Wohnfabrik
Umnutzung des Verpackungsmittelwerks in Saalfeld in ein Wohngebäude

Bei der Umnutzung des Verpackungsmittelwerks in Saalfeld stellte das Münchner Büro k.u.g.-architekten die Wohnungen als Boxen in die Fabriketagen ein. So entstehen hinter der alten Fassade auf der Südseite aneinandergereihte Loggien und auf der Nordseite Flure als energetische Pufferzonen.

Das Gebiet um das ehemalige Verpackungsmittelwerk in Saalfeld liegt mitten in der Stadt. Noch bis 1995 wurde hier in dritter Generation produziert. Danach verschwanden die Bauten der bei den Bürgern mittlerweile ungeliebten Industriebrache. Nur das denkmalgeschützte Produktionsgebäude der Fabrik blieb stehen. Doch hätte man es 2008 sicher auch abgerissen, wenn nicht Carolin Kodisch, Odile Ullrich und Harald Gasmann vom Münchner Büro k.u.g.-architekten die Stadt Saalfeld und die Bauherrin, die AWO Kreisverwaltung Saalfeld-Rudolstadt e.V., vom Zeugniswert des Industriedenkmals und vom Potential, das dieses für eine neue Wohnnutzung für alte Menschen bietet, überzeugt hätten.

 

Neue Gebäudestruktur mit zweischaliger Klimahülle

Das 1928 nach Plänen des Architekten Ludwig Böduel erbaute Verpackungsmittelwerk hatte wie die meisten Produktionsgebäude im Laufe seiner industriellen Nutzung Anbauten und Erweiterungen erhalten. Diese mussten die Rohbauer schon vor Beginn der eigentlichen Bauarbeiten entfernen, damit der ursprüngliche Entwurf von Böduel wieder zum Vorschein kam. Für die Mitarbeiter vom Büro k.u.g.-Architekten bestand die Herausforderung bei der Planung darin, den nun freistehenden Industriebau für ein altengerechtes Wohnen barrierefrei zu erschließen und energetisch unter Erhalt der Bausubstanz zu ertüchtigen. Viele Dinge, die da miteinander in Einklang gebracht werden mussten. Doch dies ist den Architekten in hervorragender Art und Weise gelungen. „Die Lösung bestand in Wohnboxen, die wir als Haus im Haus in die Fabriketagen hineingestellt haben“, erklärt Architektin Carolin Kodisch das Entwurfskonzept. Zwischen den neuen Wohnungswänden und den alten Außenmauern entstehen so auf der Südseite aneinander gereihte Loggien und auf der Nordseite lange Wohnflure. Loggien und Flure werden zu energetischen Pufferzonen, mit denen das Gebäude den Niedrigenergiehausstandard erreicht. Dank dieser zweischaligen Klimahülle bleibt der Ursprungsbau nach außen optisch erhalten. Die neue Gebäudestruktur bietet in Verbindung mit einem Aufzug zudem ein klares barrierefreies Erschließungssystem, das obendrein auch noch so flexibel ist, dass private Freiräume – wenn es gewünscht wird – zusammen gelegt werden können. Insgesamt entstanden 23 privat genutzte Ein- und Zweizimmerwohnungen vom ersten bis zum vierten Obergeschoss. Das Erdgeschoss und das fünfte Obergeschoss werden hingegen öffentlich genutzt: In Letzterem befindet sich ein Begegnungszentrum mit Café, im Erdgeschoss wurde eine Tagespflegestation für bis zu 14 Personen eingerichtet.

 

Rückbauarbeiten und neue Erschließung

Der Rückbau betraf im Wesentlichen den zweiten, nachträglich außen angebauten Aufzugsturm und die alten Treppenanlagen im Gebäude. In den ursprünglich außen vorhandenen und daher denkmalgeschützten Aufzugsturm bauten die Handwerker den für die barrierefreie Erschließung erforderlichen neuen Aufzug ein. Auf Höhe des Aufzugsturms befindet sich innen das neue Haupttreppenhaus. Hierfür schnitten die Handwerker die Stahlbetondecken sämtlicher Fabriketagen auf und hängten mit dem Mobilkran pro Geschoss jeweils zwei einläufige Treppen mit Podesten aus Betonfertigteilen an die neue Wandscheibe aus Stahlbeton.

 

Beton- und Putzsanierung

Das Gebäude besteht aus einer Stützen-Riegel-Konstruktion aus Stahlbeton. Für die Außenwände sind die Felder dazwischen mit Ziegeln ausgemauert und von innen und außen verputzt. „Die Stahlbetonkonstruktion aus den 1920er Jahren war teils den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht“, sagt Carolin Kodisch. Daher musste eine Betonsanierung durchgeführt werden. Hierzu reinigten die Handwerker die Konstruktion im Partikeltrockenstrahlverfahren. Dort, wo der Putz im Erdgeschoss innen durchfeuchtet war, entfernten ihn die Handwerker, kehrten die betreffenden Mauerwerksflächen mit einem Stahlbesen ab und verputzten diese mit einem Sanierputz neu, der einen diffusionsoffenen Anstrich mit mineralischer Innenfarbe erhielt. Auch von außen verputzten die Handwerker das Mauerwerk inklusive der Stahlbetonbauteile neu. In Abstimmung mit der Denkmalpflege erhielt die Fassade einen Anstrich mit Silikatfarbe.

 

Sanierung und Ertüchtigung der Stahlbetondecken

Die zwischen der Stützen-Riegel-Konstruktion in Gebäudelängsrichtung gespannten Stahlbetondecken hatten eine Dicke von 10 bis 14 cm. Eine statische Ertüchtigung war nicht erforderlich. Um brandschutztechnisch für die Decken eine Betonüberdeckung zu erreichen, die dem Feuer 90 Minuten Widerstand leisten kann, verputzten die Handwerker die Deckenuntersichten 2 bis 4 cm dick mit Zementputz. „Vom Grundsatz her haben wir auf abgehängte Decken verzichtet, um das denkmalgeschützte Tragwerk erfahrbar zu machen“, erläutert Carolin Kodisch. Dies konnten die Architekten durch eine strenge und konsequente Funktionszonierung auch fast überall erreichen. Nur in den Bädern und Aufenthaltsräumen der Wohnungen montierten die Trockenbauer zur Aufnahme der Installationen abgehängte Gipskartondecken.

Auf den alten Stahlbetondecken fanden sich Stellen, die aufgrund der industriellen Nutzung mit Mineralölkohlenwasserstoffen verunreinigt waren. „Das gefährdet zwar nicht die Gesundheit, kann aber zu einer Geruchsbelästigung führen, wenn die Räume beheizt werden“, so Architektin Kodisch. Daher mussten die verölten Deckenflächen mit einer Spezialbeschichtung aus Epoxidharz gasdicht eingekapselt werden.

 

Aufbau der neuen Grundriss-Strukturen

Im Erdgeschoss befanden sich einst große Tordurchfahrten, die man zwischenzeitlich zugemauert hatte. Hier griffen die Architekten das Fensterraster der darüber liegenden Geschosse auf und dämmten die verbleibende Fassadenfläche ebenso wie die des zurückspringenden fünften Obergeschosses mit einem WDVS aus Polystyrol von außen, da hier keine Wohnboxen eingestellt werden sollten und es daher auch keine Loggien und Flure als energetische Pufferzonen gibt.

In die vier dazwischen liegenden Etagen stellten die Trockenbauer Wohnboxen aus Leichtbauwänden hinein. Hierzu nagelten die Handwerker auf das Holzständerwerk, das sie in Teilen mit horizontalen Riegeln wegen der späteren Montage der Sanitär- und Küchenelemente verstärken mussten, beidseitig eine Schicht OSB-Platten und Gipskartonplatten. Der Hohlraum dazwischen wurde mit einer Holzwolledämmung ausgefüllt. „Die Flurwand im Norden erreicht inklusive der T30-Verglasung brandschutztechnisch eine Feuerwiderstandsdauer von 30 Minuten“, sagt Carolin Kodisch. Auf der Südseite befinden sich in den nichttragenden Außenwänden der Wohnboxen große Holzfenster mit Isolierglas, die sich zu den Loggien hin öffnen lassen. Auf den verbleibenden Außenwandflächen der Boxen befestigten die Handwerker eine „Fassade“ aus Holzelementen. Über raumhohe Flügeltüren aus Holz lassen sich die Loggien untereinander öffnen, zusammenschließen oder separieren. Auf der Ost- und Westseite schließen die nichttragenden Außenwände der Wohnboxen über eine gedämmte Vorsatzschale direkt an das Bestandsmauerwerk an. Die Wohnungstrennwände errichteten die Maurer ebenso wie die zum Treppenhaus hin gedämmten Innenwände aus Kalksandsteinmauerwerk in F90.

 

Ein kluger Beitrag zum demografischen Wandel

Der Umbau des ehemaligen Verpackungsmittelwerks in Saalfeld in ein barrierefreies Wohngebäude für ältere Menschen wurde zu Beginn dieses Jahres ganz zu Recht mit dem Deutschen Bauherrenpreis Modernisierung 2011 ausgezeichnet. Die Jury sprach in ihrem Votum für die Umnutzung von einem „in jeder Hinsicht mutigen Projekt, das durch seine enge Verknüpfung von sozialer Zielsetzung, städtebaulicher Orientierung, Denkmalpflege und architektonischer Ausformung“ besticht. Ein kluger Beitrag zum demografischen Wandel, der es verstanden hat, ein altes Gebäude für die Anforderungen älterer Menschen herzurichten.

Durch die eingestellten Wohnboxen entstehen Loggien beziehungsweise Flure als energetische Pufferzonen

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Bauherr AWO-Kreisverband Saalfeld-
Rudolstadt e.V., Saalfeld 

Konzeptberatung Prof. Walter Stamm-Teske, Weimar 

Planung k.u.g.-architekten, Kodisch . Ullrich .
Gasmann, München 

Statik Ing.-Büro Dipl.-Ing. Fronzek+Gutheil, Saalfeld 

Bauphysik SRS-Ingenieure, Weimar 

Abbrucharbeiten GRA GmbH, Gera 

Rohbauarbeiten OBB Hoch- & Tiefbau GmbH;
Uhlstädt-Kirchhasel 

Betoninstandsetzungsarbeiten R&A Bau und
Bautenschutz, Saalfeld 

Abdichtungsarbeiten HKH Planitzer Holz-
und Bautenschutz, Zwickau 

Dachdeckerarbeiten Holl Flachdachbau,
Hohenleuben 

Trockenbauarbeiten Trockenbau Chemnitz, Chemnitz 

Holzfensterbau Tischlerei D. Sonntag & Söhne, Lichte 

Innenputzarbeiten euro.bau Bornemann, Chemnitz 

Außenputzarbeiten Malerfirma Peter Darnstedt, Wormstedt 

Malerarbeiten Malermeister Clauss, Greiz

Estrichlegerarbeiten Firma Amthor, Weimar

 

 

Herstellerindex (Auswahl)

 

Innenputz Baumit, Bad Hindelang, www.baumit.de 

WDVS, Außenputz und Farbe Sakret, Berlin,
www.sakret.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 05/2012

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

einst industriell genutzte Gebäude bieten ein enormes Potential, wenn es darum geht, für solche Bauten eine neue Nutzung zu finden. Dass solche Gebäude nicht selten unter Denkmalschutz stehen,...

mehr
Ausgabe 1-2/2009

Fabriken und Speicher neu genutzt Band 2 der Edition Bauhandwerk ist soeben erschienen

Im Zuge der Industrialisierung entstanden schon im 19. Jahrhundert speziell für die Produktion errichtete Gebäude: Große Fabriken lösten die kleinen Manufakturen in den Hinterhöfen ab....

mehr
Ausgabe 03/2012

Bauherrenpreis Modernisierung verliehen

Zu Beginn dieses Jahres wurden die Preise des Wohnungsbauwettbewerbs „Deutscher Bauherrenpreis 2011“ in der Kategorie Modernisierung auf der Deubau in Essen verliehen. Zehn Gebäude zeichnete die...

mehr
Ausgabe 12/2014

Die Umnutzung von Hochbunkern ist eine Bauaufgabe, die sich für alle Beteiligten lohnt

der Bau von Bunkern war hierzulande die Bauaufgabe der Kriegsjahre schlechthin. Aus der Not heraus brauchte man vor allem zu Beginn der 1940er Jahre in den deutschen Großstädten Schutzräume für...

mehr
Ausgabe 10/2011

Literaturspeicher: Umnutzung eines Getreidespeichers in Klütz

„Jerichow zu Anfang der dreißiger Jahre war eine der kleinsten Städte in Mecklenburg-Schwerin, ein Marktort mit zweitausendeinhunderteinundfünfzig Einwohnern, einwärts der Ostsee zwischen Lübeck...

mehr