Bauwende: Recycelte Baustoffe brauchen Produkt-Status
05.02.2025Die lineare Wertschöpfungskette im deutschen Bauwesen ist nicht zukunftsfähig – notwendig ist die Baustoffbauwende. Dafür sind unter anderem das Abfallrecht und die fehlende Integration von Sekundärrohstoffen in Baunormen erhebliche Hindernisse. Dringend erforderlich sind die Integration von Zirkularitätsleitlinien ins Bauordnungsrecht, die Einführung eines digitalen Produktpasses und die Verabschiedung einer Abfallende-Verordnung. Nachhaltige und kreislauffähige Baustoffe müssten in öffentlichen Ausschreibungen klar bevorzugt werden.
Recyclingmaterialien brauchen einen klaren Produktstatus
Foto: Maikol Aquino / Pixabay
Dies sind einige der zentralen Ergebnisse der Online-Pressekonferenz „Nachhaltige und kreislauffähige Baustoffe in der Bau- und Immobilienwirtschaft – Ausblick 2025“, an der Dr. Thomas Welter, Geschäftsführer des BDA, Johannes Kreißig, Geschäftsführender Vorstand der DGNB, Dr. Jan Christoph von der Lancken, Geschäftsführer EPEA GmbH Part of Drees & Sommer, René Grupp, CEO von Sievert SE, sowie Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, teilnahmen.
Priorisierung der Ressourcenschonung notwendig
„Traditionelles Bauen war gestern“, erklärte Dr. Thomas Welter, Geschäftsführer des BDA. Er betonte, dass eine nachhaltige Bauweise nicht nur auf kreislauffähige Baustoffe setzen dürfe, sondern umfassende Strategien benötige. „Wir brauchen neue Ansätze, die den Bedarf an Neubauten minimieren, bestehende Gebäude umnutzen und Bauteile wiederverwenden.“
Dr. Welter hob hervor, dass Ressourcenschonung im Bauen eine klare Priorisierung erfordere: Der Erhalt bestehender Strukturen müsse Vorrang haben, gefolgt von der Wiederverwendung von Bauteilen und innovativen Designkonzepten, die auch die sortenreine Trennung, die Reparaturfähigkeit und die Integration lokaler Ressourcen ermöglichen. „Das Abfallrecht und die fehlende Integration von Sekundärrohstoffen in Baunormen sind erhebliche Hindernisse, die es zu beseitigen gilt.“
Er kritisierte zudem die politische Rahmenordnung. „Abriss wird steuerlich gefördert, während nachhaltige Sanierungen ordnungspolitisch erschwert werden. Das muss sich ändern.“ Dr. Welter forderte ressourcensparende marktwirtschaftliche Anreize, eine kohärente Ordnungs-, Förder- und Steuerpolitik sowie eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Branchen, um intersektorale Lösungen, wie die Nutzung landwirtschaftlicher Nebenprodukte im Bauwesen, zu fördern.
„Es wird keine einfache Lösung geben“, schlussfolgerte Dr. Welter abschließend. „Die Bauwirtschaft muss vielfältige Strategien parallel verfolgen, um Ressourcenschonung, Klimaschutz und wirtschaftliche Tragfähigkeit zu gewährleisten, ohne dabei Ästhetik und Funktionalität zu vernachlässigen.“
Gebäude müssen als Ressource betrachtet werden
„Die Baustoffbauwende ist ein entscheidender Wendepunkt für die Bauwirtschaft, um den steigenden Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen Emissionen wirksam zu reduzieren“, erklärte Johannes Kreißig, Geschäftsführender Vorstand der DGNB. Der Verbrauch endlicher Ressourcen und die Produktion von Abfall würden globale Dimensionen erreichen, während die CO₂-Emissionen weiter steigen. „Ohne eine radikale Transformation und den Übergang zu zirkulärem Bauen gefährden wir die Erreichung der Klimaziele“, betonte er.
Zirkuläres Bauen ermögliche die Wiederverwendung von Materialien, die Minimierung von Abfallströmen und die Schaffung langfristig nutzbarer Gebäude. Mit dem von der DGNB entwickelten Gebäuderessourcenpass werde die Grundlage geschaffen, Materialien zu inventarisieren und die Kreislauffähigkeit von Gebäuden zu steigern. „Unser Ziel ist es, Gebäude nicht nur nachhaltiger zu bauen, sondern sie in ihrer gesamten Lebensdauer als Ressource zu betrachten.“
Ein entscheidender Schritt sei die politische Unterstützung durch Maßnahmen wie den europäischen Green Deal und die EU-Taxonomie, die nachhaltige Investitionen lenken sollen. Gleichzeitig betonte Kreißig die Bedeutung von Strategien wie die Renovation Wave und die Einführung eines digitalen Produktpasses, um die Wiederverwendung von Baustoffen zu fördern: „Der Weg zur Klimaneutralität erfordert entschlossenes Handeln, innovative Ansätze und die enge Zusammenarbeit von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.“
In langfristigen Szenarien denken
Zirkuläres Bauen ermöglicht die Wiederverwendung von Materialien, die Minimierung von Abfallströmen und die Schaffung langfristig nutzbarer Gebäude
Foto: AS Photography / Pexels
„Produkte, die zu Abfall werden, sind schlechte Produkte“, erklärte Dr. Jan Christoph von der Lancken, Geschäftsführer der EPEA GmbH Part of Drees & Sommer. Er betonte die Bedeutung einer Neuausrichtung des Produktdesigns nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip, um das Konzept von Abfall überflüssig zu machen und Materialien in potenziell unendlichen Kreisläufen zu halten. „Es reicht nicht, nur den negativen Fußabdruck zu minimieren – wir müssen positive Fußabdrücke schaffen.“
Dr. von der Lancken hob hervor, dass beispielsweise CO₂ kein grundsätzliches Problem darstelle, sondern nur ein gutes Material am falschen Ort sei. Die Technosphäre könne von natürlichen Kreisläufen lernen, um Stoffströme wie Kunststoff oder CO₂ sinnvoll zu nutzen. „Jedes Material sollte als Nährstoff für eine weitere Nutzung gestaltet sein“, betonte er. Er warnte davor, Produkte ohne langfristiges Szenario-Denken wiederzuverwenden, und forderte ein zirkuläres Sourcing, das zukünftige Materialströme schon im Designprozess berücksichtigt. „Produkte müssen so gestaltet sein, dass sie auch in künftigen Einsatzbereichen sicher und effizient genutzt werden können“, sagte Dr. von der Lancken. Mit Werkzeugen wie dem Circularity Passport könnten Rohstoff-Restwerte bilanziert und Materialien während des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes transparent gemacht werden.
„Nur gesunde Materialien ermöglichen echte Kreislaufwirtschaft und steigern den Wert von Gebäuden“, erklärte er. Das Projekt „The Cradle“ in Düsseldorf nannte er als ein Beispiel für erfolgreiches kreislauffähiges Bauen. Abschließend forderte er klare politische Rahmenbedingungen, um zirkuläres Design zu fördern. „Eine Abkehr von der linearen Wirtschaft ist unerlässlich, um eine nachhaltige Bau- und Produktkultur zu etablieren.“
Aus Entsorgung muss Versorgung werden
„Die lineare Wertschöpfungskette im Bauwesen ist nicht zukunftsfähig“, erklärte René Grupp, CEO von Sievert SE. „Schwindende Abbauvolumen und fehlende Genehmigungen für neue Deponien treiben die Kosten und machen es unerlässlich, den Materialkreislauf zu schließen.“ Sievert habe daher begonnen, Baustoffe mit einem Sekundärrohstoffanteil von bis zu 100 Prozent zu entwickeln, wie etwa ressourcenschonende Putze und Mörtel. Als Beispiel aus der Praxis nannte Grupp den weltweit ersten Ressourcenschutzputz, der für das „JED Zürich“, ein „22-26“-Gebäudekonzept, eingesetzt wurde.
Die Baustoffindustrie stehe vor großen Herausforderungen, betonte Grupp, insbesondere durch die begrenzte Verfügbarkeit von Rohstoffen wie Sand und die rapide Verfüllung von Deponien, die Prognosen zufolge bis 2031 vollständig ausgelastet sein könnten. „Aus Entsorgung muss Versorgung werden“, forderte Grupp und verwies auf die Notwendigkeit, Sekundärrohstoffe stärker in Baunormen zu integrieren.
Auch die Politik sei gefragt: „Die Bundesregierung muss Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung stärker priorisieren.“ Nachhaltige Baustoffe müssten in öffentlichen Ausschreibungen klar bevorzugt werden. Zudem brauche es mehr Transparenz in der Baustoffbranche, um die Vorteile ressourcenschonender Materialien sichtbar zu machen und Greenwashing zu vermeiden. Grupp schloss mit einem Appell an die Branche: „Nur durch einen konsequenten Fokus auf ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit können wir eine Renaissance der Ressourcennutzung im Bauwesen schaffen.“
Zusammenarbeit während der gesamten Wertschöpfungskette
„Die Bauwirtschaft steht vor der Herausforderung, nachhaltige Lösungen für Wohnungsbau und Infrastruktur zu finden, die mit den Klimazielen vereinbar sind“, erklärte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. „Es reicht nicht aus, nur Abfälle zu verwerten – wir müssen sie recyceln und in den Materialkreislauf zurückführen.“ Der Verbrauch mineralischer Baustoffe und die damit verbundenen CO₂-Emissionen seien weiterhin zu hoch, während die tatsächliche Recyclingquote mit bis zu 13 Prozent weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibe.
Pakleppa betonte die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Moderne Sortier- und Aufbereitungstechnologien bieten großes Potenzial, aber wir benötigen klare politische Rahmenbedingungen.“ Er forderte die Integration von Zirkularitätsleitlinien ins Bauordnungsrecht, die Einführung eines digitalen Produktpasses und die rechtssichere Erklärung des Abfallendes für Recyclingmaterial. Letztere sei essenziell, um Recyclingmaterialien einen klaren Produktstatus zu verleihen. „Welcher Bürgermeister würde einen Kindergarten bauen, wenn die verwendeten Materialien noch als Abfall gelten?“, fragte Pakleppa. Dies sei entscheidend, um die Wiederverwendung von Bauteilen rechtssicher und effizient zu gestalten.
„Ein Ansatz, der Neubau, Bestandserhalt und Recycling verbindet, ist unerlässlich, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, sagte Pakleppa abschließend. Die Mantelverordnung sei ein wichtiger Schritt, doch es brauche weitere Anstrengungen, um RC-Materialien in öffentlichen Ausschreibungen zu berücksichtigen und die Transformation der Bauwirtschaft voranzutreiben.