Einladendes Gefängnis
Umnutzung einer Justizvollzugsanstalt in Schwäbisch Hall

In Schwäbisch Hall entstand auf dem Gelände einer ehemaligen Justizvollzugsanstalt in unmittelbarer Altstadtnähe ein neues Stadtviertel: das Kocherquartier. Zwischen den hochmodernen Neubauten blieben einige der denkmalgeschützten Gefängnisbauten bestehen, die kernsaniert und umgenutzt wurden.

Seit Mitte vergangenen Jahres haben sich ein Handelszentrum, Büros und Wohnungen sowie ein Bankgebäude auf dem Gefängnisareal angesiedelt. Für eine gute Verkehrsanbindung sorgen der neue zentrale Omnibusbahnhof, eine Tiefgarage und weitere Parkmöglichkeiten. Zusammen mit der Stadtmauer und den darauf angebauten Häusern, die sich auf der rückwärtigen Seite des Quartiers befinden, umrahmen die Altgebäude der JVA das neue Stadtviertel. Sie bilden eine Art historische Klammer und verbinden das Kocherquartier mit der Altstadt.

Errichtet wurde der Gefängnisbau in den Jahren 1843-1849. In dieser Form bestand das Gefängnis aus einem zentralen Verwaltungsbau, rechts und links davon je einem Bau für Männer und Frauen und dahinter einem Gebäude für Jugendliche. Zur „sittlichen Besserung“ erhielten die Gefangenen Unterricht, außerdem sollten sie ein Handwerk erlernen können und sinnvoll beschäftigt werden. Hierfür entstanden mehrere Werkstätten, wie eine Buchbinderei, eine Weberei, eine Schlosserei und eine Bäckerei.

 

Vom Gefängnis zum Haus der Bildung

1949 entsprach das Gefängnis nicht mehr den Anforderungen des modernen Strafvollzugs. Schon 1961 wurde ein Neubau gefordert, der aber erst 1998 nach der Umsiedlung in die Stadtheide entstand. Nach Freiwerden der JVA nutzte die Stadt Schwäbisch Hall die Chance, in einigen der denkmalgeschützten Gebäude ein zentrales Haus der Bildung zu schaffen. Dafür wurde die Gebäudezeile nahe des Flusses Kocher mit dem ehemaligen Verwaltungsbau in der Mitte und den beiden Bauten des einstigen Frauen- und des Männergefängnisses umgebaut. Dort sind jetzt die Musikschule, die Volkshochschule, das Stadtorchester und die Beratungsstelle ProFamilia angesiedelt.

 

Musizieren in der Einzelzelle

Außen blieb die Gebäudehülle weitgehend erhalten. So auch die Form, Größe und Anordnung der Fenster in den dicken Mauern, bis hin zu den Gittern vor den Fenstern, die an die einstige Gebäudenutzung erinnert. Nur im Inneren wurde behutsam umgebaut und modernisiert. Hier wird die ehemalige Nutzung auch anhand der langen Flure und der Aufteilung der davon abgehenden Räume deutlich. Teilweise sind sogar die Einzelzellen in ihrer Struktur und Größe erhalten geblieben oder es wurden mehrere zusammengelegt. Die vielen Einzelräume mit ihren dicken Mauern sind ideal, um ungestört Instrumente aller Art zu üben. An einigen Zellen sind sogar die schweren Eisentüren mit Riegeln und Spionloch nach der Kernsanierung noch vorhanden. Natürlich haben die nun farblich gefassten Türen rein gestalterische Funktion – „normale“ Türen sind vorhanden. Neben den Seminar- und Musikräumen gibt es eine zentrale Informationstheke, eine Ehrenamtsbörse, eine Kreativwerkstatt, Proben- und Bewegungsräume, Aussstellungsflächen sowie große Veranstaltungsräume.

 

Helle Farben, die lange sauber bleiben

Eine ausgewogene Beleuchtung, die Echtholzböden und die akzentuierte Farbgestaltung in hellen und kräftigen Farbtönen tragen innen zum freundlichen Ambiente bei. Durch das breite Treppenhaus gelangt man in die Räume im ersten und zweiten Obergeschoss – diese Ebenen werden durch farbige Akzentwände in Samtrot beziehungsweise Taubenblau charakterisiert. Die Wände neben den großen Rundbogenfenstern im Treppenhaus sind im entsprechenden Farbton beschichtet, und beim Betreten der Etage fällt der Blick auf die gegenüberliegende Akzentwand im selben Farbton, so dass die Orientierung leicht fällt. Zudem ist der Etagenfarbton an einzelnen Wänden in größeren Räumen zu finden. Im Dachgeschoss sind großzügige Veranstaltungsräume unter einem Sichtdachstuhl mit alten Balken untergebracht.

Damit die in hellem Beige und lichtem Grau gefassten übrigen Wandflächen lange schön bleiben, fiel die Wahl auf die silikatische Farbe Sylitol LithoSil von Caparol, die auf den Kalkzementputz aufgebracht wurde. Entscheidend dafür war die hohe Diffusionsfähigkeit von LithoSil. Dadurch bleibt der Feuchtigkeits- und Gasaustausch des Untergrundes erhalten. „Auch wegen des starken Publikumsverkehrs in den Räumen entschieden wir uns für Sylitol LithoSil, weil es in der Nassabriebklasse 2 geprüft und scheuerbeständig ist“, erläutert Planer und Objektberater Martin Wißmann. Die stumpfmatte Farbe hat noch eine weitere Qualität, die in alten Gemäuern von Bedeutung ist: Aufgrund der natürlichen Alkalität des Bindemittels wird Vermehrung oder Wachstum von Bakterien und Pilzen verhindert.


Autorin


Dipl.-Ing. (FH) Bärbel Daiber ist selbständig als Landschaftsplanerin und freie Redkateurin in Seehausen tätig.

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