt, war die bauliche Grundlage in Form von Fundamenten und Bodenplatte sehr gut! „Die 2 m dicke Bodenplatte, auf der die alten Heizkessel gestanden hatten, war für entsprechend hohe Lasten ausgelegt“, erklärt Tragwerksplaner Thomas Gallinger aus dem Ingenieurbüro Aster, das für die Statik in dem Projekt verantwortlich war. „Die Herausforderungen lagen eher darin, die Außenwände zum Biergarten und vor allen Dingen zum Neubau hin zu öffnen und während der Bauphase zu sichern.“
Bei dem Bestandsbau handelte es sich im Grunde um eine Gebäudehülle, von der eine der vier Wände nur provisorisch in den 1950er Jahren gebaut worden war. Auch das Dach war nur ein Notdach aus dieser Zeit gewesen. „Der Antransport und das Einbringen der neuen Decke über der Halle war für mich persönlich eine der größten baulichen Herausforderungen der Sanierung“, erzählt Architekt Stenger. „Die neue Kassettendecke sollte als richtungsloses Feld wirken, maßstäblich richtig und mit dem Eindruck der Ausgewogenheit und Balance gegenüber dem Bestand. Mit dem Ergebnis sind wir sehr zufrieden.“
Die Längswände mussten durch Stahlträger abgefangen werden, um das Notdach durch ein neues Dach ersetzen zu können
Foto: Sascha Kletzsch
Vor allem aber sollte nicht klar erkennbar sein, wo und wie sie eigentlich aufliegt. Konstruktiv und ausführungstechnisch wurde dies folgendermaßen gelöst: Die Auflager auf den Bestandstützen für den Randträger (Kammträger) an den Längsseiten mussten zunächst ertüchtigt und für die Fertigteile der Decke hergerichtet werden. „Damit die Träger auf die Auflager passen, musste ein sehr genaues Aufmaß erstellt werden“, erklärt Bautechniker Gallinger, „denn eine Herausforderung der Statik war, die Konstruktion in Abstimmung mit dem Fertigteil-Werk und der ausführenden Firma in den Bestand einzupassen.“
Die Kippsicherheit im Bauzustand wurde über Rückverankerungen in das vorhandene Gesims gewährleistet. Die Randrippen an den kurzen Seiten liegen an der Außenfassade auf den Kragarmen der Kammträger auf. Um die Lasten zu verringern, wurden die Randträger über Konsolen auf den Fassadenstützen eingehängt. Bei der Betonage der Decke wurde das bestehende Gesims in die Decke eingebunden.
Kohlesilos und Barkubus
Und wie sah es mit den bestehenden Einbauten aus? Während die alten Heizkessel keine weitere Verwendung finden konnten, wurden die Kohle-Silos entlang der Südostseite der Halle nun zur Galerie umgebaut. Sowohl unterhalb der Trichter als auch in den Silos selbst bewegen sich die Besucherinnen und Besucher der Kunstausstellungen entlang der rauen, auf besondere Weise kraftstrotzenden Oberflächen. Neu eingezogen wurden hierfür Galerieböden aus Stahlgittern und Riffelvollblechen, die Einblicke in die Trichteröffnungen freigeben. Neu sind auch die beiden schwarz verkleideten Kuben, die frei in der Halle stehen: der größere Küchenkubus und der in seiner Dimension an die alten Heizkessel angepasste Barkubus. Neben den Kuben bringt eine 4,35 m breite Treppe die Besucherinnen und Besucher auf die Ebene der so genannten Beletage beziehungsweise der Zwischenebene unterhalb der Trichter auf der anderen Seite. Auf der Kiste „thront“ ein Kran, der wunderbar das Industrieambiente verstärkt und zur Technikwartung genutzt wird.
Durch diesen Kran, der aussieht, als wenn er schon immer hierhergehört hätte, konnte auf Wartungsgerüste und -bühnen an Wänden und Decke verzichtet werden. Und schließlich sind ebenfalls neu die Trockenbauwände an der Südostseite im Erdgeschoss, die den Restaurantbereich des „Zeitlang“ vom Rest der Halle abtrennen. Im Untergeschoss des Bestandsbaus sind heute der Live-Club „Barbastelle“, Nebenräume sowie die Sanitärräume des Restaurants untergebracht.
Elektra-Tonquartier im Neubau
Im Neubau entstand unter anderem ein Konzertsaal für knapp 500 Personen
Foto: Laura Thiesbrummel
Es war schnell klar, dass für die geplanten Nutzungen ein Neubau das historische Heizwerk ergänzen sollte. Dieser 97,5 m lange und 15 m hohe Riegel schließt mit gut 11 m Abstand an der Nordwestseite mit einem schmalen Zwischenbau, der als eine Art Fuge fungiert und in dem sich im Erdgeschoss das Foyer für Alt- und Neubau befindet, an. Das Dach des Zwischenbaus kann, geschützt zwischen Alt- und Neubau, als Dachterrasse genutzt werden.
Der spektakulärste Raum des Neubaus ist sicher der für 456 Personen ausgelegte Konzertsaal „Elektra Tonquartier“. Darüber hinaus gibt es hier die Multifunktionssäle „Freiraum“ und „Loft“ sowie weitere Vortrags- und Konferenzräume. „Tragwerkplanerisch spannend waren im Neubau vor allen Dingen die zu überspannenden Säle“, erläutert Bauingenieur Gallinger. „Im Konzertsaal mussten die Träger über 15 m frei tragen. Hier haben wir uns für eine Konstruktion mit vorgefertigten Deltabeam-Trägern entschieden, um mit den deckengleichen Trägern die Decke möglichst schlank halten zu können. Im ,Freiraum‘ dagegen fiel die Wahl auf zwei Fachwerkträger aus Stahl, da hier nicht nur 15 m frei überspannt werden mussten, sondern zudem zwei Geschosse plus Dach als Lasten auf die Träger wirken.“
Markant ist am Neubau auch die Lamellen-Fassade aus weiß eingefärbten Beton-Fertigteilen, die vor der Glasfassade sitzen. Die schlanken vertikalen Lamellen und Lisenen bilden einen modernen Spiegel der historischen Bestandsfassade ab. Im Konzertsaal wurde sowohl durch Ausstattungselemente wie Schallabsorber an den Wänden oder akustisch wirksame Stahlbekleidungen, vor allen Dingen aber mit einem hochtechnischen Akustiksystem, für ein an das jeweilige Konzert angepasstes Hörerlebnis gesorgt. Das „Elektra Tonquartier“ ist quasi als Tonstudio konzipiert, in dem sich die Zuhörenden fühlen, als säßen sie in einem großen Konzert- oder einem kleinem Kammermusiksaal oder auch wie in einem Kirchenraum, je nach Einstellungen des Systems.
Historische Patina statt Neuem Glanz
„Wenn über Projekte wie das Bergson hinterher geschrieben wird, dass es im neuen Glanz erstrahlt, haben wir unsere Arbeit nicht gut gemacht“, erklärt Dr. Michael Pfanner, Steinmetz und Bildhauer und mit der Restaurierung der Ziegelfassade, des Nagelfluh und des historischen Kunststeins befasst. „Es ging um den Erhalt der Steine, aber natürlich auch um den Erhalt und die Konservierung der Patina dieses industriellen Baus, nicht um einen neuen Glanz.“ Konkret ging es im Bergson Kunstkraftwerk um die Ziegelflächen, die Sockel und Gesimse aus Nagelfluh sowie Stürze aus Kunststein.
Neben dem sanierten Bestandsbau (rechte Seite) ergänzten die Architekten einen Neubau mit weiß eingefärbten Fertigteillamellen an der Fassade
Foto: Laura Thiesbrummel
Dabei weisen sowohl der Naturstein als auch der Kunststein große Ähnlichkeiten mit neuem Beton auf. Es war eine der Aufgaben des Steinmetzbetriebes, zu verhindern, dass die restaurierten Steine am Ende alle aussehen wie Beton. Auch die Ziegelsteine galt es so zu konservieren, dass sie zum Schluss nicht wirken wie neu. „Die Ziegel wurden von uns zurückhaltend mit Wasserdampf und Bürsten gereinigt, kaputte Ziegel mit Ersatzmassen repariert und am Ende in der Fläche mit Pigmenten und speziellen Bindemitteln so retuschiert, dass alles zueinander passt und doch nicht angemalt aussieht“, erläutert Steinmetz Pfanner. „Auch beim Nagelfluh konnte an kleineren Stellen mit Ergänzungsmasse gearbeitet werden. An anderen Stellen wurden pressfugig Vierungen eingesetzt.“ Beim Kunststein ging es in erster Linie um die korrodierten Eisen. Diese mussten freigelegt, gegen Korrosion behandelt und wieder angegossen werden.
Fazit
Obwohl einem im Bergson Kunstkraftwerk durchaus der Begriff „Glanz“ auf der Zunge liegt, ist klar, dass hier nicht nur die Restauratoren alles richtig gemacht haben. Der Glanz, den man empfindet, ist eher ein innerer Glanz, der ein Stück weit bereits dem Bestand innewohnte und nichts mit oberflächlichem Glimmer zu tun hat.
Autorin
Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Allguth, München
Architektur Stenger2 Architekten und Partner mbB BDA, München, stenger2.de
Innenarchitektur Arnold / Werner Partnerschaftsgesellschaft von Architekten, München,
arnoldwerner.com
Tragwerksplanung IB Aster, Ingenieurbüro für Baustatik, München, ib-aster.de
Schalltechnik Müller - BBM Building Solutions, München, www.mbbm-bso.com
Generalunternehmer Rohbauarbeiten Glass
Bauunternehmung, Mindelheim, glass-bau.de
Ziegel- und Natursteinsanierung Dr. Pfanner, Scheidegg, www.arge-pfanner.de