Neubau von BAID Architektur in Hamburg hinter historischer Fassade
BAID Architektur aus Hamburg beweisen in ihrer Heimatstadt, wie eine intelligente Nachverdichtung hinter historischer Fassade dringend benötigte Wohnfläche schafft. Die Fassade aus dem 19. Jahrhundert wurde von der JaKo Baudenkmalpflege GmbH aufwendig transloziert.
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Nahe dem Hamburger Alsterufer sind in der Warburgstraße 42 hochwertige Wohneinheiten in bester Lage entstanden – davon sechs sogar als geförderter Wohnungsbau. Das Gebäude ist mit seinen insgesamt neun Etagen als Hochhaus eingestuft. Premiere für die Hansestadt war die aufwendige Translozierung der Fassade aus dem 19. Jahrhundert: Sie wurde etagenweise in Teile geschnitten, eingelagert, aufbereitet und vor dem Neubau passgenau wiedererrichtet.
Die „Weißen an der Alster“
Das Büro BAID, das von der Architektin Jessica Borchardt 2005 gegründet wurde, prägt mit seinen Wohnbauten seit vielen Jahren die Gegend rund um die Hamburger Außenalster. „Die Weißen an der Alster“ nennt die Architektin selbstbewusst ihre bisher neun realisierten Projekte. Nach den Außenalsterverordnungen geplant, eint sie alle die weiße Farbgebung, die das maritime Flair unterstützt. Das jüngste Projekt, das sich in die „Riege der Weißen“ einreiht, ist das 2020 fertiggestellte Wohngebäude in der Warburgstraße mit der translozierten Fassade.
Ein baugeschichtlich wertvoller Stadtbaustein
Einst standen auf dem 1200 m2 großen Grundstück in Hamburg-Rotherbaum zwei aneinandergebaute Häuser, die 1878 und 1889 nach Entwürfen der Architekten Hugo Stammann und Gustav Zinnow entstanden waren. Die beiden Architekten prägten mit ihren zahlreichen Bauten das Hamburger Stadtbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts und zählen zu den Miterbauern des Hamburger Rathauses. Zwar standen die Gebäude in der Warburgstraße nicht unter Denkmalschutz, dennoch waren sich BAID und der engagierte Bauherr BPN-Bauplan Nord einig, dass die historischen Fassaden erhalten werden sollen, um für den Standort und die Be- und Anwohner weiterhin eine identitätsstiftende Rolle spielen zu können.
Dieser Argumentation konnte auch die Stadt folgen und hat dem Entwurf, alt und neu auf diese Weise zu vereinen, zugestimmt. „Durch die Entscheidung zur aufwendigen Erhaltung der Bestandsfassaden und den daraus resultierenden Entwurfsansatz, den dahinter liegenden Neubau deutlich erkennbar zu gestalten, entstand etwas Neues und Eigenständiges“, erklärt Jessica Borchardt vom Büro BAID Architektur. „Wir entwickelten eine zeitgemäße Architektur, die ihre Herkunft nicht verleugnet.“
Aufwendige Erhaltung der Bestandsfassade
Die historischen Fassaden der Gebäude bestehen aus einem zweischaligen Mauerwerk, das außen mit einem 24 cm breiten und innen mit einem 12 cm breiten Vollziegelmauerwerk vermauert ist, auf dem sich ein 2 cm dicker Kalkputz befindet. Die Außenschale ist als Sichtmauerwerk mit sichtbarer Mörtelfuge ausgeführt – weiß gestrichen. Stuck- und Zierelemente sind vorgeblendet. An den Fenstern sind die beiden Schalen jeweils zu einer Schale vermauert. Dies hat statische Gründe und hat bereits in der Bauzeit zur Stabilität der Fassade beigetragen. Zudem sind Innen- und Außenschale jeweils im Verband gemauert. Die Verbindung der beiden Schalen erfolgt über eine unregelmäßige Verbindung, den Verbindungsziegeln. Eine zu schmale Straße und die dreiseitig geschlossene Baulücke erlaubte keine klassische Lösung, um die Fassade nach dem Abriss der Gebäude an ihrer Position zu sichern.
Bei diesem Hochhaus am Hamburger Alsterufer befindet sich hinter der historischen, von der JaKo Baudenkmalpflege translozierten und restaurierten Fassade, ein Neubau nach Plänen des Büros BAID Architektur
Foto: Martin Haag
Letztlich fiel die Wahl auf eine Translozierung. Dieses Verfahren war damit für Hamburg eine Premiere, die vom Baden-Württembergischen Unternehmen JaKo Baudenkmalpflege GmbH aus Rot an der Rot übernommen wurde – einem Unternehmen, das rund 40 Jahre Erfahrung auf dem Gebiet der Translozierung besitzt. Es gehört damit zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Denn Fassadenteile in dieser Dimension abzunehmen und anschließend unbeschädigt wieder zu errichten wird überhaupt erst seit den 1980er-Jahren praktiziert.
Statische Sicherung des Bestandsgebäudes
Bevor die Translozierung jedoch beginnen konnte, musste die nachher zurückbleibende Gebäudekonstruktion statisch gesichert werden. Da die Außenwände aber nun einmal statisch relevante Bauteile sind, mussten diese zwangsläufig durch eine Hilfskonstruktion ersetzt werden. Diese Hilfskonstruktion errichteten die Mitarbeiter der JaKo Baudenkmalpflege, in dem sie im Gebäude eine Holzkonstruktion über alle Geschosse herstellten, die sämtliche Lasten von Decken und Wänden aufnahm und nach unten führte. Dadurch wurde die Statik des Gebäudes erhalten, obwohl die statisch relevanten Außenwände nachher fehlten. Anschließende schnitten die Handwerker die Außenwände vertikal und horizontal mit einer speziellen Schneidetechnik auf und teilten sie so in transportable Elemente auf. Dadurch blieben der komplette Putz sowie die Stuck- und Zierelemente erhalten, die während des Transports eine diffusionsoffene Spezialverpackung schützte.
Zerlegung und Transport der historischen Fassade
Für die aufwendige Translozierung der Bestandsfassade wurde sie etagenweise in bis zu 21 m lange und 5 m hohe Teile geschnitten
Foto: Martin Haag
Die gesamte Fassade wurde in nur fünf transportable Elemente mit bis zu 21 m Länge und etwa 5 m Höhe zerlegt. Das Gewicht der einzelnen Elemente betrug dabei bis zu 80 Tonnen. Für die 12 m lange und 15 m hohe Fassade des kleineren Gebäudes daneben reichte eine Zerlegung in drei Geschosselemente aus.
Skizze Demontage der Fassade
Zeichnung: BAID Architektur
Die Auftrennung der Fassade erfolgte geschossweise, um sie pro Geschoss in einem Stück zu erhalten. Anschließend wurden die Elemente mit dem Tieflader abtransportiert und in einer Halle eingelagert. Der Wiederaufbau erfolgte erst im Anschluss an die Fertigstellung des Neubaus. Hierzu wurden Element für Element die fünf großen Fassadenbausteine wieder an ihren ursprünglichen Platz gebracht – wie bei einem riesigen Puzzle. Beim Wiederaufbau kam es auf jeden Millimeter an. „Der Bestandsfassade ist nicht anzusehen, dass sie den Ort jemals verlassen hat – nur die Rechnungsprüfung kann hiervon Zeugnis geben“, erzählt Jessica Borchardt.
Restaurierung der Bestandsfassade
Nun konnte die Bestandsfassade abschließend restauriert werden. Hierzu bildeten die Stuckateure der JaKo Baudenkmalpflege die Stuckprofile, die horizontal verlaufenden Gurtgesimse und die vertikal verlaufenden Pilaster mit dem so genannten Tischzug nach.
Für die Restaurierung der Bestandsfassade fertigten die Stuckateure nach dem historischen Vorbild der originalen Stuckprofile Blechschablonen an, mit denen sie den Stuck dann auf dem Tisch ziehen konnten
Foto: JaKo Baudenkmalpflege GmbH
Hierzu fertigten sie nach dem historischen Vorbild der originalen Stuckprofile Blechschablonen an, mit denen sie die Stuckprofile dann auf dem Tisch ziehen konnten. Bei den größeren plastischen Stuckelementen wurde mit einer speziellen Abformmasse und einer Rahmenkonstruktion eine Negativform des Originals erstellt. Diese gossen die Stuckateure aus und befestigten die auf diese Weise hergestellten Stuckelement wieder an der Fassade.
Die Gebäuderückseite des Neubaus wird von den großzügigen Balkonen dominiert
Foto: Martin Haag
Vielseitige Wohnungen
Hinter der historischen Fassade entstand aus Beton und Kalksandstein ein Neubau, der eine innerstädtische Nachverdichtung mit deutlich mehr Wohnraum als zuvor generiert. Insgesamt ergaben sich 42 unterschiedliche, weitestgehend barrierefreie Stadtwohnungen mit einer sehr hohen Aufenthaltsqualität. BAID entwarf kompakte Apartments ab 40 m2 und familiengerechte Wohnungen zwischen 120 und 200 m2 Wohnfläche. Das Penthouse in den obersten beiden Stockwerken bietet rund 300 m2 mit einem Rundumblick über die ganze Stadt. Großzügige Verglasungen mit teils runden Scheiben und Terrassen mit Glasbrüstungen lassen über alle Etagen hinweg viel Tageslicht in den Innenraum.
Die straßenseitig gelegenen Wohneinheiten starten auf Hochparterreniveau. Ihre großzügigen Geschosshöhen sind mit bis zu 4 m an die historische Fassade angepasst. Hofseitig erstrecken sich neun Vollgeschosse, was den Neubau als Hochhaus einstuft und mit besonderen Anforderungen an die Sicherheit und die haustechnische Ausstattung verbunden ist. Die in Splitlevels organisierte Innenraumstruktur erlaubt im Erdgeschoss einen ebenerdigen Zugang zum Garten.
Kontrastierende Dachaufstockung
Weithin sichtbares Erkennungszeichen für die zeitgenössische Architektur des Gebäudes ist die additive Aufstockung. Mit ihrer dynamisch geschwungenen Linienführung und einer leichten Glas-Aluminium-Fassade hebt sie sich eigenständig und selbstbewusst vom historischen Bestand ab, ohne diesen zu dominieren. Durch die Rückstaffelung tritt sie oberhalb der historischen Fassade angemessen zurück. Den Bewohnern dieser Etagen öffnen sich großartige Ausblicke auf die nahe liegende Alster und die Dächer der Innenstadt bis hin zur Elbphilharmonie. Zum Teil ist die unregelmäßig gefaltete und begrünte Dachlandschaft der Aufstockung begehbar und formt die Terrassen aus.
Architektur und Innenarchitektur gehen Hand in Hand
Der Bauherr bekannte sich von Anfang an dazu, nicht nur gehobenen Wohnraum schaffen zu wollen – trotz der exquisiten Lage in Alsternähe. Sechs der Wohneinheiten wurden als geförderter Wohnungsbau mit Mietbindung errichtet. Dabei wurde dieser gleichwertig mit den anderen Wohnungen konzipiert, er unterscheidet sich beim Ausbau nicht.
BAID steht für die Initialen von Borchardt, Architektur, Interior und Design, und somit für den ganzheitlichen Gestaltungsanspruch des Hamburger Büros. In Jessica Borchardts rund 30-köpfigen Team arbeiten Architekten, Innenarchitekten und Produktdesigner. Auch beim Wohngebäude in der Warburgstraße kamen alle Disziplinen zum Tragen. BAID gestaltete federführend die Innenarchitektur von sieben Wohnein-heiten. Einen Vorgeschmack auf deren hochwertige Ausgestaltung bietet bereits der großzügige Eingangsbereich, der mit ausgewählten Materialien empfängt (Naturstein, dunkles Holz und Bronze-Profile).
Dieser edle Materialmix setzt sich auch in den Wohnungen fort. Blickfänger sind die Wandverkleidungen aus Feinsteinzeug-Marmor in den Küchen, die ebenfalls für Kaminmöbel verarbeitet wurden. Dank der unterschiedlichen Wohnebenen erstreckt sich die Marmorfläche teilweise deckenhoch auf bis zu 5,50 m Höhe. Für einen angenehmen und warmen Fußbodenbelag wählten BAID für einzelne Wohnungen einen langlebigen Parkettboden aus geölter Vogeseneiche.
AutorenDipl.-Ing. Rainer Häupl hat an der Uni Stuttgart Architektur studiert und ist ausgebildeter Architekturjournalist. Als PR- und Content-Marketing-Experte unterstützt er als Kooperationspartner bei bering*kopal in Stuttgart das Büro BAID Architektur bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Bauplan Nord, Hamburg, www.bpn.de
Architektur BAID, Hamburg, www.baid.de
Bauleitung LV Baumanagement, Hamburg, www.lv-ag.com
Statik und Bauphysik Pape & Dingeldein, Schackendorf, www.pape-dingeldein.de
Brandschutz IFB Schütte, Bremen, www.ingenieurbuero-fuer-brandschutz.de
Translozierung und Restaurierung der Fassade
JaKo Baudenkmalpflege, Rot an der Rot, www.jako-baudenkmalpflege.de
Rohbauarbeiten Walther Reichert Bauunternehmung, Hamburg, www.walther-reichert.de
Ausbauarbeiten Feinsteinzeug-Marmor Betonstein und Marmorwerk Bartels, Wedel, www.marmorwelt.de
Herstellerindex (Auswahl)
Kalksandstein Silka, Xella Deutschland, Duisburg, www.ytong-silka.de
Aluminium-Fassade Schüco, Bielefeld, www.schueco.com
Feinsteinzeug-Marmor Florim, I-Fiorano Modenese, www.florim.com