Wasserturm in Radolfzell zum Nullenergie-Hotel umgebaut

Das im April dieses Jahres in Radolfzell in einem ehemaligen Wasserturm eröffnete „Hotel aquaTurm“ bietet seinen Gästen nicht nur ausgesprochen wohngesunde Zimmer, es ist dank dicker Dämmung, Photovoltaik-Fassade, Geothermie und Windkraftanlage auch das erste Nullenergiehochhaus der Welt.

Es ist nicht das erste Mal, dass aus einem Wasserturm ein Hotel wurde. Prominente Vorgänger sind der in Köln zum „Hotel im Wasserturm“ umgebaute Turm und der in Hamburg zum „Möwenpick Hotel“ umgebaute Wasserturm Sternschanze. Während es sich bei diesen beiden Beispielen um riesige Bauvolumina handelt – mit einem Durchmesser von 25 m und einer Höhe von 60 m gehören der Hamburger Turm und der mit 34 m extrem dicke, dafür aber nur 27 m hohe Turm in Köln zu den größten Wassertürmen Europas – fällt der Wasserturm in Radolfzell am Bodensee trotz seiner Höhe von rund 46 m (mit der vertikal drehenden Windturbine auf dem Dach sind es sogar knapp über 50 m) deutlich schlanker aus. Aber bei einer Sache hat er im Vergleich zu seinen mächtigen Kollegen in Hamburg und Köln die Nase vorn: bei der Energie. Bei dem im April dieses Jahres in Radolfzell eröffneten „Hotel aquaTurm“ handelt es sich nämlich um das erste Nullenergiehochhaus der Welt. Das liegt vor allem daran, dass fast die gesamte gut gedämmte Fassade des Turms zur Energieerzeugung genutzt werden kann: Mit vorgehängten hinterlüfteten Photovoltaikelementen bestückt wird Strom erzeugt. Hinzu kommen Energiequellen wie Geo- und Solarthermie sowie Windenergie.

Der Traum vom Hotel im Turm

1956 wurde der Turm zur Wasserversorgung für das örtliche Milchwerk gebaut und schon 1979 wieder stillgelegt. Die Idee zum Umbau des Turms entstand gut 20 Jahre später. Der Turm hat den jungen Architekten Norman Räffle schon immer interessiert. Er war wohl sogar auch Auslöser für die Wahl seines Studiums. Erste Zeichnungen entstanden, die Norman Räffle seinem Vater, dem Unternehmer Jürgen Räffle, vorlegte. Mit Bruder Thorsten Räffle war der passende Finanzfachmann zur Hand, der für das Familienprojekt einen Businessplan aufstellt, so dass Vater Jürgen Räffle 2002 den Turm schließlich für 25 000 Euro kaufte.

Statisch gesicherter Wasserturm mit Aufzugturm

Bereits 2008 begannen die Bauarbeiten. Zunächst wurde der Turmkopf mit dem Wasserbehälter darin abgebrochen und in Stahlbetonbauweise neu und größer wiederaufgebaut. Hierzu trugen die Handwerker den ursprünglich 34 m hohen Turm auf eine Schaftlänge von 20 m ab, um fünf weit auskragende Geschosse aufzustocken. Dadurch wiegt der Turm nun rund 2500 Tonnen. „Doch er steht auf weichem, gering tragfähigen Seeton. Zudem liegt Radolfzell in der Erdbebenzone 2“, erklärt Patrick Schmidt von Baustatik Relling. Eine neue, kombinierte Pfahl-Platten-Gründung musste als solides Fundament mit 15 m tief ­verankerten Pfählen her. Neue Wand- und Decken­elemente aus Stahlbeton stabilisieren zudem den Turmschaft von innen.

Darüber hinaus waren für die Instandsetzung der alten fast 40 cm dicken Mauern der Schaftwand rund 2200 Injektionsanker nötig. Diese mussten der Steinfestigkeitsklasse 20 und der Mörtelgruppe III a des alten Ziegelmauerwerks genau angepasst werden. „Dabei zahlte sich aus, dass diese Anker problemlos durch den alten Putz gingen, ohne dass dieser entfernt werden musste“, sagt Architekt Norman Räffle. Eingesetzt wurde ein Injektionsmörtelsystem von fischer, das aus dem „Hybridmörtel FIS V“, der Ankerhülse und der Gewindestange beziehungsweise Innengewindehülse besteht.

Der Zugang zu den 14 Etagen des Hotels erfolgt über einen zusätzlichen Aufzug- und Treppenturm, der nun mitsamt der vertikalen Windkraftanlage auf dem Dach 50,5 m hoch ist. Der Aufzugturm ermöglicht nicht nur die optimale Nutzung der knappen Grundfläche, er dient auch als Aussteifung. Über Stege verbunden, fangen beide Türme Lasten durch Wind und Beben gemeinsam auf. Die Bewehrungen der Stege und Türme wurden nicht direkt, sondern über Schöck Isokörbe mit 120 mm Dämmdicke miteinander verbunden. Die Glasgeländer der Stege verankerten die Handwerker mit Bodenprofilen aus Edelstahl mit „Highbond Ankern FHB II 10x95/10“ in A4 von fischer und dem Injektionsmörtel „FIS HB“ im Stahlbeton.

Gut gedämmte Photovoltaik-Fassade

Dämmung spielte natürlich bei der energetischen Verbesserung der Fassade eine entscheidende Rolle für den Nullenergiehausstandard. Bei der Fassade handelt es sich um ein vorgehängtes hinterlüftetes System in Kombination mit einer vlieskaschierten Wärmedämmung und Energiegewinnung aus den Photovoltaik-Elementen. Zur sicheren Befestigung der Wärme­dämmung steuerte Ejot seine damals neu entwickelten zweiteiligen Dämmhalter bei. Über 5000 Dämmstoffhalter befestigten die Handwerker für die insgesamt 240 mm dicke zweilagige Wärmedämmung im Vollziegeluntergrund des Turms, was ihnen wegen der zweiteiligen Dämmhalter zügig von der Hand ging.

Zur Montage der Metallunterkonstruktion für die vorgehängte hinterlüftete Fassade am Aufzugs- und Treppenturm sowie am Turmkopf verwendeten die Handwerker etwa 1200 Bolzenanker „FAZ II“ von fischer in unterschiedlichen Längen, die auch für Anwendungen in Erdbebengebieten zugelassen sind. Den Handwerkern genügten wenige Hammerschläge und schon saßen die Anker fest. Die an der Metallunterkonstruktion der vorgehängten hinterlüfteten Fassade montierten 700 m2 Photovoltaik-Glaspaneelen „StoVentec ARTline Inlay“ erzeugen voraussichtlich über 39 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr und dienen zudem als Wetterschale für die Fassade.

Verbundfenster mit Fünffach-Verglasung

Einen weiteren Beitrag zur Energieeinsparung leisten die 155 Verbundfenster mit Fünffach-Verglasung, die Glasermeister Martin T. Lacher in seiner Werkstatt in Bisingen herstellte. Die Fenster bieten aber nicht nur einen hervorragenden Wärmeschutz und solare Gewinne, sondern unterstützen das energetische Gesamtkonzept auch durch einen integrierten Sonnenschutz.

Für den Bau der Fenster verarbeitete Glasermeister Lacher allein 2,4 Kilometer Holzkanteln für die Fensterrahmen. Damit diese für einen möglichst langen Zeitraum geschützt sind und erst in 10 Jahren wieder einer Wartung bedürfen, sorgt eine Imprägnierung der Hölzer mit darauf abgestimmter Zweischichtlasur. „Der Bauherr legte Wert auf eine hochwertige Optik und auf möglichst lange Streichintervalle“, sagt Glasermeister Lacher. Im ersten Arbeitsgang grundierte und imprägnierte er das Holz hierzu im Tauchverfahren mit „impralan-Grund I100“ von der Firma Rütgers Organics. Anschließend beschichtete er die Bauteile im Spritzverfahren zweimal mit der wässrigen „impralan-Lasur S550 in Plantinweiß“ des gleichen Herstellers. „Damit bleibt die natürliche Maserung des Holzes sichtbar und vermittelt ein Gefühl der Hochwertigkeit“, meint Martin Lacher.

Wohngesunde Hotelzimmer

Die Hotelzimmer bieten durch eben diese Fenster nicht nur einen fantastischen Ausblick auf Radolfzell und den Bodensee, sondern auch ein gesundes Wohnraumklima: „Genauso wie auf moderne und wirtschaftliche Technologien achten wir auf Nachhaltigkeit“, sagt Norman Räffle. So sind die Zimmer neben Echthölzern, recycelten Holzwerkstoffen und Natursteinen mit den sparsamsten Wasserhähnen der Welt (0,6 l/min) ausgestattet. Für die Montagearbeiten beim Innenausbau verwendeten die Handwerker die biobasierten Dübel „fischer greenline“. Die Wände wurden mit Kalk und Ton verputzt. Im ungeheizten Treppenhaus, bestand beim Putz die Gefahr der Kondenswasserbildung, der man mit dem mineralischen Regulierputzsystem „StoCalceFunctio“ aus dem Weg ging, dass mehr Feuchtigkeit als Lehm zwischenspeichern kann.

So hat das im April dieses Jahres in Radolfzell im ehemaligen Wasserturm eröffnete „Hotel aquaTurm“ viele Fassetten und ist nicht „nur“ das erste Nullenergiehochhaus der Welt, sondern ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Projekt. Die Bundesregierung honorierte die zukunftsträchtige Idee, indem sie das Bauvorhaben zum Pilotprojekt beziehungsweise zur Demonstrationsanlage der Bundesrepublik Deutschland erklärte und 435 000 Euro Fördergelder beisteuerte.

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.

Wasserturm am Bodensee wird zum ersten Nullenergiehochhaus der Welt

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr Räffle & Söhne, Singen

Planung AIR Architektur- und Ingenieurbüro Räffle, Radolfzell

Statik Baustatik Relling, Singen

Umbau- und Sanierungsarbeiten Räffle & Söhne GbR, Radolfzell

Holzfensterbau Martin T. Lacher, Bisingen


Herstellerindex (Auswahl)

Befestigungssysteme und Dübel Mörtel „FIS V“ und „FIS HB“, „Highbond Ankern FHB II“, „greenline“, fischer, Waldachtal, www.fischer.de

Isokörbe „Schöck Isokorb Typen QPXT, EQ, Sonder-D, Sonder-W, KS, KST“, Schöck, Baden-Baden,

www.schoeck.de

Dämmstoffhalter Ejot, Bad Berleburg,

www.ejot.de/bau

Photovoltaik-Fassade „StoVentec ARTline Inlay“, Sto, Stühlingen, www.sto.de

Schutz der Holzfenster „impralan“, Rütgers

Organics, Mannheim, http://impra.de

Putz im Treppenhaus „StoCalceFunctio“, Sto,

Stühlingen, www.sto.de

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