Umnutzung einer Brennerei mit Recycling-Ziegeln in Rheda-Wiedenbrück

Bei der Umnutzung einer ehemaligen Brennerei in Rheda-Wiedenbrück verwendeten die Maurer alte aus dem Abriss von Nebengebäuden gewonnene Ziegelsteine. Insofern nimmt der Umbau die jüngst in Kraft getretene DIN SPEC 91484 schon vorweg.

Schnaps wird in Rheda-Wiedenbrück schon seit Jahrhunderten gebrannt. Das heutige Brennereigebäude der ehemaligen Brennerei Pott-Hartwig in der Stadtmitte wurde allerdings erst von 1860 bis 1875 erbaut und nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren erweitert. Heute befinden sich im Erdgeschoss des Gebäudes eine Apotheke und im Obergeschoss zwei Wohnungen. Die Funktion als Brennerei ist aber auch nach der Umnutzung am Gebäude noch ablesbar: Die Haube für die Winde, die Fensterprofile und der aus dem Satteldach herauswachsende Lastenturm sind erhalten geblieben, obwohl das Gebäude nicht unter Denkmalschutz steht.

In der ehemaligen Brennerei Pott-Hartwig in Rheda-Wiedenbrück befindet sich heute im Erdgeschoss eine Apotheke und im Obergeschoss zwei Wohnungen. Im Hintergrund der Ziegelneubau des Ärztehauses In der ehemaligen Brennerei Pott-Hartwig in Rheda-Wiedenbrück befinden sich heute im Erdgeschoss eine Apotheke und im Obergeschoss zwei Wohnungen. Im Hintergrund der Ziegelneubau des Ärztehauses
Foto: Thomas Wieckhorst

In der ehemaligen Brennerei Pott-Hartwig in Rheda-Wiedenbrück befinden sich heute im Erdgeschoss eine Apotheke und im Obergeschoss zwei Wohnungen. Im Hintergrund der Ziegelneubau des Ärztehauses
Foto: Thomas Wieckhorst
Zum RhedaMed Gesundheitszentrum im Herzen von Rheda-Wiedenbrück gehört neben der Apotheke ein neu aus Ziegeln errichtetes Ärztehaus, das sich dem Bestand zuwendet. Der Neubau ist nach außen hin in fünf Giebelhäuser aufgelöst, die über alle Geschosse bis ins Dach hinein untereinander verbunden sind, was man von der Straßenperspektive aus aber nicht sehen kann. Das Aussehen des Neubaus passt sich so der kleinteiligen historischen Bebauung mit schmalen giebelständigen Häusern im Stadtzentrum an.

Entstanden ist der Komplex im Rahmen einer Mehrfachbeauftragung der Stadt zur Revitalisierung des seit den 1990er Jahren brach liegenden Brennereigeländes. Nach dem städtischen Masterplan 2020+ soll hier eine Kulturachse zwischen Rathaus, Schloss und Bahnhof wachsen, die Alt und Neu, Kultur, Soziales und Infrastruktur miteinander verbindet. Der Entwurf des Büros GJL+ Freie Architekten, der 2014 mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde, macht eben diesen Wunsch der Stadt zum zentralen Thema.

Abriss und Entkernung

Zunächst wurde das Brennereigebäude vom Durcheinander an Schuppen, minderwertigen Nebengebäuden und Anbauten befreit. Es folgten mehrmonatige archäologische Ausgrabungen, die einen Brunnen, Fundamente und andere Siedlungsreste zu Tage förderten. Mit Sand verfüllt sind diese unter dem Neubau erhalten geblieben.

Im Brennereigebäude musste vieles zurückgebaut werden. So mussten die alten Kupferkessel herausgeschnitten werden. Bei einem der Kessel war dies eine besondere Herausforderung, da dieser konstruktiv mit der Decke verbunden war, also selbst einen Teil der Decke bildete. Nachdem der Kessel in Stücken herausgeschnitten war, wurde das verbleibende Loch in der Decke mit Stahlbeton geschlossen.

Öffnung der Fassade

Das von Anbauten befreite Brennereigebäude vor dem Umbau Das von Anbauten befreite Brennereigebäude vor dem Umbau
Foto: GJL+ Freie Architekten

Das von Anbauten befreite Brennereigebäude vor dem Umbau
Foto: GJL+ Freie Architekten

Die Westfassade der ehemaligen Brennerei wurde mit Recycling-Ziegeln ergänzt Die Westfassade der ehemaligen Brennerei wurde mit Recycling-Ziegeln ergänzt
Foto: Kai Ostermann

Die Westfassade der ehemaligen Brennerei wurde mit Recycling-Ziegeln ergänzt
Foto: Kai Ostermann
Durch den Abriss der Anbauten hatte die Brennerei auf der Westseite eine offene Flanke. Hier waren große Teile der einstigen Ziegelschale verloren gegangen. Das eröffnete den Architekten die Möglichkeit, Eingriffe in den Bestand vorzunehmen, wo dieser ohnehin nicht mehr original vorhanden war. So konnten die Handwerker für die neue Nutzung als Apotheke im Erdgeschoss die vorhandenen Öffnungen deutlich vergrößern. Im Zuge dieser Arbeiten musste aufgrund der großen Spannweite der Öffnungen ein neuer Mauerwerkspfeiler aus Kalksandstein aufgemauert werden.

Wiederverwendung von Ziegeln

„Die Idee war von Anfang an, am Bestand mit recycelten Ziegeln zu arbeiten“, sagt Architekt Andreas Grube vom Büro GJL+ Freie Architekten. Zum Glück waren durch die Abrissarbeiten reichlich alte Ziegelsteine im Reichsformat vorhanden. Mit der Industrialisierung kam im 19. Jahrhundert das Reichsformat (25 cm × 12 cm × 6,5 cm) auf – ein Format, in dem sich Ziegelsteine industriell in großer Zahl herstellen ließen. 1872 hat man dieses Format für Ziegel in Deutschland per Gesetz eingeführt. Bis 1950 wurde der größte Teil der Ziegel im Reichsformat hergestellt, danach wurden andere Formate zum Standard.

Der Sockel besteht aus dunklen Ziegelsteinen Der Sockel besteht aus dunklen Ziegelsteinen
Foto: GJL+ Freie Architekten

Der Sockel besteht aus dunklen Ziegelsteinen
Foto: GJL+ Freie Architekten
Der Gebäudesockel wird von dunklen Ziegeln betont, während das darüber aufgehende Mauerwerk aus Ziegeln im typischen Ziegelrot besteht. Zunächst mussten die alten Ziegel von Kalkmörtelresten befreit werden. „Von vielen Ziegeln fiel der Mörtel aber fast schon von selber ab“, erinnert sich Andreas Grube. Den Rest pickelten die Handwerker mit der Hammerspitze ab. Das spricht nicht gerade für die Qualität des Mörtels, sagt aber noch nichts über die Qualität der Ziegel aus. Zunächst mauerten die Handwerker mit den alten Ziegeln Musterflächen auf. Dies diente zum einen dazu, sich über das passende Fugenbild im Klaren zu werden, zum anderen konnte so im Vorfeld mit dem Kärcher getestet werden, ob die Ziegel Materialermüdungen zeigen, also die Frage geklärt werden, ob sich die Ziegel wirklich noch verwenden lassen. „Das ist ein guter Stein gewesen. Die 170 Jahre alten Ziegel lassen sich noch heute gut vermauern. Das ist wirklich nachhaltig, wo heute doch alle Welt von Nachhaltigkeit spricht“, meint Architekt Grube. Insofern nimmt er die jüngst in Kraft getretene DIN SPEC 91484 „Bewertung der Wiederverwendbarkeit von Baumaterialien vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten“ schon vorweg.

Maurerarbeiten mit Recycling-Ziegeln Maurerarbeiten mit Recycling-Ziegeln
Foto: GJL+ Freie Architekten

Maurerarbeiten mit Recycling-Ziegeln
Foto: GJL+ Freie Architekten
Die Handwerker mauerten mit den recycelten Ziegeln die fehlenden Teile der Ziegelschale auf. „Mit dem Bauunternehmen Matthias Koch hatten wir in der Vergangenheit schon verschiedene Projekte gemacht, auch im Denkmalschutz. Hier hatten wir einen Betrieb mit Maurern, die zum einen handwerklich in der Lage sind und zum anderen unsere Ideen mittragen konnten. Da haben wir einfach Glück gehabt“, so Andreas Grube. Die fertig gemauerten Flächen wurden mit dem Kärcher heißdampfgereinigt und anschließend mit einem Kalkzementmörtel mit hohem Kalkgehalt verfugt, so dass die Ziegelfassade fast schon „zu neu“ aussieht. Trotzdem finden sich an den alten Ziegeln die Zeichen der Zeit, zum Beispiel in Form von Torfbrandeinschlüssen. Dies sind dunkel-metallische Lücken im Ziegel, die dadurch entstanden sind, dass eisenhaltiger Torf  Teil des Tons war, aus dem die Ziegel geformt wurden. Beim Brand verbrennt der Torf und hinterlässt im Ziegel eine Lücke – Fehlstellen, die man an einem neuen Ziegelstein nicht akzeptieren würde, die an den recycelten Ziegeln aber das authentisch Alte transportieren.

Neubau aus Ziegeln

Der Neubau ist nach außen hin in fünf Giebelhäuser aufgelöst, die über alle Geschosse bis ins Dach hinein untereinander verbunden sind Der Neubau ist nach außen hin in fünf Giebelhäuser aufgelöst, die über alle Geschosse bis ins Dach hinein untereinander verbunden sind
Foto: Kai Ostermann

Der Neubau ist nach außen hin in fünf Giebelhäuser aufgelöst, die über alle Geschosse bis ins Dach hinein untereinander verbunden sind
Foto: Kai Ostermann
Die alten Ziegel bilden auch die farbliche Grundlage für das aus Ziegeln errichtete Mauerwerk des Neubaus. Ein klares Bekenntnis zum ehrlichen Material Ziegel. „Wir haben hier keine hochkomplexe Wärmedämmung an die Wand geklebt, sondern einfach auch Ziegel verwendet“, sagt Andreas Grube. Die Außenschale besteht aus farbig lebendig gemischten Ziegelsteinen im Standardformat, die Innenschale aus Kalksandstein mit Mineralwolle als Kerndämmung zwischen den Schalen.

Autor

Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschrift bauhandwerk.

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Bauherr RhedaMed GmbH, Rheda-Wiedenbrück, rhedamed.com

Architekten GJL+ Freie Architekten, Gütersloh und Karlsruhe, www.gjl.de

Maurerarbeiten Bauunternehmung Matthias Koch, Gütersloh, www.bauunternehmung-koch.de

DIN SPEC 91484

Die DIN SPEC 91484 dient als Leitfaden für die Erstellung so genannter Pre-Demolition-Audits. Das Verfahren gliedert sich in zwei Stufen: eine Vor- und eine Detailprüfung. Das Dokument definiert, welche Informationen über die Bauprodukte erfasst werden müssen, um ihr individuelles Potenzial für die Anschlussnutzung zu prüfen und zu bewerten: zum Beispiel Daten zum Standort des Bauwerks, zum Baujahr, zur Gebäudeklasse und Nutzungsart. Anhand dieser Basisinformationen können erste Entscheidungen getroffen werden, ob sich Bauprodukte für eine Wiederverwendung eignen oder nicht. Danach folgt die Detailprüfung, für die Fachgutachten erstellt werden. Außerdem legt das Dokument fest, welche Akteure dieses Verfahren durchführen. Dazu gehören Architekten, Statiker, Schadstoffgutachter, Abbruchunternehmer, Bauprüfämter, der Denkmalschutz und andere.

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