Umwandlung einer ehemaligen Schokoladenfabrik in Dresden in ein Familienzentrum

Im Familienzentrum des Deutschen Kinderschutzbundes in der Dresdner Johannstadt wurde einst Schokolade hergestellt. Die Transformation durch das Büro Alexander Pötzsch Architekturen ist sowohl inhaltlich als auch architektonisch sehr gut gelungen.

„Das Integrative Familienzentrum des Deutschen Kinderschutzbundes e.V. in der Dresdner Johannstadt steht exemplarisch für die gelungene Transformation einer brachliegenden Industriefläche zu einem lebendigen Ort des sozialen Miteinanders“, heißt es in der Jurybegründung zur Nominierung des Projektes für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024. Besser lässt sich kaum formulieren, was diese Umnutzung einer ehemaligen Schokoladenfabrik in der Dresdner Johannstadt auszeichnet. Von Beginn an wurde hier aus dem Bestand heraus in eine nachhaltige Zukunft geplant und (um-)gebaut.

Von der einstigen Werkhalle sind nur noch die Stahlträger des Daches sowie die ehemalige Außenwand zu sehen Von der einstigen Werkhalle sind nur noch die Stahlträger des Daches sowie die ehemalige Außenwand zu sehen
Foto: Johann Husser

Von der einstigen Werkhalle sind nur noch die Stahlträger des Daches sowie die ehemalige Außenwand zu sehen
Foto: Johann Husser
Die Johannstadt ist ein stark durchmischter, bunter Stadtteil, der architektonisch nicht zuletzt durch die Plattenbauten der 1970er Jahre geprägt ist. Er ist aber auch ein Stadtteil, in dem sich viel bewegt, auch durch das Bund-Länder-Stadt-Programm „Soziale Stadt / Sozialer Zusammenhalt“. Eine wesentliche Maßnahme war die Gestaltung der neuen Lili-Elbe-Straße zu einer Geh- und Radwegverbindung mit hohen Aufenthaltsqualitäten, Sitzgelegenheiten, Sport- und Spielangeboten. An dieser Straße findet man heute auch das Integrative Familienzentrum.

Das Gebäude wurde in den 1920er Jahren als Schokoladenfabrik gebaut und fungierte nach dem Krieg als Zulieferer für die Automobilbranche sowie zur Herstellung von Betonfertigteilen. In den 1990er Jahren fand man hier informelle Musik- und Kulturangebote.  Auch der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) hatte die Räume schon einmal für einen Jugendklub angemietet. Dann allerdings stand der Bau fast 20 Jahre lang leer. Es war also eine zugewachsene Industrieruine, die das Büro Alexander Pötzsch Architekturen wiederbelebt, ergänzt und die Voraussetzungen für die Nutzung durch den Kinderschutzbund geschaffen hat, mit Büroräumen, Wohnen, einer kleinen Bibliothek, einer Wohngemeinschaft für Jugendliche, weiteren Schlafräumen sowie einem Jugendklub im Souterrain.

Neue Nutzung

Die Werkhalle, oder das, was von ihr übrig war, vor der Sanierung: eine bewachsene Industrieruine Die Werkhalle, oder das, was von ihr übrig war, vor der Sanierung: eine bewachsene Industrieruine
Foto: Alexander Pötzsch Architekturen

Die Werkhalle, oder das, was von ihr übrig war, vor der Sanierung: eine bewachsene Industrieruine
Foto: Alexander Pötzsch Architekturen
Obwohl in seiner Gebäudestruktur recht simpel, braucht es einen Moment, um den Bau in Gänze zu verstehen. So gibt es zum einen den Längsriegel mit seinen vier Geschossen, der sich von der östlichen Straßenseite in das Grundstück hinein erstreckt. An diesem lag ursprünglich die Werkhalle, die durch Wegnahme des Daches nun zum Freibereich umgewandelt wurde. Am Ende des Längsriegels sitzt ein dreigeschossiger, nahezu quadratischer Querriegel, so dass sich hieraus eine L-Form und für den Freibereich durch die erhaltene Mauer an der Südseite, eine Innenhofsituation ergibt.

Zwischen dem angrenzenden Nachbargebäude und dem Bestandsbau entstand zudem ein weiterer kleiner Innenhof, der so genannte Westhof mit direktem Zugang von einem Büro und dem Notbett-Appartement. Auf seinem Dach ist eine Terrasse, die sowohl vom darüberliegenden Geschoss des Längsriegels als auch über eine Treppe aus dem zweiten Obergeschoss erreichbar ist. Eine weitere Treppe führt von der Dachterrasse in den kleinen Westhof. Das Dach des dreigeschossigen Querriegels ist ebenfalls eine Terrasse, die von der Wohngruppe im obersten Geschoss genutzt wird.

Das Erdgeschoss, das zur Hälfte in der Erde steckt und daher eigentlich eher einem Souterraingeschoss entspricht, wird heute zum Großteil von dem Jugendtreff „Eule“ sowie als Lager und Werkstatt genutzt. Im ersten Obergeschoss sitzt im hinteren, von der Straße abgewandten Bereich, die Geschäftsstelle des DKSB. Zudem gibt es auf dieser Ebene zwei Konferenzräume, die auch für andere Veranstaltungen genutzt werden können, und die Tauschbibliothek an der Straßenseite. Im zweiten Obergeschoss liegen sowohl die Büroräume der Geschäftsstelle als auch die so genannte Trainingswohnung, eine WG, in der jeweils zwei Jugendliche dabei begleitet werden, eigenständig zu wohnen. Im neuen Obergeschoss schließlich sind weitere Schlafräume für Jugendliche der Wohngruppe untergebracht.

Strukturwandel

Auf dem Dach des Notappartements entstand eine Dachterrasse Auf dem Dach des Notappartements entstand eine Dachterrasse
Foto: Bricks don‘t lie

Auf dem Dach des Notappartements entstand eine Dachterrasse
Foto: Bricks don‘t lie
Der wesentlichste Eingriff in den Bestandsbau war sicherlich die Wegnahme des Daches (oder dem, was davon übrig war) oberhalb der ehemaligen Werkhalle. Lediglich die stählernen Unterzüge zeugen davon, dass es hier einmal ein Dach gegeben hat. Dadurch entstand der für das Zentrum so wertvolle Innenhof zwischen dem langgestreckten Riegel im Norden und der südlichen Wand, die das Dach getragen hatte und nun dem Hof eine Begrenzung und intime Atmosphäre gibt. Selbst das große Schiebetor, mit dem einst die Halle verschlossen wurde, ist erhalten.

Für die innere Struktur des Riegels ist zudem wesentlich, dass die vorhandenen Treppen gedreht, sprich ab- und in neuer Ausrichtung wiederaufgebaut wurden, um so eine sinnvolle Erschließung der zum Hof orientierten Räume zu schaffen. Während Erdgeschoss beziehungsweise Souterrain und erstes Obergeschoss „nur“ in ihren Grundrissen angepasst wurden, mussten im zweiten Obergeschoss sowohl auf der West- als auch auf der Ostseite Außenwände abgerissen und neu aufgebaut sowie alte Tür- und Fensteröffnungen zugemauert werden. Diverse Innenwände wurden als Trockenbauwände gänzlich neu gebaut, um das Gebäude als Wohn- und Verwaltungsbau nutzen zu können. Das dritte Obergeschoss schließlich wurde in Holzrahmenbauweise neu auf den Bestand gesetzt.

„Uns war sehr wichtig, all diese Entscheidungen, Eingriffe und Veränderungen ehrlich zu zeigen und doch am Ende ein stimmiges Gesamtbild zu erzielen“, so Architekt Alexander Pötzsch. „Daher haben wir uns beispielsweise an der Außenfassade für unterschiedliche Oberflächen entschieden, die farblich dennoch aufeinander abgestimmt sind: Dort, wo die alten Ziegel erhalten wurden, haben wir diese geschlämmt, die mit Hochlochziegeln ergänzten Bereiche erhielten einen Strukturputz und die Aufstockung aus Holz einen Glattputz.“ Dies ergibt teilweise ein fast puzzleartiges Bild, das den Jugendlichen zeigen soll, dass auch ein Haus seine Geschichte und seine Spuren hat, die sich heute noch ablesen lassen.

Angepasste Putzsysteme

Gut zu erkennen ist hier die Aufstockung mit den Holzwolleleichtbauplatten als Putzträger Gut zu erkennen ist hier die Aufstockung mit den Holzwolleleichtbauplatten als Putzträger
Foto: Bauunternehmung Hartmann

Gut zu erkennen ist hier die Aufstockung mit den Holzwolleleichtbauplatten als Putzträger
Foto: Bauunternehmung Hartmann
Die Anwendung der unterschiedlichen Putzsysteme gliedert sich also nicht einfach etagenweise, sondern es wurde konsequent der jeweilige Putz an den jeweiligen Untergrund angepasst. „Das Architekturbüro musste entsprechend detaillierte Pläne erstellen, um klar zu kommunizieren, auf welchen Flächen welche Putzsysteme angewendet werden sollten, so dass die ausführenden Handwerker eindeutige Informationen hatten“, erzählt Dirk Rabe, der in der Bauunternehmung Hartmann speziell die Putzarbeiten betreut hat. Da die Putze, beziehungsweise die Untergründe, unterschiedlich auf  Temperaturunterschiede und Witterungseinflüsse reagieren, mussten Trennschienen zwischen den Systemen eingelegt werden. So entstehen mögliche Risse entlang dieser Sollbruchstellen und nicht über den Flächen.

Während sich die Putze in ihrer Struktur unterscheiden, wurden sie in ihrer Farbigkeit einander angepasst. „Das Einfärben mit Pigmenten ist gerade beim Glattputz eine gewisse Herausforderung, da es immer passieren kann, dass es zu kleinen farblichen Störungen durch die Pigmente kommt“, so Bauleiter Rabe. „Mit einem abschließenden Anstrich ginge man dieser Problematik aus dem Weg. Hier war allerdings seitens des Bauherrn und des Architekturbüros kein Anstrich gewünscht.“ Diese Entscheidung passt sehr gut zu dem insgesamt sehr ehrlichen Umgang mit dem Gebäude und seinen Oberflächen, diesem Immer-zeigen-wollen-was-war-und-was-ist. So war beispielsweise auch in Absprache mit dem Auftraggeber der Schlämmputz auf den Ziegeln dünner aufgetragen worden als von der DIN vorgeschrieben, weil eben die vorgefundenen Ziegelsteine in maximaler Transparenz gezeigt werden sollten.

Entscheidungen im Einzelfall

Die Putzarbeiten gehörten zu den abschließenden Maßnahmen. Die ersten Eingriffe nach dem Rückbau waren das Trockenlegen der Außenwände, beziehungsweise das Setzen von Horizontalsperren, sowie das generelle Sanieren der Feuchteschäden im Mauerwerk und eine abschließende Abdichtung des Sockel- und Spritzwasserbereichs. Für die Sanierungen von außen wurden die erdberührten Bauteile freigelegt, gereinigt und abgedichtet und der Raum zwischen Mauerwerk und Gelände mit sickerfähigem Material verfüllt. Im Sockelbereich erhielten die Ziegelwände eine zementäre Dichtschlämme zur Abdichtung. Für das Setzen der Horizontalsperren im Bohrlochverfahren war zunächst der Innenputz entfernt, dann das Mauerwerk gesandstrahlt und loses Fugenmaterial abgetragen worden.

Die alten Treppenaufgänge mussten abgerissen und neue, gedrehte Treppenläufe in Ortbeton erstellt werden Die alten Treppenaufgänge mussten abgerissen und neue, gedrehte Treppenläufe in Ortbeton erstellt werden
Foto: Bricks don‘t lie

Die alten Treppenaufgänge mussten abgerissen und neue, gedrehte Treppenläufe in Ortbeton erstellt werden
Foto: Bricks don‘t lie
Im untersten Geschoss mussten die alten Bodenplatten aus statischen Gründen weitgehend herausgenommen werden. Zudem konnte nun unterhalb der neuen Bodenplatten eine Dämmung eingebracht werden. Die alten Treppenläufe der beiden Treppenhäuser wurden, wie erwähnt, in ihrer Ausrichtung angepasst. Die alten Treppen waren abgerissen und zwei angepasste Treppenläufe in Ortbeton erstellt worden. Daher ist auch das Dach oberhalb der Treppenhäuser aus Stahlbeton, während das übrige Dach entsprechend der Gesamtkonstruktion der Aufstockung als Holztragwerk mit Sparren und Zwischensparrendämmung gebaut ist.

Bei dem Dach des Querriegels wiederum handelt es sich ebenfalls um ein Stahlbetondach. Generell lässt sich anhand der unterschiedlichen Dach- und Deckenkonstruktionen zeigen, dass in dem Projekt immer wieder im Einzelfall entschieden wurde, was an welchem Punkt die optimale Lösung darstellt. So gibt es eine neue Decke im Querriegel, die als Ziegeleinhängedecke konstruiert wurde. Bei der Decke zwischen zweitem und drittem Obergeschoss des Längsriegels hingegen handelt es sich um einen Aufbau aus neuen Spannbetonhohldielen. Besonders markant sind die Kappendecken im Erd- und ersten Obergeschoss. Um diese in ihrer Funktion zu ertüchtigen, mussten die Kappenträger gereinigt werden und einen Korrosionsschutzanstrich erhalten. Dem geforderten Brandschutz (F60) wurde man durch Verkleidung mit einer doppelten Lage Gipsfaserplatten unterhalb der Kappenträger gerecht.

Ehrliche Architektur

Im Vordergrund gut zu erkennen: das historische Mauerwerk des Bestandes; im Hintergrund eine der neu gemauerten Massivwände Im Vordergrund gut zu erkennen: das historische Mauerwerk des Bestandes; im Hintergrund eine der neu gemauerten Massivwände
Foto: Bricks don‘t lie

Im Vordergrund gut zu erkennen: das historische Mauerwerk des Bestandes; im Hintergrund eine der neu gemauerten Massivwände
Foto: Bricks don‘t lie
Der Gedanke des Sichtbarmachens zeigt sich nicht nur an den Putzoberflächen, den erhaltenen Stahlträgern des ehemaligen Werkdaches oder den alten Schiebetoren. Er zeigt sich auch im Innenbereich: „Wir wollten die Materialien möglichst pur zeigen, in dem, was ihr Wesen ausmacht“, erläutert der Architekt. „Seien es die alten Ziegelwände, die historischen Kappendecken in den unteren Geschossen oder der Schornstein, der über alle Geschosse erhalten blieb und nun im obersten Stockwerk als Raumteiler fungiert.“

Diese Ehrlichkeit ist sicher ein wesentlicher Aspekt, der den besonderen Reiz des Projektes ausmacht. Sie wird auch bei den Jugendlichen, die dieses Gebäude nutzen, „positive Spuren“ hinterlassen.

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Baubeteiligte (Auswahl)

Bauherr Deutscher Kinderschutzbund e.V., Ortsverband Dresden

Architektur Alexander Pötzsch Architekturen, Dresden, alexanderpoetzsch.de

Projektmanagement Ingenieurbüro Ulrich Röder, Dresden, www.ib-roeder.de

Tragwerksplanung ICL Ingenieur Consult, Leipzig und Dresden, www.icl-ing.com

Rohbau-, Maurer- und Putzarbeiten Bauunter­nehmung Hartmann, Rechenberg-Bienenmühle, bauunternehmung-hartmann.net

Holzbauarbeiten Koch Dachtechnik, Wirges, www.koch-dach.de

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