Zu Besuch in der Berliner Schlossbauhütte
Zehn Jahre ist es her, dass der Bundestag beschlossen hat, das Berliner Schloss wieder aufzubauen. Seither wurde viel und kontrovers darüber diskutiert. Wir haben uns nun auf den Weg nach Berlin gemacht, um uns mit eigenen Augen vom aktuellen Stand der handwerklichen Arbeiten in der Schlossbauhütte zu überzeugen.
Zu beklagen ist aus denkmalpflegerischer Sicht sicherlich, dass die Regierung der DDR 1950 dem im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Berliner Schloss endgültig den Garaus gemacht hatte: Der real existierende Sozialismus entledigte sich radikal der barocken Königsresidenz und sprengte den Palast der Hohenzollern in die Luft. Übrig blieb zum einen das Portal an der Lustgartenseite mit dem Balkon, von dem aus Karl Liebknecht 1918 die „Sozialistische Republik“ ausgerufen hatte. Dieses integrierte man zu Beginn der 1960er Jahre kurzerhand als „Karl-Liebknecht-Portal“ in die Fassade des ehemaligen Staatsratsgebäudes. Aber selbst das Portal bestand zu diesem Zeitpunkt nur noch zu einem Fünftel aus Originalsubstanz. Anstelle des Stadtschlosses erbauten die Machthaber der DDR Mitte der 1970er Jahre den Palast der Republik, der wegen seiner extremen Belastung mit Spritzasbest bis auf den Rohbau abgetragen und schließlich vollständig abgerissen werden musste. So ist der Lauf der Geschichte – könnte man sagen. Zum anderen blieben Reste des barocken Figuren- und Fassadenschmucks zurück, die zunächst im Volkspark Friedrichshain herumlagen, sich heute in der Schlossbauhütte in Berlin-Spandau befinden und zum Teil in die Fassaden des wieder aufgebauten Berliner Schlosses integriert werden sollen, meist jedoch als Bruchstücke den Bildhauern als Vorlagen dienen.
Die Geschichte vom wieder auferstehenden Schloss
Anfang Juli 2002 beschloss der damalige Bundestag den Wiederaufbau des Berliner Schlosses mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit – 384 von 589 Abgeordneten stimmten dafür. Wir berichteten in bauhandwerk 12.2002 seinerzeit über die sehr kontroverse Diskussion. Beschlossen wurde damals die so genannte Barocklösung, die den Wiederaufbau dreier historischer Fassaden und die Rekonstruktion des Schlüterhofs beinhaltet.
Ende 2008 gewann der italienische Architekt Franco Stella dann überraschend den als Humboldt-Forum ausgeschriebenen Architekturwettbewerb um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Seither sind vier Jahre vergangen und nun ging es in diesem Jahr mit dem Bauen endlich auch richtig los: Im Juni begannen die Gründungsarbeiten und bereits im Frühjahr stellte man auf dem Bauplatz ein Stück Musterfassade im originalen Maßstab auf – das erste Werkstück aus Sandstein aus der Berliner Schlossbauhütte.
Fast 3000 Bildhauerstücke sollen es werden
Viel mehr als die Musterfassade, deren beide Geschosse mit Adler, Initialenschild und geschmückten Fenstergewänden bis zur Ballustrade reichen, wurde bisher auch noch nicht in Sandstein gehauen. Fast 3000 Bildhauerstücke sollen es aber einmal werden, wenn das Berliner Schloss 2019 für rund 590 Millionen Euro fertig gestellt sein wird. Von diesen werden 290 Stücke vorab in der Schlossbauhütte in Ton modelliert. Ein Stuckateur formt das fertige Tonmodell anschließend mit Silikon ab und gießt die Silikonform mit Gips aus. Dieser Gipsabguss dient den Steinbildhauern als Grundlage für ihre Arbeit. „130 Tonmodelle haben wir bereits abgeformt“, sagt Bertold Just, der Leiter der Schlossbauhütte, der uns entlang der Regale führt, in denen die Abgüsse lagern.
Eigentlich ist die Berliner Schlossbauhütte aber gar keine Bauhütte im klassischen Sinne, in der die Handwerker von Beginn bis Ende eines Bauvorhabens und darüber hinaus arbeiten. In Berlin-Spandau müssen sich die Bildhauer immer wieder neu für jedes Arbeitsstück freiberuflich bewerben, was daran liegt, dass es sich beim Wiederaufbau des Berliner Schlosses um ein öffentliches Bauvorhaben handelt. Jedes Werkstück wird also einzeln ausgeschrieben und zunächst in Ton modelliert.
Vom Tonmodell zum Sandstein
„Als Grundlage dienen den Modellbildhauern Schwarzweißfotografien und Pläne“, erklärt Bertold Just in einem Raum innerhalb der Schlossbauhütte, in dem ein großer Tisch voller Fotos und Pläne steht. Das Modellieren des Fassadenschmucks in feuchten Ton ist die klassische Arbeitsweise der Modellbildhauer. Eine solche Arbeit kann je nach Größe und Komplexität des Werkstücks ein halbes Jahr und mehr Zeit in Anspruch nehmen. Nebenbei hat diese Art zu arbeiten den Vorteil, dass sich der Fortschritt am Tonmodell innerhalb dieses Zeitraums immer wieder überprüfen lässt. In regelmäßigen Abständen tagt daher auch ein Expertengremium aus Architekten und Kunsthistorikern in der Schlossbauhütte, die den Modellbildhauern bei der Arbeit über die Schulter schauen und mit diesen die Details besprechen. Das Expertengremium ist umfangreich besetzt mit Vertretern aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Landesdenkmalamt Berlin, der Projektgemeinschaft des Architekten Franco Stella, der Bauhütte der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung sowie der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum. Demgegenüber arbeiten zurzeit nur vier Modellbildhauer in der Schlossbauhütte. Einen von ihnen, den Steinbildhauer Andreas Klein aus Potsdam, treffen wir im Hauptraum der Schlossbauhütte und dürfen ihm dabei zuschauen, wie er die Wappenkartusche für den Portalrisalit im Schlüterhof 1:1 in Ton modelliert. Auf einem Tisch neben seinem Arbeitspodest liegt neben Fotos auch ein kleines von ihm angefertigtes Modell der Wappenkartusche, das ebenfalls als Arbeitsvorlage dient. Er selbst wird die Wappenkartusche wohl nicht in Sandstein hauen, da ihm mehr an der künstlerischen Arbeit des Modellierens liegt. Das Übertragen der Form des Gipsabgusses mit dem Punktiergerät ist eine vor allem handwerklich sehr aufwendige und anspruchsvolle Arbeit. Daher werden einfachere Werkstücke, die es häufiger herzustellen gilt, wohl auch von einer CNC-Maschine ausgeführt. „Aber so etwas wie die Wappenkartusche für den Schlüterhof bedarf auch bei den Sandsteinarbeiten der Handschrift eines Bildhauers“, meint Bertold Just, der uns das Kopieren mit dem Punktiergerät anschließend an einem bereits abgegossenen Adler zeigt.
Der handwerkliche Aufwand solcher Arbeiten ist hoch. Wenn die Kartusche für den Schlüterhof endgültig in Stein gehauen sein wird, haben sich die Kosten für die Arbeiten auf rund 120 000 Euro summiert – ein teures, aber gleichwohl schönes Stück Handwerkskunst.
Autor
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift bauhandwerk.
Fast 3000 Bildhauerstücke sollen es einmal werden