Zurück zum Wesentlichen: Neue Galerie Kassel
Hinter der Fassade der Ende November 2011 wiedereröffneten Neuen Galerie in Kassel hat sich einiges getan. Den Bau von 1877 hatten Kriegszerstörungen und Umbauten vor allem im Inneren stark verändert. Der erneute Umbau nach Plänen von Staab Architekten aus Berlin führt das Museum formal auf seinen Ursprung zurück.
Der Entwurf der einst „Königlichen Gemäldegallerie“ an der Straße Schöne Aussicht in Kassel stammt vom Baurat Heinrich Dehn-Rotfelser. Der lehnte seinen Entwurf an die einige Jahrzehnte zuvor in München entstandene Alte Pinakothek von Leo von Klenze an: Ein in der Längsachse dreigeteilter Langbau wird von zwei ausgestellten Kopfbauten eingefasst. Als man 1871 mit dem Bau begann, war der ursprüngliche Entwurf bereits hier und da geändert. So stehen heute zum Beispiel die beiden weiblichen Trägerskulpturen (Karyatiden) im Südportal ohne eigentliche Aufgabe da: Den Balkon, den sie stützen sollten, hatte man aus Kostengründen einfach weggelassen.
Das 1877 schließlich fertiggestellte Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Zeitweise dachte man sogar über einen Abriss nach. Solche Pläne waren vom Tisch, als der damalige Direktor der staatlichen Kunstsammlungen, Erich Herzog, zu Beginn der 1960er Jahre seine Grundlinien für die Kassler Museumslandschaften vorstellte: Aus der „Alten Galerie“ sollte eine „Neue Galerie“ auch für moderne Kunst werden. Dazu sollten die städtischen mit den staatlichen Sammlungen in Kassel vereinigt werden.
Um- und Wiederaufbauarbeiten in den 1960er Jahren
Ab 1965 begannen die Um- und Wiederaufbauarbeiten. Dabei wurde das Haupttreppenhaus aus dem nordöstlichen Kopfbau (Haupteingang) in die Mitte des Langbaus verlegt. Hierzu trugen die Handwerker den Kopfbau damals komplett ab, um ihn mit nur etwa einem Drittel des Originalmaterials wieder neu aufzubauen. Damit konnte man zusätzliche Ausstellungsfläche gewinnen. Außerdem wurden die Seitenlichtkabinette, die Wandelhalle und die Loggia zu einer aneinandergereihten Raumfolge von den zentralen Ausstellungssälen abgetrennt. Die Handwerker verlegten Marmorplatten und Teppichböden und klebten Tapeten, die historische Farb-Mustervorlagen kopierten, auf die originalen Holzverschalungen. So sah das Museum noch bis in die 1990er Jahre hinein aus.
Umbau führt Bestand auf das Ursprüngliche zurück
„Ziel des Entwurfs ist es, die räumlichen Qualitäten und Eigenarten des bestehenden Gebäudes herauszuarbeiten und aus diesen zeitgemäße räumliche Sequenzen für die vorgesehenen Ausstellungsthemen zu entwickeln“, sagt Architekt Volker Staab. Das hieß für die Architekten, sich auf den ursprünglichen Entwurf zu besinnen. Also nahm man die Veränderungen durch die vorangegangenen Umbauten wieder zurück. So kehrte das Treppenhaus an seinen ursprünglichen Ort in den nordöstlichen Kopfbau zurück – allerdings an den Rand und quer zur Längsachse. Dadurch entstand viel Platz im geschossübergreifend hohen Foyer mit Ausblick auf alle Museumsebenen.
Die zentralen Ausstellungsräume im Erdgeschoss und die Oberlichtsäle im Obergeschoss werden auf einer Seite durch aneinandergereihte Seitenlichtkabinette und auf der anderen durch die Wandelhalle beziehungsweise durch die Loggia gerahmt. Durch die nun wieder geöffneten Fenster von Wandelhalle und Loggia haben die Besucher eine „Schöne Aussicht“ über die gleichnamige Straße hinweg zur Karlsaue. Mehr zu den Fenstern finden Sie ab Seite 30 in dieser Ausgabe der bauhandwerk.
Sanierung der Mauern von außen und innen
Die wesentlichen Sanierungsarbeiten galten dem Dach und der Fassade sowie dem Einbau einer zeitgemäßen Sicherheits-, Klima- und Hängetechnik. „Ursprünglich hieß es von Seiten der Denkmalpflege: die Altspuren sichtbar lassen – keine Rekonstruktion oder kosmetische Ausbesserungen der Fassade vornehmen lassen“, erinnert sich der das Projekt leitende Architekt Per Pedersen vom Büro Staab Architekten. Um die Substanz der Sandsteinfassade jedoch auf Dauer vor weiteren Schäden zu schützen, erneuerten die Handwerker in Absprache mit der Denkmalpflege viele Fugen und reparierten auch einzelne schadhafte Steinne. Innen war bis auf die Rohbauwände keine historische Substanz mehr vorhanden. Alle neu eingefügten Wände wurden gemauert oder betoniert, um möglichst viel Speichermasse ins Gebäude zu bekommen und weil dies auch der ursprünglich massiven Bauart entspricht. „Die leichten Einbauten aus den 1970er Jahren haben wir bis auf den Rohbau entfernt“, sagt Architekt Pedersen. „Die Wände wurden zum Teil mit bis zu 15 cm dickem Kalk-Zementputz neu verputzt, um lotrechte Wandoberflächen herzustellen“. Die Wände erhielten danach einen in drei Stufen nach oben hin heller werdenden Anstrich.
Klimatisierung der Ausstellungsräume
Auf dem Boden führten die Handwerker überall einen hellen, geschliffenen Beton aus, der als Heiz- und Kühlkörper fungiert. Reicht dies zur Temperierung nicht aus, können dezentral unsichtbar eingebaute Heiz- und Kühlaggregate gezielt zugeschaltet werden. Eine Besonderheit in Bezug auf die Klimatisierung stellen die Wandelhalle und die Loggia dar – beide ohne empfindliche Kunst. Hier kann über die Sonneneinstrahlung der weit geöffneten Fassade ein Temperaturplus gegenüber den Ausstellungsräumen von bis zu 3ºC erreicht werden, was die Idee unterstreicht, mit den neu zur Landschaft geöffneten Räumen Außenklima anzudeuten: Die Besucher treten aus denkühler beleuchteten Ausstellungsräumen scheinbar hinaus ins Freie.
Dachsanierung mit neuem Oberlicht
„Die Aufgabenstellung lautete, das vorhandene Oberlicht der zentralen Ausstellungsräume, das in einem so schlechten Zustand war, dass es vollständig erneuert werden musste, auf den neusten Stand der Technik zu bringen“, erinnert sich Per Pedersen. Die Architekten wollten aber nicht nur ein neues Oberlicht bauen, sondern das Dach komplett von allen Aufbauten (Schornsteinen, Lüftern usw.) befreien. Auch hier also ein Rückbau auf die ursprüngliche Form. Dennoch blieb die Arbeit am Oberlicht für die Architekten und Handwerker die Hauptbauaufgabe am Dach. Dort bauten die Handwerker im Oberlicht Prismenglas ein, das bei einem g-Wert von 0,15 Licht, aber wenig Wärme in den Dachraum lässt. Unter dem Dach befindet sich eine begehbare Wärmeschutzverglasung, an deren Tragkonstruktion eine Staubdecke aus rückseitig satinierten Kunststoffplatten hängt. Auf diesem Weg gelangt das Tageslicht über mehrere Stufen in die Ausstellungsräume im Obergeschoss, ohne diese im Sommer zu überhitzen. Gleichermaßen bildet dieser Dach- und Deckenaufbau im Zusammenspiel mit der Heiztechnik eine ökologisch sehr sinnvolle Konstruktion, weil sie Heiz- beziehungsweise Kühlkosten spart.
Planung mit Weitblick fürs Ganze
„Wir freuen uns, dass die Neue Galerie im Zuge des Umbau durch das Berliner Büro Staab Architekten vom Foyer bis zum Glasdach generalsaniert wurde und jetzt allen Anforderungen an einen zeitgemäßen Museumsbau gerecht wird“, sagte der Direktor der Museumslandschaft Kassel, Prof. Dr. Bernd Küster. Eingebettet ist die Neue Galerie in die Gesamtplanung von Albert Speer & Partner von 2005 zur Neuordnung der Kassler Museumslandschaft. Die gelungene Sanierung ist damit ein großer Schritt auf dem Weg zur Wiederbelebung einer auch baulich komplexen Kulturlandschaft. Mit der Rückbesinnung auf das Wesentliche und damit auch auf das Ursprüngliche ist dem Büro Staab Architekten der Umbau eines verstaubten Museums zu einer in jeder Hinsicht modernen Galerie gelungen.