Unfälle auf dem Gerüst durch persönliche Achtsamkeit vermeiden

Technische und organisatorische Verbesserungen haben die Zahl der Arbeitsunfälle stark reduziert. Trotzdem kommt es nach wie vor zu schweren Verletzungen und Todesfällen beim Arbeiten auf Baustellen. Der Anteil von Unfällen aufgrund von menschlichem Fehlverhalten steigt.

Effektiver Arbeits- und Gesundheitsschutz braucht sowohl technische als auch organisatorische und personelle Maßnahmen, um Arbeitsunfälle am Bau zu reduzieren. Vorausgehen sollten deshalb in allen Bereichen sinnvolle und nachvollziehbare Gefährdungsbeurteilungen sowie eine erhöhte Motivation der beteiligten Personen zur konsequenten Eigensicherung der Mitarbeiter. Eine wirksame Präventionskultur könnte die Unfallursachen erheblich reduzieren und viele menschliche Tragödien verhindern oder zumindest mildern.

In diesem Zusammenhang kommt dem Gerüstbau eine besondere Bedeutung zu. Kaum ein Bauwerk, egal ob es sich um einen Neubau oder eine Sanierung handelt, kann auf den Einsatz von Gerüsten verzichten. Grundsätzlich sind gerade die typischen Bauhandwerksberufe auf die Nutzung eines sicheren Gerüstes angewiesen. Und hier gilt es, die Eigenverantwortung der Beteiligten besonders zu stärken beziehungsweise dafür zu sensibilisieren, sind es doch gerade die hohen Absturz- und Unfallraten im Gerüstbau, der zusammen mit dem Dachdecker-Gewerk unter den Bauberufen die höchste Zahl an Unfalltoten zu beklagen hat. Um eine erfolgreiche Präventionskultur dauerhaft im Baustellenalltag und hier auf dem Gerüst zu implementieren, gibt es inzwischen viele Ansätze: von der regelmäßigen Schulung der Betroffenen, der Verschärfung von gesetzlichen Regeln, der technischen Optimierung von Gerüstbausystemen bis hin zur Androhung von Bestrafungen bei Fehlverhalten. Dabei ist die einfachste Lösung doch die, welche erst gar nicht zu Unfällen führen kann.

„Behavior Based Saftey“

„Je mehr man sich um die technischen Aspekte der Arbeitssicherheit bemüht, desto geringer wird die Gesamtzahl der Unfälle. Desto höher wird aber auch der relative Anteil, den menschliches Verhalten am Zustandekommen eines Unfalls hat. Die Ursache eines Unfalls ist heutzutage fast immer das Verhalten eines oder mehrerer Mitarbeiter, unabhängig davon, ob nun die Bedingungen unter denen gearbeitet wurde, eher sicherheitsfördernd oder eher unsicher waren“, schreibt Prof. Dr. Christoph Bördlein, der an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) in den Fächern Allgemeine und Klinische Psychologie sowie verhaltensorientierte Handlungslehre unterrichtet, in seinem Buch „Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit – Behavior Based Saftey“.

Nach seinen Ausführungen gehen Menschen im Arbeitsalltag bewusst Risiken ein. Sichere Verhaltensweisen haben oft unmittelbar negative Konsequenzen, sind zum Beispiel aufwändiger für die Betroffenen und führen erst langfristig zu positiven Ergebnissen durch die Vermeidung von Unfällen. Während auf Fehlverhalten bis heute viel zu häufig mit Kontrollen, Belehrungen und Bestrafungen reagiert wird, propagiert Bördlein den „Behavior Based Saftey“-Ansatz, kurz BBS. Dabei geht es nicht mehr um das Bestrafen von riskantem Verhalten, sondern darum, dass sich sicheres Verhalten für die Betroffenen lohnt: „Menschen verhalten sich dann freiwillig und gerne sicher, wenn sie erleben, dass dies anerkannt wird.“ Definieren von Verhalten und / oder Ergebnissen (Zuständen), Beobachten, Feedback geben, Ziele setzen und die sicheren Verhaltensregeln positiv verstärken sind die Kernbestandteile dieses Konzeptes, dass sich in der Praxis auch so bewährt hat. In der betrieblichen Umsetzung von Malern, Stuckateuren und anderen Bauhandwerksunternehmen liegen die Vorteile von „Behaviour Based Safety“ auf der Hand. Alle notwendigen Methoden und Instrumente zur Erhöhung der eigenverantwortlichen Sicherheit im Unternehmen beziehungsweise bei Auf- und Abbau sowie Nutzung von Gerüsten können selbst entwickelt werden. Dabei lassen sich die betriebsspezifischen Gegebenheiten unter Einbeziehung der Mitarbeiter berücksichtigen und führen zu erhöhter Motivation durch Teambildung. Das gegenseitige aufeinander Achten unterstützt kontinuierliche Verbesserungsprozesse im Unternehmen und kann die Unfallrate dauerhaft senken. Der Return on Investment (ROI) zeigt sich durch geringeren Krankenstand, besseres Betriebsklima und in einer höheren Wirtschaftlichkeit des Gerüstbaubetriebs.

Systemintegrierte Sicherheit und eigenverantwortliches Handeln

In diesem Kontext – der haftungsrechtlich sowohl den Bauherrn wie (seinen Stellvertreter) den Architekten betrifft – sind zwei Aspekte besonders wichtig und interessant: die technische Sicherheit des Gerüstes in Aufbau und Verwendung, wie sie ja nun auch in der Neufassung der TRBS 2121-1 – Gefährdung von Beschäftigten durch Absturz bei der Verwendung von Gerüsten, Technische Regel für Betriebssicherheit – erstmals festgeschrieben ist und die Planung, Vorbereitung und Ausführung eines Gerüstprojektes.

Gleichzeitig ist das Anforderungs- und Einsatzspektrum im Gerüstbau heute deutlich komplexer: Das klassische Fassadengerüst wird mehr und mehr durch den Bau von Spezialgerüsten ergänzt – zum Beispiel Trag- und Treppentürme, Brückengerüstbau oder Zugangstechniken im öffentlichen Bereich. In der Zusammenschau der oben genannten Faktoren wird deutlich, wie hoch die Ansprüche an das Pflichtenheft der Gerüsttechnik geworden sind, um dem Gerüstbauer und seinen Kunden aus den verschiedenen Gewerken ein adäquates, zukunftsgerechtes Arbeitsmittel an die Hand geben zu können. In diesem Zusammenhang zeigt der Gerüstbaukasten „Peri Up“, wie sich Arbeitssicherheit in ein System integrieren kann. Bei der Sicherheitstechnik verfolgt der konstruktive Aufbau dieses Gerüstsystems ein Prinzip aus dem modernen Geräte-, Maschinen- und Anlagenbau, das klare Parallelen zu dem TOP-Modell des Arbeitsschutzgesetzes aufweist: Sicherheitsprobleme sollen – wo und wann immer möglich – direkt an der Gefahrenquelle gelöst werden. Deshalb haben technische Sicherheitsmaßnahmen stets Vorrang vor organisatorischen oder persönlichen Schutzmaßnahmen. Drei sicherheitstechnische Aspekte standen bei der Entwicklung besonders im Vordergrund, da bei ihnen konstruktive Schwächen schnell zu Unfällen oder Gesundheitsschäden führen können: der Seitenschutz, die Gerüstbeläge und das Bauteilgewicht. Im Zusammenspiel mit achtsamer Eigenverantwortung der Gerüstnutzer in verantwortungsvollen Teams lassen sich mit dem „Peri Up“ Gerüstbaukasten auf diese Weise sichere Arbeitsplätze schaffen.

Autor

Dr. Klaus Fockenberg ist Freier Architekt und Freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Waldenbuch bei Stuttgart und unterstützt Peri bei der Pressearbeit.

Normalisierung der Abweichung


Je perfekter die Technik wird, desto mehr steigt der prozentuale Anteil von Unfällen, die auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Fehlverhalten wird schleichend zur Normalität, wenn falsche Verhaltensweisen nicht unmittelbar sanktioniert werden und nicht sofort einen Unfall auslösen. Das gilt für die Arbeit auf dem Gerüst genauso, wie für Fallschirmspringer.


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