Verschiebung der „Weissen Villa“ in Mulegns
Die Schweizer Berge in Graubünden sind eine hervorragende Gegend zum Wandern.
Doch kommt man dabei nur ein paar Meter voran, ist das nicht eben viel – außer man wiegt rund 1800 Tonnen: Am 20. August wanderte die „Weisse Villa“ in Mulegns nachts an ihren neuen Standort.
In Graubünden lässt es sich in den Schweizer Bergen hervorragend wandern. Einer der bekanntesten Wege der Region ist der Walserweg. Er folgt in 23 Etappen den Spuren der Walser durch die Hochtäler Graubündens und kommt dabei auch an Mulegns vorbei. Mit gerade mal 28 Einwohnern ist der Ort die kleinste Gemeinde des Kantons Graubünden, hat dafür aber eine einmalige architektonische und kulturhistorische Bausubtanz – und die ist bedroht.
Rettung wertvoller Bausubstanz
Aus diesem Grund erwarb die Nova Fundaziun Origen von der Familie Jegher in Mulegns zwei Gebäude, das „Post Hotel Löwe“ und die „Weisse Villa“,um beide Bauten vor der sich abzeichnenden Zerstörung zu bewahren. Während das „Post Hotel Löwe“ nach umfassender Sanierung bereits im Juli dieses Jahres wiedereröffnet wurde, verschob man die „Weisse Villa“ am 20. August dieses Jahres an ihren neuen Standort. Zwar wurde das Haus des Emigranten Jean Jegher nur um wenige Meter transloziert, doch die hatten es in sich. Gelöst wurde damit ein Problem, das die Bewohner des Ortes seit Jahrzehnten beschäftigt: Die gefährliche, für Lastwagen und Fußgänger gemeinsam schwer zu passierende Julierpassstraße zwischen der „Weissen Villa“ und dem „Rothaus“ wird nun erweitert.
Eigentlich hätte die Verschiebung ein großes Volksfest werden sollen: „Wir wollten den historischen Meilenstein in der Entwicklung von Mulegns mit Einheimischen, Zweitheimischen und Gästen feiern. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich das Fest jedoch als ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt Bauherr Dr. Giovanni Netzer, Gründer von Origen. Dies lag nicht in erster Linie an Corona, sondern daran, dass die Villa in zwei Etappen nachts verschoben werden musste und der Verkehr dabei trotzdem ungehindert weiterrollen sollte. Mietverfolgen konnte man die Translozierung per Webstream.
Ein Haus geht auf Wanderschaft
Um die Villa überhaupt bewegen zu können, musste diese zunächst vom alten Fundament getrennt werden. Die Mitarbeiter der Firma Iten aus Morgarten, die sich auf solche Arbeiten spezialisiert hat, sägten das Gebäude etwa 1 m unterhalb der Kellergewölbe durch und stellten es auf neue Füße aus Stahl und Beton. Währenddessen wurde ein neues Betonfundament gegossen, das sich mit dem alten Fundament um rund ein Drittel überlappt. Alles Voraussetzungen dafür, dass das Gebäude mit Stahlprofilen auf Rollen in der Nacht des 20. August um 8 m schräg weg von der Straße an seinen neuen Standort bewegt werden konnte.
Ein Fest wurde die Translozierung dann doch, als die „Weisse Villa“ wie ein Puppenaus auf Schienen an ihren neuen Standort fuhr, während die Sänger des Origen Festivals rätoromanische Lieder aus dem fahrenden Haus sangen und damit an das große Heimweh des Zuckerbäckerkönigs Jean Jegher aus Bordeaux erinnerten, das ihn zur Heimkehr und zum Bau der Villa bewegt hatte.
AutorDipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.