Chancen und Risiken von Exoskeletten im Handwerk
Das Heben von schweren Lasten oder das ständige Über-Kopf-Arbeiten belastet den Körper. Exoskelette können Handwerker entlasten und die Ermüdung verzögern. Vor dem Kauf ist aber eine genaue Analyse des Arbeitsplatzes wichtig. Die BG Bau gibt Tipps und erläutert verschiedene Systeme.
Bauingenieurin Jasmin Sellner testet auf der Messe Bau in München ein Exoskelett, das beim Heben von schweren Gegenständen unterstützt
Foto: Michaela Podschun
Das Anheben der gefüllten Kiste gelingt mühelos. Beinahe federleicht bringe ich sie nach oben – unter der Beobachtung der anderen Messe-Besucher am Stand der BG Bau auf der Messe BAU in München. Das Tragen eines Exoskeletts fällt auf und ich bin schnell umringt von anderen Zuschauenden, die es ebenso testen möchten. Beim Anlegen des rückenunterstützenden Exoskeletts brauche ich Unterstützung. Aber je öfter man dies tut, desto eher kommt die Routine.
„Exoskelette machen uns aber noch nicht zum Superhelden!“, sagt Felix Brandstädt von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau). Er arbeitet im Referat Prävention BK-Ergonomie. Exoskelette entlasten bei körperlich anstrengenden Arbeiten und verzögern die Ermüdung der Muskulatur. „Aber die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter wird dadurch nicht gesteigert“, warnt er vor illusorischen Zielen. Vielmehr sollen Exoskelette Beschäftigte unterstützen und
sie wertschätzen. Es gibt Körperhaltungen, die sehr belastend sind, wie zum Beispiel Überkopf-Arbeiten, langes Stehen oder starke Vorbeugung des Rückens, wie auch beim Heben und Senken von Lasten. Exoskelette können hier den Körper stabilisieren.
Den Arbeitsplatz genau analysieren
Durch das Umleiten von Kräften, zum Beispiel beim schulterunterstützenden Exoskelett von den Armen in den Rücken und die Hüfte, werden Belastungsspitzen der besonders stark beanspruchten Körperregion reduziert. Welche Auswirkungen das jedoch auf andere Körperregionen hat, wurde bisher noch nicht ausreichend in der Praxis untersucht. „Hier brauchen wir Studien, die den ganzen Körper betrachten“, betont Felix Brandstädt.
Wichtig ist es daher zunächst, den eigenen Arbeitsplatz genau zu analysieren und zu überlegen, für welche Tätigkeit eine Unterstützung benötigt wird. „Rückenunterstützende Exoskelette haben eine Entlastungswirkung beim tiefen Vorbeugen des Rumpfes und beim Heben und Senken von Lasten“, erklärt Felix Brandstädt. Schulterunterstützende Exoskelette helfen bei Tätigkeiten mit angehobenem Arm, beispielsweise beim Malen oder Schleifen. Eine Ermüdung der Muskulatur wird verzögert.
Das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) weist daraufhin, dass Unternehmen für Arbeitsplätze, an denen Exoskelette eingesetzt werden sollen, eine Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz durchführen müssen. Das IFA hat den Entwurf einer Gefährdungsbeurteilung für Exoskelette und deren Einsatz erarbeitet.
Aktive und passive Systeme
Das rückenunterstützende Exoskelett ist ein passives System
Foto: Michaela Podschun
Bei den Exoskeletten unterscheidet man passive und aktive Systeme. Passive Exoskelette unterstützen den Körper durch mechanische Elemente wie Federn, Schienen und Gewichte. Es gibt keinen eigenständigen Antrieb. Stattdessen wird bei einer Bewegung Energie gespeichert (Bücken) und dann wieder an den Träger abgegeben (Aufrichten). Aktive Systeme verfügen über einen elektrischen oder pneumatischen Antrieb. Exoskelette werden zudem dadurch unterschieden, für welche Körperregion sie eingesetzt werden, beispielsweise für Schulter, Rücken, Hände oder Beine. „Neu sind Systeme, die eine Laufunterstützung geben“, so Brandstädt.
Um ein Exoskelett richtig anzulegen und auf den eigenen Körper individuell einstellen zu können, sei eine ausführliche Einweisung durch den Hersteller sehr wichtig, betont Brandstädt. Eine gute Vorbereitung enthält Praxiselemente, zum Beispiel das Ausprobieren der geplanten Tätigkeiten mit verschiedenen Exoskeletten auf einem Testparcours oder am besten gleich auf der Baustelle.
Risiken beachten
Zudem sollte der Mitarbeiter, der ein Exoskelett benutzt, an der arbeitsmedizinischen Vorsorge teilnehmen, um Langzeitfolgen beobachten zu können. Denn das Tragen von Exoskeletten berge auch Risiken. „Die Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt. Exoskelette verändern auch Körpermaße und der Handwerker kann irgendwo hängenbleiben oder infolge dessen auch stolpern“, zählt der BG-Bau-Experte auf. Es können sich auch Druckstellen am Körper bilden. Bei enganliegenden Systemen mit eingeschränkter Belüftung ist gerade im Sommer eine zusätzliche Belastung gegeben.
Die BG Bau informiert ausführlich über Exoskelette und auch Finanzierungsmöglichkeiten für andere ergonomische Arbeitsmittel und nutzt dafür auch Messen wie die BAU in München.
Die BG Bau bezuschusst den Kauf eines Führungswagens für Langhalsschleifer und Entstauber
Foto: Michael Meyer / BG Bau
Für das Rucksacksystem für Stangensysteme zur Fenster- und Fassadenreinigung gibt es eine Arbeitsschutzprämie. Auch der Führungswagen für Langhalsschleifer und Entstauber wird von der BG Bau bezuschusst. Der Langhalsschleifer wird auf ein Stativ des Führungswagens montiert. Gleichzeitig dient der Wagen auch der Fortbewegung des Bau-Entstaubers. Die anstrengende Überkopfarbeit, die das Schleifen von Decken und Wänden mit sich bringt, wird reduziert.
Neue Berufskrankheit
Das Heben schwerer Lasten und das ständige Über-Kopf-Arbeiten ist nicht zu unterschätzen. „Das alles beansprucht die Schultergelenke stark und kann die Rotatorenmanschette der Schulter schädigen“, heißt es von der BG Bau. Besonders betroffen sind zum Beispiel Beschäftigte im Maurer-, Maler- und Dachdeckerhandwerk und im Trockenbau. Die Rotatorenmanschette besteht aus Muskeln und Sehnen, die das Schultergelenk umschließen und stabilisieren, so die BG Bau. Sie macht darauf aufmerksam, dass seit dem 1. April 2025 die Sechste Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in Kraft ist. Mit der Verordnung wird die Schädigung der Rotatorenmanschette der Schulter in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen.
AutorinMichaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.