KuhhandelMarkthalle mit Tragwerk aus BS-Bogenbindern in Wattwil/Schweiz
Für mehr als 100 Jahre wurde der wöchentliche Markt der Viehhändler und Bauern der Schweizer Region Toggenburg in der Lichtensteiger Kälberhalle abgehalten. Als der Gemeinderat beschloss, die alte Halle zu schließen, taten sich die Landwirte in einer Genossenschaft zusammen und beschlossen den Bau einer neuen Halle in Wattwil. Das Ingenieurbüro Walter Bieler AG aus Bonaduz entwarf in Zusammenarbeit mit Franco Pellegrini vom Büro Wickli & Partner aus Nesslau eine moderne 70 m lange und 28,5 m breite Halle, deren Tragwerk aus 18 Zweigelenk-Bogenbindern aus Brettschichtholz besteht. Diese wurden, wie auch der Rest der Holzhalle, aus so genanntem Käferholz gefertigt.
Seit September 2005 finden der Schlachtviehmarkt, der Stierenmarkt, die Braunvieh-auktion und auch die Toggenburger Misswahl – hier werden wohlgemerkt nicht etwa junge Damen, sondern die schönsten Kühe ausgezeichnet – in der neuen Viehmarkthalle in Wattwil statt. Doch die Holzhalle mit dem dreischiffigen Basilikagrundriss ist vom Tragwerksplaner Walter Bieler nicht nur als Vieh-, sondern als multifunktionale Mehrzweckhalle konzipiert worden, in der regelmäßig private Feiern, Konzerte oder Schützenfeste stattfinden.
Entwurf
Der Kontakt zwischen dem Bauherrn, der Genossenschaft Markthalle Toggenburg, und dem Tragwerksplaner Walter Bieler ergab sich eher zufällig: Bei der Preisverleihung des Wettbewerbs „Gutes Bauen in der Ostschweiz“, wo auch die von Bieler entworfene und aus Holz gebaute Laaderbrücke ausgezeichnet wurde, sprachen ihn einige Mitglieder der Genossenschaft an und erzählten vom geplanten Bau einer neuen Viehmarkthalle aus Holz in Wattwil. Der Statiker aus Bonaduz nahm den Auftrag an, empfahl jedoch aufgrund der doch recht großen Entfernung seines Ingenieurbüros zur Baustelle die Hinzuziehung eines lokalen Architekten. Hierfür konnte die Genossenschaft das Büro Wickli + Partner aus Nesslau gewinnen, dass sich in Person von Franco Pellegrini fortan um die Ausführungsplanung und die tägliche Bauleitung kümmerte.
Die Genossenschaft wünschte sich ein Gebäude, dass sowohl hinsichtlich der Form als auch der Materialien die Bautradition der Region Toggenburg aufgreift. Daher verwarf der Tragwerksplaner das seinerseits zunächst favorisierte Flachdach und entwarf eine komplett aus Holz konstruierte Halle mit flach geneigtem Satteldach, die sich zur optimalen Belichtung am Querschnitt einer dreischiffigen Basilika orientiert. Eine Basilika ist eine Halle oder Kirche, die in drei oder mehr Längsschiffe unterteilt ist, wobei das Mittelschiff deutlich höher ist als die angrenzenden Seitenschiffe. „Den Basilikaquerschnitt haben wir ganz bewusst gewählt, um die Halle optimal zu belichten“, erklärt Walter Bieler. Der Versprung zwischen dem Satteldach des Mittelschiffs und den niedrigeren Dächern der Seitenschiffe wurde auf beiden Seiten komplett verglast und bringt so viel Tageslicht ins Innere der neuen Markthalle. Die Seitenschiffe sind als Freiflächen ausgeführt, die von den Dachüberständen auf beiden Seiten auf einer Breite von 5 m überdacht werden. Hier erfolgt die Anlieferung, Wägung und Begutachtung der Nutztiere.
Eine kleine Extravaganz erlaubte sich der Architekt dann aber doch, indem er die Außenwände der Längsseiten schräg anordnete – sie neigen sich deutlich nach innen. „Die Halle stützt sich auf diese Weise breit auf dem Boden ab. Das soll die Verwurzelung Toggenburgs mit der Erde symbolisieren und auch die Standfestigkeit der hiesigen Bauern zum Ausdruck bringen“, so Walter Bieler. Diese Bauern, die ja in Form der Genossenschaft die Bauherrschaft darstellten, wollten von den schrägen Außenwänden ihrer neuen Markthalle allerdings erst einmal überzeugt werden, was dem Architekten erst mit Hilfe eines 1 : 100-Modells gelang.
Der Innenraum der Halle ist nicht unterteilt und bietet eine fast 2000 m2 große Nutzfläche. Ein kleiner, freistehender Kubus, der von der Nordseite wie eine Schublade in die Halle eingeschoben ist, beherbergt ein Restaurant mit Küche, Toiletten sowie das Büro des Hallenchefs. Das Flachdach dieser eingestellten Funktionsbox dient als Galerie, wo bei Bedarf bis zu 300 Menschen Platz finden und von hier das Geschehen in der Halle optimal überblicken können.
Die im Norden zum Dorf gerichtete Fassade ist schmaler als die eigentliche Halle und grenzt sich zudem durch die Verkleidung mit den in der Ostschweiz typischen Holzschindeln vom restlichen Baukörper ab. Von hier aus gelangt man durch den Eingang in die Funktionsbox. Der Eingang für die Tiere befindet sich hingegen auf der anderen Seite der Halle, wo eine Laderampe zu einer überdachten Freifläche führt, die durch eine zurückversetzte Wand erreicht wurde. Hier können die Kühe am Markttag, ebenso wie unter den seitlichen Dachüberständen, in versetzbaren Metallgattern präsentiert werden. „Wir wollten keine elegante Halle, sondern einen robusten, kraftvollen Bau, der eine Identität hat“, erklärt Walter Bieler. „Der endgültige Entwurf hat sich letztlich aber vor allem aus den Anforderungen der Statik ergeben.“
Tragwerk
Das Tragwerk der Viehmarkthalle besteht aus 18 Zweigelenk-Bogenbindern, die im Scheitelpunkt biegesteif verbunden sind. Sie wurden im Abstand von 3,80 m aufgestellt und überspannen eine Breite von 26 m und eine Höhe von 10 m. Die jeweils 5000 kg schweren Bindern können Lasten von bis zu 700 Tonnen tragen, die sie am Fußpunkt in zwei Meter tief gründende Streifenfundamente einleiten. „Die Bauherren wünschten ausdrücklich keine Zugbänder in der Halle. Daher erwiesen sich die Brettschichtholzbinder bei den hohen statischen Anforderungen als die preisgünstigste Lösung“, erinnert sich Walter Bieler.
Käferholz
Eine weitere Möglichkeit, Kosten zu sparen, ohne dabei auf die gewünschte hohe Qualität zu verzichten, fand sich bei der Auswahl des Bauholzes. Hier wählte man Rundholz aus Fichte, das samt und sonders in den Wäldern der Region geschlagen und zugeschnitten wurde. Die Besonderheit: Die Bauherren entschieden sich für Stämme, die allesamt vom Borkenkäfer befallen waren, so genanntes „Käferholz“. Die Larven der Käfer – bei Fichten handelt es sich meist um „Buchdrucker“ oder „Kupferstecher“ – bohren ihre Gänge in die Bastschicht, die saftführende Schicht der Rinde. Da diese Schicht die Lebensader des Baumes ist, stirbt er bei Befall meist ab. Das Holz solcher Bäume ist statisch allerdings voll tragfähig, da die Zellstruktur der Stämme von den Käfern nicht beschädigt wird – der Unterschied zu gesundem Holz besteht lediglich in einer kaum wahrnehmbaren Verfärbung. „Der Ruf des Käferholzes ist schlecht: Die Leute denken, das sei etwas Minderwertiges“, erklärt Bauleiter Franco Pellegrini vom Architekturbüro Wickli + Partner aus Nesslau. „Deshald will fast niemand dieses Käferholz haben, und so ist es günstig zu bekommen.“ Für den Bau der Viehmarkthalle verwendeten die Zimmerleute insgesamt 1250 m3 Käferholz aus den Wäldern der Region Toggenburg.
Arbeitsteilung
Der Bauherr legte großen Wert darauf, das die neue Halle von heimischen Handwerkern gebaut werden sollte. Da die Arbeiten für die eher kleinen Zimmereibetriebe der Umgebung jedoch zu umfangreich waren, entschied man sich für eine Aufteilung der Holzbauarbeiten, die letztlich von vier Zimmereien, zusammengeschlossen in der Arge Holz Wattwil, ausgeführt wurden. In dieser Kooperation war die Abderhalden Holzbau AG für die Vorfertigung und Montage der Holzrahmenwände verantwortlich, die Walter Rüegg AG für die komplette Dachkonstruktion inklusive Verblechung, die Firma Walter Pargätzi für die Fassadenverkleidung und die Bleiker Holzbau AG für die Aufrichtung des Primärtragwerks aus Brettschichtholzbindern. Lediglich für die Fertigung der Binder fand sich in der gesamten Ostschweiz kein Betrieb, so dass diese Arbeit an eine Zimmerei in Baden-Württemberg vergeben wurde. Um die großen Binder überhaupt mit dem LKW zur Baustelle transportieren zu können, wurden sie im Scheitelpunkt geteilt.
Fundamente
Während die Zimmerleute mit der Vorfertigung der Holzbauteile beschäftigt waren, stellten die Mitarbeiter der Pozzi AG auf der Baustelle bereits die beiden Streifenfundamente her, die in zwei Metern tiefe auf Naturschotter gründen. In die nach innen geneigten Oberseiten der Fundamente betonierten die Handwerker auf jeder Seite 18 Binderschuhe aus Stahl ein, in denen später die Bogenbinder mit jeweils sechs Bolzen verankert wurden. Zur Aufnahme der enormen Druckkräfte wurden die beiden Streifenfundamente zudem an fünf Punkten durch Zugstangen aus Stahl miteinander verbunden.
Aufrichten der Halle
Die Zweigelenk-Bogenbinder des Primärtragwerks mussten auf der Baustelle mit Hilfe von zwei Autokranen aufgerichtet werden: Zunächst wurden die beiden Gelenke am Binderschuh im Fundament verankert und dann mit einem Bolzen im Scheitelpunkt verbunden, den die Zimmerleute in 10 m Höhe von einem mobilen Gerüst aus montierten. Diese Verbindung besteht bei jedem der beiden Gelenke aus zwei Zugankern, die von der Unterseite durch entsprechende Schlitze in den Binder eingeschoben und mit zwölf Bolzen gesichert wurden. Diese Zuganker wurden ebenso in der Werkstatt vormontiert wie die Unterkonstruktion für das Sekundärtragwerk, die später die Druck- und Querkräfte aus dem Dach aufnimmt (siehe Bilder auf Seite 35 oben). Anschließend montierten die Zimmerleute an beiden Seiten des Binders die ebenfalls aus Brettschichtholz vorgefertigten Dreiecksträger der seitlichen Vordächer. Diese wurden mit Stahlblechen und Bolzen in das Primärtragwerk integriert.
Sobald der nächste Bogenbinder aufgerichtet war, begannen die Handwerker mit der Montage der Außenwände und des Sekundärtragwerks für die Dachkonstruktion – beide übernehmen im statischen Konzept die Funktion einer Scheibe und sorgen damit für die Lagesicherung des Primärtragwerks. Die im Achsraster des Primärtragwerks (3,80 m) vorgefertigten Holzrahmenwände wurden über eine Holzschwelle im Fundament und zusätzlich in die Bogenbindern verschraubt. Über eine Nutverbindung nehmen diese Wände auch Lasten aus den Dreiecksträgern der seitlichen Vordächer auf. Die Holzbohlen des Sekundärtragwerks hingegen wurden einfach in die Unterkonstruktion auf den Bogenbindern verschraubt. Darauf verlegten die Zimmerleute zunächst die schwarze Dampfsperre, dann eine 12 cm dicke Mineralwolledämmung und schließlich den Wetterschutz aus gefalztem Aluminiumblech. „Den haben die Handwerker nach der Einführung durch einen Spezialisten vor Ort von der Rolle gefalzt“, erinnert sich Bauleiter Pellegrini.
Fazit
Mit der neuen Viehmarkthalle ist es gelungen, den Spagat aus hochwertiger Architektur mit regionalem Einschlag, flexibler Nutzung und gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit umzusetzen. Selbst an eine mögliche Erweiterung wurde bereits gedacht: Die Fundamente ragen deshalb auf der Südseite weit aus dem heutigen Baukörper heraus.