Besenstrich
Rillenputz per Besenstrich für das Rathaus Leipzig-Schönefeld
Das besondere Merkmal des über 100 Jahre alten Rathauses in Leipzig-Schönefeld ist die außergewöhnliche Struktur seines historischen Rillenputzes. Bei der Fassadensanierung galt es, genau diese Struktur originalgetreu nachzubilden. Dafür musste aber erst einmal das passende Werkzeug gefunden werden.
Das Rathaus Leipzig-Schönefeld entstand samt kompletter Einrichtung zwischen Oktober 1904 und November 1905 nach einem Entwurf von Fritz Drechsler. Drechsler gilt als einer der Hauptvertreter des Leipziger Jugendstils. Bis heute wird das Gebäude mit seinem weithin sichtbaren Turm als Außenstelle und Amt der Stadt Leipzig genutzt.
Bei der 2011 durchgeführten Sanierung war den Verantwortlichen daran gelegen alte Handwerkskunst zu bewahren und mit dem gegenwärtigen Stand der Technik zu verbinden. Ein Beispiel dafür ist die Fassadensanierung, die einen wichtigen Bestandteil der Instandsetzungsarbeiten bildete. Hierbei galt es, einige den Denkmalschutz betreffende Forderungen wie die Gliederung der Fassade zu erfüllen. Eine besondere Bedeutung kam jedoch dem Putz zu. Entscheidende Voraussetzung, um das Gesamterscheinungsbild wieder herzustellen, war die Nachstellung des historischen Besenstrichputzes mit seiner typischen Struktur auf einer Fläche von ungefähr 2200 m².
Der Putzstruktur auf der Spur
Kennzeichnend für den Besenstrichputz ist eine raue, unregelmäßig gekämmte, horizontale Struktur mit einer leicht nach unten sinkenden Oberkante der hervortretenden Putzstriche. So erwies es sich als eine der Hauptaufgaben, neben dem passenden Putz auch entsprechende Werkzeuge und Vorgehensweisen zu entwickeln, um diesem Vorbild gerecht zu werden.
Auf der Vorderseite des Rathauses befand sich vor der Restaurierung immer noch der originale Putz aus dem Jahr 1905. Die Rückseite hatte man hingegen zu DDR-Zeiten schon einmal neu verputzt, allerdings mit einem Kratzputz, der über einen höheren Zementanteil verfügte als der Originalputz. Im Vergleich zum Original war deshalb fast die doppelte Zeit erforderlich, um diesen Putz zu entfernen.
Bei der Bestandsaufnahme machte man zudem eine ungewöhnliche Entdeckung. Entgegen den heutigen Gewohnheiten war der Oberputz ursprünglich fester ausgeführt worden als der Unterputz. Obwohl dieser Putzaufbau sich über hundert Jahre durchaus bewährt hatte, entschied man sich, hier einem zeitgemäßeren Ansatz zu folgen und den Unterputz fester als den Oberputz abzustimmen.
Den Zuschlag für die Ausführung der Arbeiten erhielt die Hedi-Bau GmbH aus Borsdorf im Osten von Leipzig. Zusammen mit den Baustoffspezialisten von tubag überzeugten sie die Stadt Leipzig als Bauherren und das Landesdenkmalamt des Landes Sachsen von ihrem Konzept. Die Entwicklung der Rezepturen von Unter- und Oberputz entstand in enger Absprache zwischen dem ausführenden Unternehmen und dem Baustofflieferanten. Entsprechend den Laboruntersuchungen des Putzbestandes entschieden die Experten, als Unterputz den TKP von tubag zu verwenden, einen maschinengängigen Trass-Kalkputz, der vorzugsweise als Restaurierungsputz für Denkmalpflegeobjekte eingesetzt wird.
Dieser Putz verfügt durch die Beigabe von original tubag Trass über mörteltechnische Eigenschaften, die bei der Restaurierung von historischen Gebäuden wichtige Vorteile bringen. Aufgrund der Trassbeigabe erhärten Mörtel und Bindemittel nämlich besonders spannungsarm, der Festigkeitsverlauf nimmt über längere Zeit kontinuierlich zu.
Für den Oberputz fiel die Wahl auf den NHL-P, einen historischen Kalkputz mit natürlich-hydraulischem Kalk als Bindemittel. Da dieser Putz sich objektbezogen einstellen lässt, bot er einen deutlichen Vorteil bei der schwierigen Aufgabe, die originale Kratzstruktur des Putzes nachzustellen.
Wie der Trass-, ist auch der Kalkputz speziell auf die Belange von historischem Mauerwerk ausgelegt. Als Bindemittel enthält er nur zementfreien NHL 2 Kalk gemäß DIN EN 459. In Leipzig kamen die guten Verarbeitungseigenschaften besonders zum Tragen, die den Einsatz der historischen Putztechniken erst ermöglichten.
Mit dem Anlegen der Musterflächen wurde schnell deutlich, dass der richtige Besen eine entscheidende Rolle bei der Suche nach der erforderlichen Putztechnik spielte. Die ersten Versuche mit einem normalen Birkenreisigbesen zeigten schnell, dass dieser den Putz zu sehr aufriss. Zudem stellte sich heraus, dass man Äste benötigt, die während der Arbeit nicht zu stark ausfasern. Die Fachleute von Hedi-Bau mussten viel experimentieren, bis sie den optimalen Besen bauen und die bestmögliche Verarbeitungstechnik finden konnten. Denn neben dem Besen musste gleichzeitig auch die richtige Auftragsdicke und die beste Strichlänge gefunden werden.
Die Lösung bot schließlich ein Besen mit Ästen der Liguster-Hecke, die in passendem Durchmesser und mit dem passenden Abstand zueinander zusammengebunden wurden. Es zeigte sich dabei, dass einige der Mitarbeiter den speziellen Besenstrich besonders gut beherrschten. So waren es schließlich immer die gleichen drei Personen, die Fritz Dietrich, Geschäftsführer bei Hedi-Bau, für die Bearbeitung des Oberputzes auf die Baustelle schickte.
Historischer Kalkputz ermöglicht
originalgetreue Nachbildung der Putzstruktur
Neben der richtigen Strichbreite und Strichlänge gab es einen weiteren wichtigen Aspekt, der den historischen Putz charakterisierte. Die hervorstehende Oberkante der einzelnen Putzstriche kippte jeweils leicht nach unten, ohne jedoch die darunterliegende Kante zu berühren.
Um diesen Effekt nachzubilden, war es erforderlich, einen dünnplastischen Putz einzusetzen, der nicht zu schnell anziehen und zudem nicht faserverstärkt sein durfte. Alles Eigenschaften, die sich mit dem NHL-P gut umsetzen ließen. Damit diese Überlappung funktionierte, war es zudem erforderlich, dass die Handwerker die Putzstruktur innerhalb von 30 Minuten nach dem Putzauftrag herstellten. Bei einer längeren Standzeit wäre der Putz schon zu fest gewesen, um sich nach dem Anlegen der Struktur noch wie gewünscht nach unten zu wölben.
Dabei erwies es sich als besonders vorteilhaft, dass sowohl Unter- als auch Oberputz maschinell auf die großen Flächen des dreigeschossigen Rathauses aufgebracht werden konnten. Es arbeiteten immer zwei Handwerker zusammen, um dem Besenstrichputz die richtige Struktur zu verleihen: Einer der den Putz aufbrachte und ein zweiter, der sich direkt im Anschluss mit dem Spezialbesen um die Strichführung kümmerte.
Gefilzte Putzflächen lockern die Struktur auf
Die Fassadengestaltung auf der Hofseite des Gebäudes setzt andere Akzente als diejenige der Straßenseite. Hier finden sich zwar auch überwiegend Flächen mit der typischen Rillenstruktur, aber diese werden von gefilzt ausgeführten Flächen aufgelockert.
Besonders deutlich treten zwei größere Fassadenbereiche hervor, die jeweils eine Anzahl nah beieinander liegender Fenster zu einer Einheit zusammenfassen. Sie sind komplett mit einer glatteren, mehrere Stockwerke umfassenden gefilzten Oberfläche versehen. Auch die restlichen Fenster auf der Rückseite sind von kleinen, gefilzten Putzflächen umgeben, die sie deutlich von der umgebenden Fassade absetzen.
Trotz der unterschiedlichen Gestaltung konnte der NHL-P Putz jedoch für das komplette Gebäude eingesetzt werden, und zwar ohne den Zusatz von Farbpigmenten, da die natürliche Farbe des natürlich-hydraulischen Kalks und die ursprüngliche Farbe der Fassade deutliche Ähnlichkeiten zeigten.
Auffällig ist, dass sich der schon vor einigen Jahren separat sanierte Turm des Rathauses farblich leicht vom restlichen Gebäude absetzt. Und das, obwohl für den Turm der gleiche Putz mit der übereinstimmenden Farbgebung eingesetzt wurde. „Das zeigt, welch großen Einfluss die Putzstruktur auf die Farbigkeit hat“, so Bauunternehmer Fritz Dietrich. „Bei der Sanierung des Turmes wurde der Rillenputz damals noch etwas abweichend ausgeführt. Mit der gegenwärtigen Technik sind wir aber noch einmal näher an das Original herangekommen.“ Dabei wurden für die aktuelle Sanierung an die 25 Muster angefertigt, um einen Farbanstrich zu finden, der den Turm nachträglich an die Fassade angleicht. Eine genaue Farbtonübereinstimmung ließ sich dennoch nicht erzielen. Für den Gesamteindruckwar es notwendig, dass der Turm gestrichen wurde, während beim übrigen Putzauftrag am Rathaus kein Anstrich erfolgte.
Abgerundet wurden die Sanierungsarbeiten an der Fassade durch die Instandsetzung der Sandsteinflächen um die Türen und Fenster der Straßenfronten und die Sanierung des Sockels. Für den Sandstein galt es, einen Mittelweg zu finden zwischen der Reinigung der alten Steinflächen und dem Wunsch, möglichst wenig Substanz durch die Säuberung zu zerstören.
Der Reinigungsgrad wird vor allem durch das passende Verhältnis zwischen Wasser und Sand im Sandstrahlgerät beeinflusst. Entsprechend wurde dieses dann auch mit Hilfe eines Experten festgelegt. Leider bildete sich trotz dieser Maßnahmen schnell wieder eine dunkle Patina auf dem gesäuberten Stein. Verursacht wird dieser Effekt durch im Sandstein enthaltenes Eisen, das seinen Weg an die Oberfläche findet und so eine erneute Einfärbung bewirkt. Auch wenn dies eigentlich keine Schädigung der Substanz ist, bedeutet das für Fritz Dietrich ein Problem: „Wir müssen dem Bauherren und den Bürgern erklären, dass der Sandstein schon wieder einen leicht verfärbten Eindruck macht, obwohl das Rathaus ja gerade erst saniert worden ist. Keine leichte Aufgabe, aber den mineralogischen Befund des Sandsteins mit seinem hohen Eisenanteil können wir ja auch durch die Restaurierung nicht verändern.“
Auf der Hofseite befindet sich ein Sockel aus Klinkern, der das komplette Erdgeschoss umgibt und ebenfalls schon stark in Mitleidenschaft gezogen war. Soweit möglich wurden die alten Klinkerflächen trotz deutlich sichtbarer Kalkausblühungen erhalten, an manchen Stellen waren sie allerdings so stark geschädigt, dass die Handwerker sie flächenweise durch neue Klinker ersetzt mussten. Die Fugen im kompletten Sockelbereich wurden für die Instandsetzung ausgekratzt und mit dem quick-mix Fugenmörtel FM neu verfugt.
Historische Putzstruktur wiederhergestellt
Das Rathaus in Leipzig-Schönefeld belegt, das moderne Baustoffe und eine traditionelle Verarbeitungsmethode sehr gut miteinander harmonieren. Ein Blick aus der Nähe zeigt, dass die historische Putzstruktur in großer Detailtreue wiederhergestellt worden ist.
„Nur durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Baustofflieferant und Bauunternehmer entstehen solche gut sanierten historischen Denkmalschutzobjekte“, fasst Fritz Dietrich die Instandsetzungsarbeiten in Leipzig-Schönefeld zusammen.
Autor
Guido Wollenberg ist als Fachjournalist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit Schwerpunkt Bauwesen bei der Agentur Wollenberg-Frahm PR in Frechen tätig.
Die Lösung bot schließlich ein Besen mit Ästen der Liguster-Hecke
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Stadt Leipzig, begleitet durch das Landesdenkmalamt des Landes Sachsen
Architekten Ilg Friebe Nauber Architekten BDA, Leipzig
Ausführendes Bauunternehmen Hedi-Bau GmbH, Borsdorf
Baustoffproduzent tubag Trass Vertrieb, Kruft, www.tubag.de