Umnutzung des Postamts W 30 in Berlin zu Eigentumswohnungen
Zentrumsnahe Wohnungen sind in Berlin begehrt. Durch die Umnutzung und Erweiterung des Schöneberger Postgebäudes W 30 zu einem Wohnkomplex konnten knapp 130 Eigentumswohnungen mit einem Gemeinschaftsraum in der ehemaligen Schalterhalle in citynaher Lage geschaffen werden.
Die Geisbergstraße im Berliner Stadtteil Schöneberg liegt keine 15 Gehminuten entfernt von Kudamm, Tauentzienstraße und KadeWe. Das Bayerische Viertel, zu dem auch das ehemalige Postamt an eben dieser Geisbergstraße gehört, gilt mit seinen repräsentativen Gründerzeithäusern als eine der bevorzugten Wohnlagen Berlins, zentrumsnah und doch ruhig und sicher mit hoher Wohnqualität.
An der Ecke Geisbergstraße / Welserstraße hatte die Deutsche Reichspost nach Plänen des Oberpostbaurats Willy Hoffmann von 1924 bis 1926 das Postamt W30 als eines der größten Postneubauten der 1920er Jahre errichten lassen. Das bauzeitliche hohe Walmdach war allerdings im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Die expressionistisch gestaltete Klinkerfassade mit dem markanten hellen Sockel blieb hingegen weitestgehend erhalten.
Das Architekturbüro O&O Baukunst, das aus dem 2013 ausgeschriebenen, eingeschränkten Wettbewerb als Sieger hervorging, hat nun den ehemaligen Funktionsbau umgenutzt und erweitert. 129 Wohnungen zwischen 50 und 200 m2 und unterschiedlicher Typologien konnten hier auf 25 000 m2 BGF realisiert werden. Der F-förmige Grundriss des Gebäudes wurde durch eine eingeschossige Aufstockung, einen Winkel im Rückbereich sowie zwei Kopfbauten sowohl an der Geisberg- als auch an der Welserstraße ergänzt. „Unsere Idee lag darin, den Bestandsbau mit den Neubauten einzurahmen: Das Neue umarmt das Alte“, erläutert Architekt Sebastian Kablau, Projektleiter im Büro O&O Baukunst, das Entwurfskonzept. Während der Ursprungsbau aus den 1920er Jahren als Mauerwerksbau in Backsteinoptik mit einem aufgesetzten Sichtbeton-Fertigteil-Sockel errichtet wurde, nehmen die neuen An- und Aufbauten im Material Bezug auf diesen Sockel aus expressiv geformtem Betonstein mit Muschelkalkzuschlag. Der weiße Strukturputz der Neubauten ist dabei übrigens nicht Bestandteil eines Wärmedämmverbundsystems, sondern eines zweischaligen, verputzten Mauerwerks.
Den Bestand nutzen
Um das Projekt besser zu verstehen, ist es sinnvoll, zunächst einen Blick auf die Nutzungen im Gebäude zu werfen. Auch wenn es sich zum Großteil um Wohnungen handelt, gibt es dennoch ein paar Besonderheiten: So wurde aus der zentralen Schalterhalle im Erdgeschoss eine Gemeinschaftsfläche mit Fitnessraum, Küche und Concierge-Service, die auch die beiden gemeinschaftlich genutzten Innenhöfe miteinander verbindet. Zudem konnte im Flügel an der Welserstraße eine therapeutische Wohngemeinschaft bezogen werden.
Spannend ist immer die Frage, wie mit der Erdgeschossnutzung in einem Wohngebäude ohne Vorgartenzone umgegangen wird. Entlang der Geisbergstraße haben die Architekten Atelierwohnungen entwickelt, in denen das Wohnen zum Innenhof und das Arbeiten zur Straße orientiert ist. An der Straßenecke eröffnete im ehemaligen Ladenlokal mit seinen markanten großen Rundbogenfenstern ein Café.
Eine zusätzliche Auflage im Projekt war, Flächen für die weiterhin an diesem Standort untergebrachte Schaltzentrale der Telekom unterzubringen. Das war insofern nicht einfach, da in der Bauphase extreme Vorsicht in punkto Wasser und Erschütterungen geboten war. Die Zentrale funktioniert zwar ohne
Personal, ihr Betrieb musste aber über die gesamte Bauzeit zu 100 Prozent gewährleistet werden. An verschiedenen Stellen des Ensembles ist diese Sondernutzung an dauerhaft heruntergelassenem Sichtschutz erkennbar, was aber die Fassadenansichten in ihrer Gesamtheit nicht stört.
Um die Wohnflächenkapazitäten am Standort optimal auszunutzen, wurde der Bestand aufgestockt. Hierfür musste das bestehende Dach entfernt werden, um dann entlang der Geisbergstraße sowie der Welserstraße ein neues Geschoss aufsetzen zu können. „Um das zu ermöglichen, wurden die oberste Decke und die Stützen des darunterliegenden Geschosses entfernt und mit den neuen Anforderungen neu aufgebaut“, erklärt Bauingenieur Frank Dröse, Inhaber des Büros fd-ingenieure aus Berlin, das in dem Projekt für die Tragwerksplanung zuständig war. „Der untere Teil des Gebäudes konnte die zusätzlichen Lasten aufnehmen. Die Außenwände hatten ausreichende Reserven und die Stützen in der Mitte des Gebäudes wurden im Zusammenhang mit einer zusätzlichen Betoninstandsetzung verstärkt.“ Die Lastreserven in Wänden, Decken und Unterzügen stammen aus den bauzeitlich angesetzten höheren Nutzlasten von bis zu 10 kN/m2 der ursprünglich geplanten Nutzung als Post- und Telegrafenamt.
Kluge Balkonaufhängung
Eine Wohnnutzung ohne Freisitz anzubieten, ist heutzutage fast nicht denkbar, ein Denkmal mit Balkonen nachzurüsten, allerdings oft schwierig. Im Projekt Geisberg konnten die Planer gemeinsam mit dem Denkmalamt eine gute Lösung finden: Zum einen gibt es keine Balkone an der öffentlichen Straßenseite, zum anderen wurden die Balkone zum Innenhof ohne Stützen konzipiert, so dass der Blick auf die Fassaden nicht verstellt, sondern durch die spielerisch verteilten Freisitze belebt wird. Die Konstruktion der Fertigteilbalkone ist klug und schlüssig, in der Ausführung aber doch relativ aufwendig: „Die Balkonaufhängungen sind Stahlträger, die thermisch getrennt und schallisoliert die Balkone halten und äußerlich nicht sichtbar sein sollten. Damit die Balkone montiert werden konnten, lag der Anschluss der Stahlträger oberhalb der Rohdecke“, erläutert Tragwerksplaner Dröse. „Wegen ihrer Größe konnten die Stahlträger aber nicht im Fußbodenaufbau untergebracht werden und wurden daher oberhalb der Decke durch die Außenwand geführt, im Wandquerschnitt nach unten verzogen und dort innerhalb einer Ziegelreihe der Stahlsteindecke bis zur Mittelwand verlegt.“ Sie nutzen also das Gewicht der Decken, um die abhebenden Lasten aus dem Kragmoment zu kompensieren.
Ein weiterer aufwendiger Eingriff für die neue Nutzung war der Bau der Tiefgarage mit 60 Plätzen. Sie liegt unterhalb der Bestandskeller, so dass für die
Erstellung die Fundamente freigelegt wurden. Eine solche Freilegung wiederum reduziert deren Tragfähigkeit, so dass mit Hochdruckinjektionen Zementsuspensionen unter die Fundamente gepresst werden mussten. Durch die so vergrößerte Fundamentgeometrie ist die Standsicherheit nun wieder gewährleistet.
Erhalt der bauzeitlichen Farbgestaltung
Für den Denkmalschutz spielte, wie bereits angesprochen, gerade die Straßenfassade eine große Rolle. Neben dem Umgang mit den Balkonen betraf dies vor allen Dingen die Sanierung der Sockelzone, die zunächst von Graffitibemalungen gereinigt werden musste. Sockelzone, Gesimsbänder und das große Portalrelief wurden, wie auch die Ziegelflächen, gesäubert, repariert und wo notwendig ergänzt. Auch die unterschiedlichen Fensterformate werden als markantes Merkmal des Gebäudes in der Denkmaldatenbank des Landesdenkmalamtes Berlin betont. Wo es ging, wurden die äußeren Flügel der Kastenfenster aufgearbeitet und alle Innenflügel mit an den Bestand angepassten schmalen Profilen nachgebaut und somit die Fenster energetisch ertüchtigt. Im vierten Obergeschoss an der Giesbergstraße fallen runde Fenster auf. Hier mussten in die runden Rahmen rechteckige Flügel eingepasst werden, um sie als zweiten Fluchtweg in das Brandschutzkonzept einbinden zu können.
„In der Denkmalpflege hat der Erhalt der Originalsubstanz immer Priorität. Spätere Umgestaltungen werden auf ihren Denkmalwert hin geprüft. Dabei sind öffentlich zugängliche, insbesondere solche mit Repräsentationsanspruch gestaltete Bereiche, besonders wesentlich“, betont Gerrit Reitmeyer, Leiter des Fachbereichs Bauaufsicht und Untere Denkmalschutzbehörde.
Dementsprechend lag dem Denkmalamt, neben dem Eingangsfoyer und den Treppenhäusern, die ehemalige Schalterhalle mit der dort entdeckten bauzeitlichen Farbgestaltung besonders am Herzen. Die Halle war zuletzt überwiegend weiß, mit wenigen gelben und blauen Akzenten gestaltet gewesen. Die Decken waren abgehängt und die historische Bemalung mit Aluminiumfolie kaschiert worden. Diese Folie musste in mühevoller Handarbeit von der Bemalung sorgfältig gelöst werden. Die Farbgestaltung war aus den historischen Fotografien bekannt, wobei hieraus in erster Linie die Muster ablesbar waren, da es sich um Schwarz-Weiß-Fotografien handelte. Die Befundlage war aber sehr gut und diente als Grundlage der Bemusterung zur Farbwahl. Am Ende wurden auch die für den Raumeindruck durchaus relevanten Vorhänge des Gemeinschaftsraumes in seiner Farbigkeit angepasst. Das Geländer der Treppe in der Schalterhalle ist zu Teilen bauzeitlich. Die fehlenden Teile konnten nachgebaut und die ursprüngliche Farbgebung durch die Restauratoren bestimmt und wieder hergestellt werden.
Für eine weitere Bemalung, an der Decke des Haupteingangs, war die Befundlage hingegen nicht ausreichend und sollte nicht wiederhergestellt werden.
Dafür konnten hier die markanten, dreieckigen Wandfliesen erhalten werden. Sie wurden freigelegt, gesäubert, mit handgebrannten neuen Fliesen ergänzt und neu verfugt. Die Architekten griffen das Motiv auf und gestalteten die Eingänge der Neubauten im Duktus des historischen Eingangs ebenfalls mit der markanten Dreiecksform in drei Farben.
Individueller Designestrich
Die zukünftigen Wohnungseigentümer konnten übrigens zwischen einem Bodenbelag aus Holz und einem weiß-grauen Designestrich mit Natursteinzuschlägen wählen. Bei den fugenlosen, mineralischen Böden handelt es sich um handwerkliche Unikate, die individuell in unterschiedlichen Farben und Oberflächen an-
gefertigt werden. „Unsere Böden sind keine Industrieprodukte von der Stange, sondern werden unter
Baustellenbedingungen hergestellt. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Farbe und Alter des Zementes und nicht zuletzt die Tagesform des Ausführenden beeinflussen das Erscheinungsbild“, erklärt Mark Fibian, dessen Firma die Designböden im Projekt Geisberg angefertigt hat. „Jeder Boden hat seine individuelle Optik und ist nicht reproduzierbar.“
Autorin
Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Fore GBS Development, Berlin
Architektur O&O Baukunst, Berlin, ortner-ortner.com
Statik fd-ingenieure, Berlin, fd-ingenieure.de
Denkmalpflegerische Begleitung BASD Schlotter und Kruschel Architekten, Gerhard Schlotter, Berlin, basd-berlin.de
Restaurierung der Fassade und Schalterhalle Nüthen Restaurierungen, Berlin, www.nuethen.de
Restaurierung der Treppenhäuser Restaurierung am Oberbaum (RAO), Berlin, www.rao-berlin.de
Designestrich Fibian Estrichbau, Stäbelow, www.fibian-designestrich.de
Putzarbeiten Fassade Neubau Howe Bau, Berlin, howe-bau.de