Dekorative Malerei
Sanierung und Restaurierung des Breslauer Hauphtbahnhofs
Bei der Sanierung des Breslauer Hauptbahnhofs ging es nicht nur darum, das Gebäude für eine zeitgemäße Nutzung umzubauen, sondern auch darum, wertvolle Fundstücke wie dekorative Malereien, Deckengemälde und historische Ausstattungen handwerklich zu restaurieren.
Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt der königliche Architekt Wilhelm Grapow den Auftrag, einen neuen Bahnhof für Breslau zu bauen. Von 1855 bis 1857 entstand das 180 m lange schlossähnliche Gebäude. Das im neugothischen Stil gehaltene Hauptgebäude wurde von zwei Uhrentürmen flankiert. Zahlreiche Strebepfeiler mit Fialen, zinnenbekrönte Mauerabschlüsse sowie Fenster mit Tudorbögen ließen die englische Spätgothik als Inspiration deutlich erkennen.
Als um die Jahrhundertwende der Reiseverkehr in Preußen stark zunahm, wurde eine Umgestaltung und Erweiterung unumgänglich. Im Zuge der Neugestaltung um 1900 wurde die ursprüngliche Bahnsteighalle komplett abgerissen und durch eine großräumige Schalterhalle ersetzt. Südlich vom bisherigen Bahnhofsgelände entstand ein moderner Komplex von fünf Bahnsteigen, dreizehn Gleisen sowie fünf Unterführungen. Die gesamte Anlage wurde mit einer vierschiffigen Stahl-Glaskonstruktion überdacht. Das neue Bahnhofsgebäude bildete eine Synthese von neugothischem Stil mit Jugendstilelementen. Die Empfangs- und Schalterhallen verzierte man mit Wandmalereien. Besonders prunkvolle Ausstattung in Form einer mit kaiserlichen Wappen verzierten Kasettendecke erhielt der südliche Teil des Ostpavillons, der speziell für den Besuch des Kaisers Wilhelm II. im Jahre 1906 neu gestaltet wurde.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm man nur geringfügige Veränderungen am Bahnhofsgebäude vor. In den 1920er Jahren erfolgte allerdings eine komplexe Fassadensanierung. Von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs weitgehend verschont, wurde der Hauptbahnhof der nunmehr polnischen Stadt Wrocław nach 1945 zweimal gründlich erneuert (1960 und 1970). Seit 1966 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Die turbulenten Anfangsjahre der aufstrebenden jungen Marktwirtschaft nach 1989 bescherten dem Bahnhofsgebäude einen regelrechten Wildwuchs an großflächigen Werbeschildern und -plakaten, die nicht nur die historischen Fassaden, sondern auch den fortschreitenden Verfall der Bausubstanz verdeckten.
Modernisierung von 2010 bis 2012
Oberstes Ziel der zwischen März 2010 und Juni 2012 durchgeführten Komplettsanierung war die Instandsetzung und Neugestaltung des gesamten Gebäudeensembles und eine Erneuerung der für den Bahnbetrieb notwendigen technischen Infrastruktur. Die Arbeiten sollten unmittelbar vor Beginn der unter anderem in Breslau ausgetragenen Fußball-EM abgeschlossen werden. Nach der um 1900 durchgeführten Erweiterung sollte dies die umfangreichste Modernisierung in der Geschichte des Bahnhofs werden. Der Umfang der geplanten Arbeiten sowie der ununterbrochene Eisenbahnbetrieb – nur das Hauptgebäude und die Schalterhalle sperrte man für den Fahrgastbetrieb komplett – führten dazu, dass die denkmalpflegerischen Aspekte dem äußerst ambitionierten Zeitplan der Arbeiten untergeordnet werden mussten. Obwohl dies eine systematische Untersuchung und komplette restauratorische Bestandsaufnahme des Gebäudes zum Teil verhinderte, standen sämtliche Instandsetzungsarbeiten unter strengen denkmalpflegerischen Auflagen. Zahlreiche Innenräume und Raumkomplexe wurden durch teilweise gravierende Umbauarbeiten neuen Nutzungsformen zugeführt beziehungsweise angepasst. Dabei mussten alle Eingriffe in die historische Substanz durch konsequente Anwendung von modernen Baumaterialien wie Glas, Stahl, Beton oder einer entsprechenden Farbgestaltung und Formgebung markiert werden.
Von der Bestandaufnahme zur Restaurierung
Zu Beginn der Instandsetzung lag keine umfassende denkmalpflegerische Bestandsaufnahme vor, so dass zahlreiche Untersuchungen im Laufe der Arbeiten durchgeführt werden mussten. Dabei handelte es sich um stratigraphische Putzuntersuchungen mit Klärung der Schichtenabfolge sowie eine Analyse der historischen Anstriche von Wänden, Decken sowie kleineren Bauteilen. Dank dieser Befunde ließ sich sowohl die historische Farbgebung, als auch eine Vielzahl an ursprünglichen Wand- und Deckenmalereien bestimmen. Zu den wertvollsten Fundstücken gehörten die dekorativen Malereien im Erdgeschoss, Deckengemälde im so genannten Kaisersaal sowie die Ausstattung des ehemaligen Präsidialappartements im Westpavillon.
Die Restaurierungsarbeiten umfassten das gesamte Gebäudeensemble sowie die Bahnsteig- und Gleisinfrastruktur. Umfangreiche Arbeiten mussten an allen Fassaden durchgeführt werden. Auch die Innenräume wurden einer komplexen Sanierung unterzogen. Dabei spielten die leider nur spärlich vorhandene Dokumentation des Breslauer Bauarchivs und die erhaltenen Zeichnungen von Wilhelm Grapow eine wichtige Rolle.
Historische Farbfassung in Orangeocker
Mit einer Herausforderung besonderer Art waren die Restauratoren im Zuge der Wiederherstellung der Farbfassung vom Hauptgebäude mit der Schalterhalle konfrontiert. Die Untersuchungsbefunde ließen keine Zweifel darüber, dass die historische Farbgebung von einem intensiven Orangeocker geprägt war, allerdings konnte auf Grund der äußerst wenigen erhaltenen Putz- und Farbschichten die genaue Farbfassung zahlreicher Details wie Balustraden, Maßwerke, Zinnen kaum ermittelt werden. Nach vielen Debatten und der Ausführung von zwei großflächigen Probeanstrichen wurde eine Kompromisslösung gefunden, wonach der im Neugestaltungsentwurf ursprünglich vorgesehene moderate graublaue Farbton vom historischen Orangeocker abgelöst wurde, während die Details einen hellbraunen Ton erhielten und der Zinnenkranz im Farbton braunocker gefasst wurde. Das Endergebnis der Sanierungsarbeiten lässt keine Zweifel über die Richtigkeit dieser Entscheidung aufkommen – die Wiederherstellung der historischen Farbgestaltung verleiht dem Objekt eine besondere Ausdruckskraft.
Restaurierung und Rekonstruktion der Malereien
Die restaurierten Warteräume vermitteln den einzigartigen Eindruck einer Zeitreise in das ausgehende 19. Jh. Besonders spektakuläre Befunde lieferte jedoch die eingehende Untersuchung des Interieurs des Ostpavillons, wo im so genannten Kaisersaal dekorative Malereien auf der erhaltenen Kassettendecke entdeckt wurden. Diese Wappen der preußischen Provinzen entstanden höchstwahrscheinlich aus Anlass des bereits erwähnten kaiserlichen Besuches von 1906. Auch der im zweiten Stock des Mittelpavillons befindliche große Sitzungssaal, der mit Abstand prunkvollste Raum des gesamten Bahnhofs, konnte durch aufwendige restauratorische Arbeiten wieder hergestellt werden.
Die umfangreiche Restaurierung des Breslauer Hauptbahnhofs ließ auch so manches Ausstattungselement aus den späteren Umgestaltungsphasen nicht unberücksichtigt. Bemerkenswert ist die Wiederherstellung der Neonbeleuchtung der Hauptfassade und der Schalterhalle aus den 1960er Jahren, die es mittlerweile zu Kultstatus gebracht hat.
Autoren
Piotr Wanat ist als Restaurator in Breslau und Krzysztof Ziental als freiberuflicher Kunsthistoriker in Breslau tätig. Die Übersetzung des Textes besorgte Rafał Wędrychowski.