bauhandwerk-Serie über Strukturputze: Wie sich Stechputz imitieren lässt

Bei Stechputzen handelt es sich oft um einfache Imitationen von Steinputzstrukturen. Ein solcher Putz lässt sich mit einem mineralischen Kratzputz als Werktrockenmörtel imitieren. Verwendet werden hierbei ein Edelputzkratzer und ein Teelöffel. Stechputz ist Teil 1 unserer Strukturputze-Serie.

Vor allem in den frühen Abendstunden ist an dem nach Plänen des Architekten Eugen Drollinger in der Münchner Kaiserstraße 14-16 von 1902 bis 1903 entstandenen Putzbau ein lebhaftes Licht- und Schattenspiel zu beobachten
Foto: Dominik Thoma

Foto: Dominik Thoma
Den 1902-03 errichteten und mittlerweile denkmalgeschützten Putzbau des ehemaligen Bayerischen Revisionsvereins in der Münchner Kaiserstraße 14-16 besucht man am besten in den frühen Abendstunden, wenn die Sonne seitlich auf die Straßenfassade trifft. Dann durchwandert das Streiflicht die unterschiedlich gekörnten und strukturierten Putzoberflächen der Fassade und erzeugt ein spannendes, lebhaftes Licht- und Schattenspiel an der eigentlich zurückhaltend hell gestrichenen Fassade.  Der Großteil des dreigeschossigen Putzbaus ist mit einem fein gekörnten Scheibenputz verputzt. Feinerer Putz befindet sich nur an den zurückgesetzten, zum Teil rund- oder segmentbogenartigen Fensterfaschen. Das Kranzgesims wird mit einem gröberen, leicht abgesetzten Spritzbewurf artikuliert.

An den Gebäudeecken wurde der Spritzbewurf ebenfalls als gestalterisches Element eingesetzt. Im Erdgeschoss wurde der Strukturputz umlaufend am Gebäude appliziert. Er hat die plastischste aller verwendeten Oberflächen und kontrastiert damit die übrigen Putzflächen der Obergeschosse. Ob der Putz des mit Jugendstil-Neurenaissanceformen dekorierten Büro- und Wohngebäudes vom damaligen Architekten Eugen Drollinger bauzeitlich ist, kann jedoch nicht mit Gewissheit bestimmt werden. Auf Grund der sehr homogenen Oberfläche spricht vieles dafür, dass er mit Maschinentechnik aufgebracht wurde. Somit wäre ein Verputz mit Baustellenmischung nahezu ausgeschlossen. In Bezug auf die Nachstellung des Strukturputzes ist diese Tatsache eher von geringerer Bedeutung.

Bei dem Strukturputz in der Kaiserstraße handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um einen klassischen Strukturputz, sondern um eine steinmetzmäßig hergestellte Oberfläche. Bei den so genannten Steinmetzputzen wird die Oberfläche des Putzes nach der Erhärtung mit Hammer und Meißel bearbeitet. In der Regel bleiben Steinmetzputze im Nachgang unverputzt, was an der Fassade der Kaiserstraße aber nicht der Fall ist. Dort wurde der Oberputz nach dem Stocken nochmals mit einem Spritzbewurf angespritzt, möglicherweise um die scharfen Kanten, die beim Meißeln entstanden, zu kaschieren, aber auch, um die unterschiedlichen Putzoberflächen der Fassade einander anzugleichen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das kraterartige Relief mit einer alternativen Putztechnik, zum Beispiel durch Bearbeitung des feuchten Mörtels, erzeugt wurde.

Wie man mit Strukturputztechniken das Kraterrelief imitieren kann

Ziel der Nachstellung war es daher, mit Hilfe von Strukturputztechniken das Kraterrelief des Originals zu imitieren, am besten mit Werktrockenmörteln nach heutigem Stand der Technik. Um die Textur des Putzmörtels nach dem Aufkratzen der Oberfläche durch die gesamte Schichtdicke hinweg gleichmäßig zu gestalten, musste ein einlagiges Dickschichtsystem verwendet werden. Zusätzlich wurde auf den Spitzbewurf verzichtet. Die gespritzte Optik musste unmittelbar mit dem Mörtel und im Zuge seiner Bearbeitung erzeugt werden. Ein mineralischer Kratzputz, in diesem Fall der „Baumit KratzPutz KRP Jura 03“, vereinte alle erforderlichen Eigenschaften. Kratzputze werden ausschließlich als dickschichtige Oberputzsysteme verwendet und können witterungsabhängig bereits nach einigen Stunden wieder bearbeitet werden. Außerdem sind Kratzputze marktüblich in einer Körnung von 2 bis 3 mm zu erwerben. Durch die Wahl einer entsprechenden Körnung konnte somit die gespritzte Oberfläche des Originalputzes nachgestellt werden.

Als erstes musste der Kratzputz mit einer Putzdicke von mindestens 10 mm aufgetragen werden. Um die erforderliche Schichtdicke zu gewährleisten, wurden auf den Trägerplatten vierseitig Putzprofile mit einer Höhe von 12 mm geklebt und mit Haftgrund beschichtet. Nach dem Auftragen konnte der Kratzputzmörtel mit der Kelle über die Putzprofile hinweg abgezogen werden. Die Schichtdicke des Mörtels entsprach somit der Profilhöhe von 12 mm. Nach einer eintägigen Trocknungszeit konnte an Probeflächen die Erstellung der Oberfläche mit verschiedenen Werkzeugen getestet werden. Bereits nach wenigen Versuchen wurde ein geeignetes Werkzeug zum Erstellen des Kraterreliefs gefunden und das gewünschte Resultat erzielt. Der modellierte Strukturputz ist auf Grundlage der Versuche folgendermaßen herzustellen:

Steinerne Oberfläche mit Edelputzkratzer

Mit dem Edelputzkratzer bekommt der verwendete Kratzputz eine an Stein erinnernde Oberfläche Mit dem Edelputzkratzer bekommt der verwendete Kratzputz eine an Stein erinnernde Oberfläche
Foto: Dominik Thoma

Mit dem Edelputzkratzer bekommt der verwendete Kratzputz eine an Stein erinnernde Oberfläche
Foto: Dominik Thoma
Am Originalputz wurde das kraterartige Relief des Putzes offensichtlich mit Hammer und Meißel auf einem erhärteten Putz hergestellt. Ein Kratzputz hingegen hat wegen seiner hohen Schichtdicke eine länger feuchtbleibende und daher gut zu bearbeitende Oberfläche. Auf den gut aufgerauten Unterputz wird der Kratzputz mit einer Schichtdicke von mindestens 15 mm aufgetragen und geebnet. Nachdem der Mörtel die richtige Festigkeit erreicht hat, wird im nächsten Schritt die Putzoberfläche aufgekratzt. Dieser Arbeitsschritt ist bei jedem Kratzputz erforderlich und erzeugt die charakteristisch steinerne Oberfläche eines Edelkratzputzes. Je nach Größe der Körnung verwendet man einen Edelputzkratzer mit entsprechend dichtem Nagelbrett. Wichtig bei der Auswahl des Kratzers ist, dass das Korn beim Kratzen nicht zwischen den Spitzen des Werkzeugs hängen bleibt. Bei größerem Korn muss daher ein entsprechend grober Kratzer eingesetzt werden.

Strukturierung der Krater mit einem Teelöffel

Die gekratzte Oberfläche wird mit einem Teelöffel von links oben nach rechts unten modelliert Die gekratzte Oberfläche wird mit einem Teelöffel von links oben nach rechts unten modelliert
Foto: Dominik Thoma

Die gekratzte Oberfläche wird mit einem Teelöffel von links oben nach rechts unten modelliert
Foto: Dominik Thoma
Zur Strukturierung der Krater ist im Weiteren lediglich ein Löffel erforderlich. Mit einem herkömmlichen Teelöffel können die Krater einfach und ähnlich dem Original erzeugt werden. Die gekratzte Oberfläche wird von links oben nach rechts unten modelliert. Mit der Kante des Löffelrückens wird mit leichtem Kratzdruck Material von der Oberfläche geschabt, so dass rasch ein kleiner Krater entsteht. Je nach Druck und Kratzrichtung kann die Geometrie der Krater geformt werden. Wichtig ist, dass in alle Richtungen gekratzt wird, also diagonal von links nach rechts, aber auch von unten nach oben und jeweils umgekehrt. Nur so wird vermieden, dass sich ein monotones Bearbeitungsmuster abzeichnet.

Zwischen den einzelnen angekratzten Kratern können mit leichtem Druck weiche Übergänge geschaffen werden. Allmählich ergibt sich somit das charakteristische Kraterrelief des Originals. Die beim Kratzen freigelegten Körner erwecken an der fertigen Oberfläche den Eindruck, als wäre diese wie im historischen Vorbild mit einem Spritzputz nachgebessert worden. Nach vollständiger Durchtrocknung des Kratzputzes kann die Oberfläche mit einem Besen von überschüssigem Material und losen Putzteilen gereinigt werden. Auf einen Farbanstrich wird - wie bei einem Kratzputz üblich - verzichtet.

Vergleich des Originals mit der Imitation

Im Vergleich dazu die mit einem Kratzputz mit Edelputzkratzer und Teelöffel hergestellte Imitation Die mit einem Kratzputz mit Edelputzkratzer und Teelöffel hergestellte Imitation
Foto: Dominik Thoma

Die mit einem Kratzputz mit Edelputzkratzer und Teelöffel hergestellte Imitation
Foto: Dominik Thoma
Im Vergleich mit der historischen Putztechnik ist festzustellen, dass sich die erzeugten Oberflächen trotz der grundlegend verschiedenen Techniken sehr ähnlich sind. Mit beiden Techniken konnten identisch große und tiefe Putzkratzer erzeugt werden. Das Strukturieren mit einem Löffel offeriert jedoch eine Methode, die mit ein wenig Übung jedem Putzer gelingen wird.

Bezüglich des Schwierigkeitsgrades der beiden Techniken lassen sich Vergleiche nur bedingt darstellen, da die historische Technik nicht genau definiert werden konnte. Jedoch zählen Kratzputze, so wie hier verputzt, nicht zu den einfachsten Putztechniken. Einfacher zu verputzen als beispielsweise aufwändige Kammzugputze sind sie dennoch.

Hinsichtlich des Aufwandes gibt es jedoch deutliche Unterschiede. Betrachtet man nur die Arbeitsschritte am Oberputz, dürfte das Original aufwändiger gewesen sein. Während am Originalputz die Oberfläche mit einem Spritzgang nochmals komplett überarbeitet wurde, ist beim Kratzputz kein weiterer Arbeitsschritt erforderlich. Allerdings ist beim Kratzputz als Zwischenschritt ein Aufkratzen der aufgezogenen Oberfläche notwendig.

In bauhandwerk 3.2024 folgt als zweiter Teil der neuen Strukturputz-Serie der grobe Kellenstrichputz.

 

Autor

Dominik Thoma ist Architekt, Maler- und Lackierermeister sowie staatlich geprüfter Farb- und Lacktechniker. Er lebt und arbeitet als Architekt und Autor in München. 2022 erschien sein Buch Münchner Strukturputze.

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