Weit gespannt mit Holz
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
Über viele Jahrhunderte hinweg waren Zimmerleute und Baumeister durch die Länge der Baumstämme beschränkt, wenn es darum ging, Tragwerke aus Holz zu konstruieren. Für stützenfreie Geschosse dachten sich Zimmerer bereits im Barock anspruchsvolle Lösungen aus und hängten die Decken über Zangen und Zughölzer vom Dachstuhl ab. Oder sie verwendeten gebogene, aufeinandergelegte und verkeilte Balkentragwerke. So ließ sich ein Saal schon damals ohne störende Pfeiler bauen. Aber wirklich weit gespannte Tragwerke waren das noch nicht. Dies änderte sich erst, nachdem der Hofzimmermeister Otto Hetzer im Sommer des Jahres 1906 die von ihm erfundenen gebogenen und verleimten Brettschichtholzträger aus zwei oder mehr Lamellen zum Patent anmeldete. Neu daran war nicht das Verleimen von Holz, sondern die räumliche Dimension der Bauteile und die Krümmung. Das ist nun schon mehr als 100 Jahre her. Hetzer führte damals in Weimar ein Dampfsägewerk mit Zimmerei – ein Betrieb, der in Spitzenzeiten bis zu 300 Leute beschäftigte. Schon 1910 konstruierte er – das war ein Jahr vor seinem Tod – auf der Weltausstellung in Brüssel mit seinen Bindern das Tragwerk für die Reichseisenbahnhalle mit einer sensationellen Spannweite von 43 m. Das war damals Weltrekord und ist auch heute noch ein beachtliches Maß für ein weit gespanntes Tragwerk aus Holz. Wie ab Seite 30 in dieser Ausgabe der BAUHANDWERK im Detail gezeigt, wählte auch der Architekt und Tragwerksplaner Walter Bieler für die imposante Viehmarkthalle in Wattwil/Schweiz solche Binder.
Neben den aus verleimtem massiven Holz bestehenden gebogenen Brettschichtholz- beziehungsweise Holzleimbindern, etablierten sich die mit Blechverbindungen hergestellten filigranen Fachwerkträger. Insbesondere dann, wenn sehr große Binder mit einer Höhe von mehreren Metern benötigt werden, bietet sich die Verwendung eines Fachwerkträgers anstelle eines Holzleimbinders an. Sehr hohe Brettschichtholzträger bekommen bei extremen Feuchteschwankungen nämlich Quell- und Schwindprobleme. Wie ab Seite 22 in dieser Ausgabe der BAUHANDWERK in allen Einzelheiten zu sehen, ersetzten die Zimmerleute der Zimmerei Sieveke beim Bau einer Beachvolleyballhalle in Berlin die beiden ursprünglich in der Ausführungsplanung vorgesehenen Holzleimbinder gegen ebenso hohe Fachwerkbinder in Greimbauweise. Bei dieser Art der Holzverbindung für Fachwerkträger bleiben die in das Holz eingeschlitzten Verbindungsbleche unsichtbar.
Bei der ab Seite 38 in dieser Ausgabe der BAUHANDWERK vorgestellten Bauweise mit Nagelplattenbindern – die im Holzbau weitaus verbreiteter sind als Greimbinder – bleiben die Verbindungsbleche (Nagelplatten) dagegen sichtbar. All diese Binderarten bilden die Voraussetzung dafür, dass Zimmerleute heute weit gespannte Tragwerke für Hallen und Säle, aber auch für Brücken aus Holz bauen können. Von Friedrich Zollinger und anderen dem Holzbau verpflichteten Architekten, Ingenieuren und Handwerkern zu Schalen- und Raumtragwerken weiterentwickelt, haben gerade Binderkonstruktionen aus Holz ihre ganz besondere Ästhetik, der man sich nur schwer entziehen kann – warum auch, denn Holz ist ein faszinierender Werkstoff, den man, wenn es ihn von Natur aus nicht schon längst gäbe, schleunigst erfinden müsste.
Viel Erfolg bei der Arbeit wünscht Ihnen