Kirche wird Passivhaus
Die erste auf Passivhausnieveau sanierte Kirche der Welt steht in Heinsberg
Im April konnten die Arbeiten zur energetischen Sanierung der Heinsberger Christuskirche nach Plänen des Büros Rongen Architekten abgeschlossen werden. Das Besondere daran: Es handelt sich dabei um die erste nach dem Passivhausstandard sanierte Kirche der Welt.
Der Evangelischen Kirchengemeinde Heinsberg ging es wie vielen anderen Gemeinden auch: Die veränderten Strukturen machten es notwendig, die Zahl und die Nutzungen ihrer Gebäude zu überdenken. Neuer Gemeindemittelpunkt sollte die Christuskirche werden. Aber das erforderte eine grundlegende Sanierung und Modernisierung sowie den Neubau von Gemeinderäumen.
Sanierung einer Kirche auf Passivhausstandard
Die in den1950er Jahren errichtete Christuskirche befand sich zu Beginn der Planung noch weitgehend im Ursprungszustand. Ebenso „original“ präsentierte sich auch die Heiztechnik: Das Kirchenschiff wurde durch sechs Gaseinzelöfen erwärmt, die jeweils über ein eigenes Abgasrohr verfügten. Bei der Planung durch das Büro Rongen Architekten aus Wassenberg wurde schnell klar, dass keine vorgefertigte Sanierungslösung gewünscht wurde, denn neben einem flexiblen Raumprogramm war ein hochwertiger energetischer Standard zur langfristigen Senkung der Energiekosten und der Umweltbelastung ein Hauptbestandteil des Konzeptes. Die Entscheidung lautete dann: Sanierung bis auf Passivhausstandard.
Das war kein Problem im Falle des neu zu errichtenden Anbaus. Bei der Kirche selbst sah dies schon anders aus. Da der optische Eindruck des Mauerwerks nicht durch eine Dämmung verändert werden sollte, kam nur eine Innendämmung in Frage, die mit besonderer Sorgfalt geplant und ausgeführt werden musste. Im Fachjargon heißt dies: „Energetische Optimierung stadtbildprägender Gebäude ohne Beeinträchtigung des architektonischen Erscheinungsbildes und des städtebaulichen Charakters“. Zur Abrundung des energetischen Konzeptes wurde im Rahmen der Dachsanierung auf dem Süddach der Kirche eine Photovoltaikanlage errichtet, die zur Deckung des Strombedarfes beiträgt.
Ein neuer Anbau für die alte Kirche
Die Christuskirche als zentraler Ort für die Gemeinde – dieses Konzept erforderte am Standort Heinsberg einen Anbau. Der neue Gebäudeteil verfügt über einen eigenen Eingang und ist daher unabhängig für kulturelle und gemeindliche Aktionen nutzbar, er kann aber auch bei Bedarf den Kirchenraum als weiteres Querschiff ergänzen. Auch im äußeren Erscheinungsbild sollte diese Zweiteilung der Gebäude ablesbar bleiben. Als Kontrast zur Kirche mit ihrer markanten, norddeutsch wirkenden Klinkerfassade, verarbeiteten die Maurer für den Erweiterungsbau einen dunklen Klinker für die Verblendschale. So ist der Anbau als Ergänzung unserer Zeit erkennbar und tritt nicht in Konkurrenz zum Kirchengebäude.
Energiekonzept für eine Kirche aus den 1950er Jahren
Frühzeitig wurde der Energieplaner mit an den Tisch geholt und ein ganzheitliches Energiekonzept erstellt: Die Wärmeverluste werden durch eine hochgradig dichte und wärmegedämmte Gebäudehülle soweit wie möglich reduziert, Lüftungswärmeverluste durch eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung minimiert. Der Restbedarf an Energie wird möglichst effizient und ökologisch vertretbar erzeugt.
Luftdichtheit der Gebäudehülle
Die Luftdichtheit eines Gebäudes verhindert nicht nur unnötige Wärmeverluste, sondern ist auch ein wichtiges Maß für die Qualität der Bauleistung – quasi ein Gütesiegel für die Arbeit der Handwerker. Sie wird mit einer Differenzdruckmessung, dem Blowerdoortest überprüft. Die EnEV fordert für Neubauten eine gemessene Luftwechselrate von bis zu n50=3 h-1 (bei einer Duckdifferenz von 50 Pascal wird in einer Stunde die Luft im Raum dreimal ausgetauscht). Der Passivhausstandard fordert einen Wert von 0,6 h-1. Für die Heinsberger Christuskirche samt Anbau strebte man jedoch einen Wert von 1,0 h-1 an, was bei einem Bestandsgebäude ein sehr guter Wert ist.
Dämmstandard für den Anbau
Der Neubau errichteten die Handwerker in einer für Passivhäuser üblichen Bauweise: Die Außenwände bestehen aus Kalksandsteinmauerwerk, 20 cm Dämmung mit Mineralwolle und einer Verblendung mit dunklem Klinker beziehungsweise einer Holzfassade auf der Rückseite des Anbaus. Das Flachdach ist als zweilagige Holzkonstruktion aufgebaut, um die Wärmebrücken zu minimieren.
Fenster und Sonnenschutz
Als Fenster bauten die Handwerker durchgehend dreifach verglaste Holzfenster mit Aluvorsatzschale ein. Ihr schmaler Rahmen vergrößert die Glasfläche. Wichtig war das besonders für die Kirche, wo durch die zusätzlich auf Höhe der Innenwand eingebauten Fens-
ter die ursprüngliche Kunstverglasung gut sichtbar und das gewohnte optische Erscheinungsbild erhalten bleiben sollte. Als Sonnenschutz montierten die Handwerker außenliegende Raffstores und am verglasten Windfang am Haupteingang der Kirche feststehende Lamellen.
Haustechnikkonzept
Das technische Herzstück des Passivhauses ist die kontrollierte Lüftungsanlage. Sie sorgt nicht nur dafür, dass der Abluft 84 Prozent ihrer Wärme entzogen und der Frischluft zugeführt wird, sondern auch dafür, dass vorgereinigte Frischluft zur Verfügung steht – und das bei äußerst geringem Energieverbrauch für ihren eigenen Betrieb. Nur für den Fall, dass die Wärmerückgewinnung nicht ausreicht, springt die Fußbodenheizung an. Sie wird über eine Luft-Wasser-Wämepumpe betrieben, die wiederum mit Strom aus einer Photovoltaik-Anlage mit einer Nennleistung von 15 kW auf dem Süddach der Kirche gespeist wird.
Innendämmung im Kirchenschiff
Das charakteristische Klinkermauerwerk der Fassade sollte erhalten bleiben. Also musste die Christuskirche von innen gedämmt werden. Entscheidend sind dabei die durchgehende Dämmebene entlang der Raumhülle, der vollflächige Kontakt der Dämmung zur Wandoberfläche und offenporige Anstriche beziehungsweise Beschichtungen zur Raumseite, um einen ungehinderten Feuchtetransport zu gewährleisten.
Bei der Christuskirche konnten die Handwerker auf den Einbau einer raumseitigen Dampfsperre verzichten, da sie als Dämmstoff Zellulose verwendeten, die Feuchtigkeit aufnehmen, durch Kapillaren innerhalb des Wandbauteils verteilen und wieder an den Raum abgeben kann.
Boden
Am Boden waren die Dämmmöglichkeiten sehr begrenzt, da die alte Bodenplatte bestehen bleiben sollte und kein höherer Bodenaufbau als bisher möglich war. Entsprechend musste die Dämmung eher sparsam ausfallen: Die Handwerker entfernten den alten Bodenaufbau und verlegten auf einer Feuchteabdichtung eine 6 cm dicke Dämmung.
Außenwand
An den Innenwänden montierten die Handwerker Vorsatzschalen. Den 20 cm tiefen Hohlraum zwischen Außenwand und Vorsatzschale dämmten sie anschließend mit Zellulose im Einblasverfahren. Auch an dieser Stelle haben sich Presbyterium und Kirchbauverein ganz bewusst für einen ökologisch unbedenklichen Dämmstoff entschieden, da die Zellulose aus unbehandeltem Altpapier besteht, frei von toxischen Inhaltsstoffen ist und daher jederzeit problemlos recycelt werden kann.
Fenster
Die alten Fenster der Christuskirche blieben erhalten. Für eine bessere Dämmung montierten die Handwerker auf Höhe der Innenwand zusätzlich neue, dreifachverglaste Fenster. Vom Prinzip her entsteht so ein Kastenfenster.
Decke
Auch den Hohlraum der abgehängten Decke füllten die Handwerker von innen mit einer 30 cm dicken Dämmung auf. Die Holzbalkendecke liegt vollständig auf der kalten Seite der Dämmung und ist so vor Feuchtekondensation geschützt.
Passivhaus im Bestand mit Beispielcharakter
Die Gesamtkosten des Projektes liegen bei rund 1,35 Mio. Euro. Der Hauptteil der Kosten deckte die Gemeinde durch den Verkauf eines nicht mehr benötigten Gebäudes. Außerdem fördert die Deutsche Bundesstiftung Umwelt das Projekt, da es sich um eine der ersten Sanierungen mit Innendämmung nach dem neuen Zertifizierungssystem EnerPHit („Passivhaus im Bestand“) handelt. Zudem sollen Zertifizierungskriterien abgeleitet werden, damit zukünftig vergleichbare Sanierungen besser geplant werden können. Die Heinsberger Christuskirche ist damit ein beispielhaft saniertes Gebäude, das Maßstäbe setzt für niedrigen Energieverbrauch und für das Bekenntnis zur Bewahrung der Schöpfung.
Autor
Dipl.-Ing. Christian Dahm ist Energieberater bei der EnergieAgentur.NRW in Wuppertal und dort Ansprechpartner für Kommunen, kirchliche und gemeinnützige Institutionen.
In Heinsberg wurde weltweit die erste Kirche auf Passivhausniveau energetisch saniert