Alle Arten von „Kunstputz“ waren schon vor 100 Jahren eine handwerkliche Herausforderung für Stuckateure und Maler
Putz bot von jeher die Möglichkeit, Oberflächen gestalterisch zu bearbeiten. Alfred Bohnhagen schrieb in seinem 1913 erschienenen Standardwerk „Der Stukkateur und Gipser“ gar von „Kunstputz“ und gab dem Handwerker schon damals als gut gemeinten Rat mit auf den Weg: „Es mangelt oft an geeigneten Arbeitskräften, die mit den Materialien umzugehen wissen. Daher könnte mancher Stukkateur ausreichende Beschäftigung haben, wenn er sich dieses Arbeitszweiges annimmt.“ Dem ist heute kaum etwas hinzuzufügen, denn die Ausführung historischer Putztechniken ist in den vergangenen hundert Jahren nicht gerade zum selbstverständlichen Bestandteil der täglichen Arbeit von Stuckateuren und Malern geworden. Im Gegenteil: Das wenige hierüber noch vorhandene Wissen wird in beiden Gewerken mehr und mehr verlernt. Daher haben wir diese Ausgabe der bauhandwerk dem kreativen Umgang mit modernen und historischen Putztechniken gewidmet. Denn auch heute noch reicht die Bandbreite strukturierter Putzoberflächen (wieder) von rau bis glatt: vom Spritzmörtelbewurf, den schon die Römer kannten, über den Kellenwurfputz bis zum Stucco lustro, den man so lange verdichtet, bis er glatt wie ein Spiegel ist.
Während sich die Architekten Haack + Höpfner für den Bau der Neuapostolischen Kirche in München-Laim einen solch glatten Putz als „Spatolato a calce“ wünschten, finden sich an dem vom Büro L3P Architekten in Ennetbaden entworfenen Zweifamilienhaus glatte Flächen nur um die Fenster herum in der ansonsten rau strukturierten Putzfassade.
Wie ab Seite 12 in dieser Ausgabe der bauhandwerk gezeigt, verwendeten die Mitarbeiter der Firma Bürgler für diesen rauen Putz einen Besen, mit dem sie in die noch feuchte Putzoberfläche eine horizontale Struktur drückten. Während der Besenputz seit dem 17. Jahrhundert eine hierzulande tradierte Verarbeitungstechnik ist, stammt der „Spatolato a calce“ für den Bau der Neuapostolischen Kirche – wie sich leicht denken lässt – aus Italien. Wie ab Seite 17 in diesem Heft zu sehen, arbeiteten die Stuckateure der Firma Johann Lerchl Innen- und Außenputze bei der Ausführung der italienischen Kalkspachteltechnik daher auch mit Kollegen der Firma Edil Grulay zusammen, die für die Arbeiten eigens aus Italien nach München anreisten.
Aber natürlich erfüllt Putz weitaus mehr als nur eine gestalterische Funktion: Er kann vor Witterung schützen, die Akustik verbessern, magnetisch sein oder dämmen. Wie ab Seite 22 zu sehen, kam beim Bau der Neuapostolischen Kirche in Michelfeld ein Dämmputz zum Einsatz, in den die Handwerker der Löwen Restaurierung Müller mit einer Schablone eine senkrechte Kammstruktur hineinarbeiteten.
Egal, ob es sich nun um einen besonders rauen oder glatten Putz handelt: Durch seine Arbeit hinterlässt der Stuckateur oder Maler seine Handschrift und damit eine Visitenkarte am Gebäude. Solche Visitenkarten hinterlässt Stuckateurmeister und Architekt Sebastian Rost überall in Berlin, am Deutschen Dom ebenso wie an der Staatsoper, an der er zurzeit mit seinem Team arbeitet. Wie ab Seite 52 in diesem Heft zu sehen, haben wir ihn dabei begleitet und faszinierende Eindrücke mitgebracht.
Viel Erfolg bei der Arbeit wünscht Ihnen