Umnutzung eines Weinlagers in Basel zum Mehrfamilienhaus

Das Architekturbüro Esch Sintzel hat gemeinsam mit der Basler Stiftung Habitat aus der gesichtslosen Kiste eines in den 1950er Jahren erbauten Weinlagers für rund 40,9 Millionen Schweizer Franken ein ­lebendiges Mehrfamilienhaus mit hoher Lebensqualität gezaubert.

Wohnen im Weinlager klingt nach historischen Gewölbekellern und duftenden Weinfässern aus Holz. Nicht so im ehemaligen Weinlager im Basler Stadtteil Lysbüchel. Das in den 1950er Jahren erbaute Weinlager war bereits in den 1970er Jahren zu einem Wein-­Verteilerzentrum umgenutzt worden. Eine gesichtslose Metallkiste stand vor der jetzigen Sanierung mitten auf dem einstigen Industrieareal im Norden der Stadt. Es ist nicht einmal einen Kilometer bis zur französischen Grenze im Norden, östlich erstreckt sich der Campus des pharmazeutischen Unternehmens ­Novartis, und im Süden, Richtung Stadtzentrum, ­beginnt die Gründerzeitbebauung des nächsten ­Viertels. Die Basler Stiftung Habitat, deren Anliegen es ist, bezahlbaren Wohnraum mit hoher Lebensqualität in Basel zu schaffen, hatte das Areal 2013 von der Supermarktkette Coop erworben und 2018 einen eingeladenen Studienauftrag ausgeschrieben. Gewonnen hatte die Ausschreibung das Architekturbüro Esch Sintzel aus Zürich.

Auf dem ehemaligen Industriestandort soll nun ein vielfältiges, durchmischtes Quartier entstehen. Während es sich bei den anderen 14 Parzellen um Neubau-Projekte handelt, sollte das ehemalige Weinlager ­unbedingt erhalten und umgenutzt werden.

Rückbau und neue Erweiterung

Das coop-Verteilzentrum als gesichtslose Kiste vor der Sanierung Das coop-Verteilzentrum als gesichtslose Kiste vor der Sanierung
Foto: Raphael Schicker / Stiftung Habitat

Das coop-Verteilzentrum als gesichtslose Kiste vor der Sanierung
Foto: Raphael Schicker / Stiftung Habitat
Während des ersten Umbaus 1973 war das Gebäude stark erweitert worden. Es hatte zwei zusätzliche ­Geschosse sowie einen „Rucksack“ auf der Nordwestseite erhalten. Zudem hatte man die komplette Fassade neu gestaltet. Genau diese Erweiterungen ­wurden mit dem aktuellen Umbau wieder zurückgenommen. Die Bleche der Fassade waren in einem sehr schlechten Zustand, so dass sie, entgegen der ­ursprünglichen Planung, nicht mehr weitergenutzt werden konnten, beziehungsweise, eine Weiter­nutzung mit hohen Kosten verbunden gewesen wäre. Die Stahlstruktur im dritten Obergeschoss wiederum fiel dem Abbruchbagger zum Opfer, was an sich nicht der Absicht der Architektinnen und Architekten entsprach.

Aber auch das neue Baurecht mit neuen Baulinien, eine neue Durchwegung sowie Untersuchungen zum Lichteinfall, machten den Rückbau der Erweiterung erforderlich. Der Bestand wurde also zunächst auf die 1950er-Jahre-Struktur, mit seinen skulptural geformten Pilzstützen, zurückgeführt. „In den Stützen haben wir ein großes architektonisches Potential gesehen. Sie wurden unsere heimlichen Protagonisten“, erläutert Laurent Burnand, Projektleiter im Büro Esch Sintzel. „Sie geben dem Gebäude einen besonderen Charakter. Zudem war die gesamte Tragstruktur für hohe Lasten ausgelegt und der Beton war in sehr gutem Zustand.“

Das Tragwerk wurde auf die Konstruktion der 1950er Jahre zurückgebaut und durch Baumstammsprieße ergänzt Das Tragwerk wurde auf die Konstruktion der 1950er Jahre zurückgebaut und durch Baumstammsprieße ergänzt
Foto: Esch Sintzel Architekten

Das Tragwerk wurde auf die Konstruktion der 1950er Jahre zurückgebaut und durch Baumstammsprieße ergänzt
Foto: Esch Sintzel Architekten
22 Pilzstützen pro Geschoss des Bestandsbaus sind nun also nach wie vor Teil des Tragwerks. In den ­unteren Geschossen sind diese entsprechend der nach unten wachsenden Lasten mit 60 x 90 cm (zweites Untergeschoss) deutlich stärker dimensioniert als in den oberen Geschossen mit 45 x 45 cm (zweites Obergeschoss). Im zweiten Obergeschoss gibt es allerdings nicht mehr durchgehend Stützen, teilweise fängt ein Stahlbeton-Unterzug die Lasten ab. So war die Tragstruktur bereits in den 1950er Jahren berechnet ­worden. Zwei neue Traglinien in Form von Holzstämmen entlang der Längsseiten des Gebäudes ergänzen jetzt die Statik, denn die bestehende, tragende Fassade wurde ebenfalls abgerissen.

Auch wenn die ­Erweiterungen der 1970er Jahre rückgebaut werden mussten, durfte der dreigeschossige Bestandsbau dennoch, angepasst an die neue Baulinie und an die notwendigen Vorgaben zum Lichteinfall, wieder aufgestockt werden. Ergänzt wurden daher zwei Voll- und zwei Staffelgeschosse. Auf der obersten Ebene (sechstes Obergeschoss) befindet sich auch das so genannte „Schiffsdeck“ als überdachter Freibereich. Im zweiten Untergeschoss, mit einer Raumhöhe von 6 m, konnte im Zuge der Umnutzung eine zusätzliche Decke eingezogen werden, so dass der Bau nun über drei Untergeschosse verfügt.

Relevant ist am Standort Basel zudem die Erdbebensicherheit. Auch hier haben sich die Vorgaben ­verschärft. Aus diesem Grund wurde der Ursprungsbau nun mit zwei so genannten „Buchstützen“ an den kurzen Seiten des Gebäudes ergänzt, die gleichzeitig als Aussteifungskerne dienen. Im Grundriss sind die beiden E-förmigen  Klammern aus Stahlbeton gut zu erkennen.

Mit Sägeblatt und Wasser-Jet

Die alten Brüstungsträger zerkleinerten die Handwerker mit riesigen Sägeblättern mit einem Durchmesser von bis zu 1,50 m Die alten Brüstungsträger zerkleinerten die Handwerker mit riesigen Sägeblättern mit einem Durchmesser von bis zu 1,50 m
Foto: Esch.Sintzel Architekten

Die alten Brüstungsträger zerkleinerten die Handwerker mit riesigen Sägeblättern mit einem Durchmesser von bis zu 1,50 m
Foto: Esch.Sintzel Architekten
Wie also ging die Umsetzung auf der Baustelle vor sich? Grundsätzlich wurde das Weinlager im Prinzip von unten nach oben saniert und ergänzt. Daher begannen die Handwerker zunächst mit den Arbeiten an den Untergeschossen zwei und drei. Dazu gehörte die Ergänzung der Fundamente sowie das Einziehen neuer Wände und vor allen Dingen der neuen Zwischendecke zwischen dem dritten und zweiten Untergeschoss. Letztere musste entsprechend statisch an den Bestand, unter anderem an die Pilzstützen, angeschlossen werden. Einige Pilzstützen mussten saniert, einige wenige nachgebaut werden.

Neu gebaut wurden auch die vier Treppenhäuser, die Liftschächte und ein neuer Zivilschutzraum auf der Ostseite auf Ebene minus drei. „Um die Schutzraumanforderungen zu erfüllen, wurden die entsprechenden Bauteile als ­autonome Konstruktion innerhalb der bestehenden ­Gebäudestruktur realisiert“, erläutert hierzu Architekt Burnand. „Wir mussten hier quasi einen Raum im Raum erstellen.“ Parallel arbeiteten die Handwerker an den Untergeschossen der neuen „Buchstützen“ an den Stirnseiten.

Insbesondere an den Stellen, an denen die neuen ­Wände der Treppenhäuser und „Buchstützen“ an die bestehenden Decken angebunden werden mussten, arbeiteten die Handwerker mit der Wasser-Jet-­Methode. Hierbei trägt ein Roboter mit sehr hohem Wasserdruck den Beton ab, so dass die bestehenden ­Armierungseisen frei liegen. An diese können dann die neuen ­Bewehrungseisen angeschlossen werden. Nach dem gleichen Verfahren arbeiteten die Handwerker im ­Untergeschoss beim Deckenanschluss der neuen Zwischendecke an die Stützen und Wände. Für gröbere Arbeiten, wie dem Zerlegen langer Betonträger, kamen große Sägeblätter zum Einsatz. Die bis zu einem Durchmesser von 150 cm großen Blätter ­werden mit einer Halterung an dem Träger, den sie kürzen, befestigt und per Fernsteuerung bedient.

Im Hintergrund öffnet sich der Flurbereich am Eingang, im Vordergrund links liegt eines der neuen Treppenhäuser Im Hintergrund öffnet sich der Flurbereich am Eingang, im Vordergrund links liegt eines der neuen Treppenhäuser
Foto: Philip Heckhausen

Im Hintergrund öffnet sich der Flurbereich am Eingang, im Vordergrund links liegt eines der neuen Treppenhäuser
Foto: Philip Heckhausen
Weiter ging es dann im ersten Untergeschoss, wobei hier zusätzlich Abfangwände gebaut werden mussten, um die vertikalen Lasten, die sich aus der neuen ­Traglinie ergaben, in die bestehenden Wände und Fundamente umleiten zu können. In den oberirdischen ­Geschossen wurden ebenfalls neue Wände und Decken gegossen. Hierbei ging es überwiegend um den Weiterbau der Treppenhäuser und Buchstützen, die an die Deckenränder an den Stirnseiten angebunden werden mussten. Zudem wurden an den Längsseiten des ­Gebäudes die während der Bauzeit eingestellten Holzstamm-Sprieße gegen neue, geschälte und mit einem UV-Schutz behandelte Holzstämme ausgetauscht. Während die Sprieße allerdings nur eingestellt waren, sind die behandelten Stämme über Kopf- und Fußplatten aus Stahl mit dem neuen Randträger vergossen.

Ab dem dritten Obergeschoss beginnt dann die Aufstockung des Gebäudes, die überwiegend als massiver Skelettbau ausgeführt wurde. Bei den Brüstungen und Fassaden der Staffelgeschosse handelt es sich allerdings um eine mit Blech verkleidete Holzkonstruktion. Und im obersten Geschoss wurden der Gemeinschaftsraum und die Waschräume quasi als Holzkisten ­konzipiert. Diese werden zusammen mit der großen Dachterrasse von einer Stahlkonstruktion mit Wellblech überdacht.

Bunter Wohnungsmix

Neu sind auch die Balkone an den Längsseiten des ehemaligen Weinlagers. Diese Freisitze sind in Form einer selbsttragenden Stahlkonstruktion vor das ­Gebäude gestellt und werden von den Bewohnerinnen und Bewohnern sehr gut angenommen – genauso wie im Grunde das gesamte Gebäude.

Das Konzept lebt von einem vielfältigen Mix an ­Wohnungen und Nutzungen. So werden neben sehr unterschiedlich großen Wohnungen (1,5- bis 7,5-Zimmer-Wohnungen) auch eine Reihe an Gemeinschaftsräumen angeboten. Zudem können im Untergeschoss sieben Musik-Proberäume von den Bewohnerinnen und Bewohnern, aber auch von Externen, angemietet werden und im Erdgeschoss gibt es ein Café. In der Schweiz ist es zudem üblich, dass in Mehrfamilienhäusern die Waschmaschinen nicht in den Wohnungen stehen, sondern gemeinschaftlich nutzbare Wasch­räume angeboten werden. So gibt es im umgebauten Weinlager unter anderem zwei Waschküchen auf dem Dach, die sehr gut als zwanglose Orte der Begegnung funktionieren.

Im fünften Obergeschoss halten Stahlbetonverbundstützen das darüber liegende Geschoss
Foto: Philip Heckhausen

Im fünften Obergeschoss halten Stahlbetonverbundstützen das darüber liegende Geschoss
Foto: Philip Heckhausen
Im Gegenzug sind die Wohnungen alle relativ knapp bemessen. Die Vorgabe der Bauherrin lag hier bei 45 m2 EBF (Energiebezugsfläche) pro Bewohner. „Üblich sind in der Regel 5 bis 10 m2 mehr“, weiß auch Architekt Burnand. „Aber die Menschen scheinen dieses Haus zu lieben, so wie es ist. Es funktioniert extrem gut für die Hausgemeinschaft. Die Gemeinschaftsflächen und Räume machen die geringere Wohnfläche wieder wett.“ Offensichtlich wurden an den richtigen Orten Möglichkeiten zur Begegnung geschaffen.

Interessant ist auch, dass im ganzen Gebäude eigentlich keine Wohnung zweimal vorhanden ist. Es gibt kein Regelgeschoss und selbst die Raumhöhen sind nicht in allen Geschossen gleich.  Das spricht für die Vielfalt, macht die Arbeit auf der Baustelle allerdings zusätzlich aufwändig. Es beginnt schon damit, dass nicht alle Wohnungen auf die gleiche Weise erschlossen werden. So gibt es den durchgehenden Korridor, der im Projekt gerne als Straße, als „Rue Intérieure“, bezeichnet wird, nur im Erdgeschoss und im dritten Obergeschoss.

Von letzterem aus sind die Maisonette-­Wohnungen der dritten und vierten Etage zugänglich. Zudem werden die Wohnungen des fünften Obergeschosses über einen Laubengang erschlossen. Alle anderen Wohnungen erreicht man über die vier neuen Treppenhäuser an der Nordseite. Alle vier Treppenhäuser haben einen Aufzug, aber nur mit den beiden äußeren kann auch die Dachterrasse erreicht werden.

Fazit

Es ist den Architektinnen und Architekten gemeinsam mit der Bauherrin tatsächlich gelungen aus der gesichtslosen Kiste ein lebendiges, cooles Wohnhaus zu machen, das von den Bewohnerinnen und Bewohnern sehr gut angenommen wird. Der Umgang mit den Pilzstützen war fast wie eine Flucht nach vorn: gar nicht erst verstecken, sondern in Szene setzen, auch wenn dies teilweise zu skurrilen Situationen in den Grundrissen führt. Und es ist genau dieser Ansatz, der dem Gebäude etwas zutiefst Menschliches verleiht – kleine Ecken und Kanten, die am Ende einfach charmant und einzigartig sind.

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherrschaft Stiftung Habitat, Basel (CH),

www.stiftung-habitat.ch

Architektur Esch Sintzel GmbH, Architekten ETH BSA SIA, Zürich (CH), www.eschsintzel.ch

Baumanagement und Bauleitung Proplaning AG, Basel (CH), www.proplaning.ch

Tragwerksplanung Aerni + Aerni Ingenieure AG, Zürich (CH), www.aerniaerni.ch

Aegerter & Bosshardt AG, Basel (CH), www.aebo.ch

Bauarbeiten Marti AG, Basel (CH),

www.marti-basel.ch

Holzstützen Neue Holzbau AG, Lungern (CH),

neueholzbau.ch

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