bauhandwerk-Serie über Strukturputze: Wie wackliger Kammzug gelingt
Die Schwierigkeit bei der Nachstellung eines wackligen Kammzugputzes, wie er an einem Jugendstil-Eckbau in der Münchner Lucile-Grahn-Straße zu finden war, bestand darin, den Putz mit all seinen „Schönheitsfehler“ zu ziehen. Mehrere Versuche waren hierzu erforderlich.
Ein Kammzugputz gilt in der Vorstellung vieler als perfekt gezogen, „schaftkantig“ und absolut geometrisch ausgeführt, so wie wir ihn im vorangegangenen Teil unserer Strukturputze-Serie in bauhandwerk 5.2024 vorgestellt haben. Am von Johann Zitter 1901 erbauten, denkmalgeschützten Jugendstil-Eckbau in der Münchner Lucile-Grahn-Straße 47 wurde jedoch ein Kammzug verputzt, der weder geradlinig gezogen wurde noch das typische Kammzugrelief besitzt. Die Struktur des Putzes macht eher den Anschein als wären die Putzarbeiten damals gewollt misslungen.
Originaler Strukturputz am Jugendstil-Eckbau in der Münchner Lucile-Grahn-Straße
Foto: Dominik Thoma
Es ist erstens keine gerade Linienführung erkennbar, die Kammzüge wirken etwas „wackelig“. Die Vermutung liegt nahe, dass der Kamm gänzlich freihändig oder zumindest mit Hilfe einer Schlagschnur durch den Oberputz gezogen worden sein könnte. Zweitens tropft an vielen Stellen das Zuschlagskorn aus den Rillen heraus. Möglicherweise wurde mit einer zu dünnen Mörtelkonsistenz angeworfen. Auf das ganze Putzbild übertragen ist festzustellen, dass kaum eine Linie des Kammes über die ganze Fassade hinweg ohne eine Unterbrechung durchläuft. Die Rillen sind übersäht von tropfenähnlichen Ausbrüchen des Kornzuschlags. Zudem scheint es so als wäre der Mörtel wegen seiner hohen Viskosität nach dem Ziehen nach unten getropft.
Die dritte Auffälligkeit ist die ungleichmäßige Schichtdicke des Kammzugs. Sie variiert von 5 bis 10 mm, wodurch die Putzfassade leicht wellig wirkt. Gründe hierfür mögen unter anderem die vorher genannten Auffälligkeiten sein, aber auch, dass der Mörtel nach dem Anwerfen offensichtlich nicht sonderlich eben vorgezogen wurde oder der Unterputz uneben war.
Gewollte oder ungewollte „Schönheitsfehler“?
Der Kammzugputz am Jugendstil-Eckbau in der Münchner Lucile-Grahn-Straße ist weder geradlinig gezogen noch besitzt er das typische Kammzugrelief
Foto: Dominik Thoma
Ob nun all diese „Schönheitsfehler“ dem Unvermögen der Putzer geschuldet sind oder ob es Zitters Intention war, mit einem freihändigen Kammzug die floralen Ornamente der Jugendstilfassade zu kontrastieren, lässt sich freilich nicht mehr feststellen. Vielleicht hatte der Architekt auch beabsichtigt, den Kammzugputz auf die organische Formensprache des Jugendstils zu übertragen. Jedenfalls wurde der Kammzug an der ganzen Fassade so einheitlich strukturiert, dass der Putzbau insgesamt einen homogenen Charakter hat.
Untersuchung des Putzes und Werkzeugs
Bei der Ortsbesichtigung in Haidhausen konnte am Objekt eine kleine Schadstelle am Putz gefunden und eine Putzprobe entnommen werden. Die augenscheinliche Analyse der zerkleinerten Putzprobe ergab eine maximale Korngröße von 5 mm. Dem Mörtel wurde ausschließlich Rundkorn zugemengt. Das Bindemittel wurde auf eine Kalkzementbasis geschätzt. Bei dem Mörtel musste es sich um eine Baustellenmischung gehandelt haben. Die Breite der Vertiefungen betrug im Mittel 5 mm, der Rillen etwa 10 mm. Zudem war der Querschnitt des Kammzugs eher zinnen- als zackenförmig. Daraus ließ sich bereits ableiten, dass der damals verwendete Kamm nicht gezackt, sondern rechenartig profiliert gewesen sein musste.
Unter Anbetracht der Ergebnisse von Recherche und Ortsanalyse war von einem einlagigen Oberputz auszugehen, der mit einem rechenartigen Kamm strukturiert wurde. In diesem Fall wurde anstatt eines Werkmörtels eine Baustellenmischung rezeptiert, die im Wesentlichen auf Kalkzement-Bindemitteln, Trasskalkzuschlägen und grobem 5 mm Rundkorn bestand.
Vorversuche zur Nachstellung des Kammzugputzes
Im Vergleich zum Original der nachgestellte wacklige Kammzugputz
Foto: Dominik Thoma
Im ersten Versuch wurde auf den Unterputz der Putzmörtel aufgetragen. Der Mörtel durfte nicht allzu stark nachgeglättet werden, damit die unterschiedlichen Schichtdicken des historischen Vorbildes imitiert werden konnten. Unmittelbar nach dem Abziehen des aufgetragenen Mörtels konnte freihändig gekämmt werden. Hierbei kam ein 30 cm breiter Putzkamm mit stählernem Blatt zum Einsatz. Die 10 cm langen, kammartig angeordneten Metallstreifen entsprachen in Breite und im Abstand zueinander der Kammzugstruktur in der Lucile-Grahn-Straße. Es wurde in eine Richtung, von links nach rechts und von oben nach unten gekämmt. Beim Ziehen überlagerten sich die Bahnen jeweils um ein paar Streifen.
Das Ergebnis des ersten Versuches war etwas ernüchternd. Im Kammzug waren weder Ausbrüche in den Rillen zu erkennen, noch wirkte die Oberfläche tropfenartig. Der Kammzug war zu geradlinig und präzise und nicht mit dem Original zu vergleichen. Daraus war zu schließen, dass erstens der Mörtel zu dick angemischt worden war und zweitens zu wenig Gesteinskorn im Mörtel gewesen war.
Im zweiten Versuch wurden genannte Anpassungen am Mörtel vorgenommen und anschließend im gleichen Prozedere verputzt wie im vorigen Versuch. Wegen der dünneren Konsistenz hatten die Rillen in der Tat etwas mehr „tropfenartiges“. Mit dem Originalputz war dies jedoch noch nicht vergleichbar. Zudem blieben die Gesteinskörner teils besser im Mörtel haften als zuvor. Da der Mörtel nach Auffassung des Teams nicht mehr dünner angerührt werden konnte, musste eine Veränderung in der Zugtechnik zum erwünschten Ziel führen. Der Mörtel blieb daher im letzten Versuch unverändert. Er wurde in der gleichen Konsistenz wie zuvor aufgetragen und abgezogen. Damit das Korn besser aus den Rillen herausfallen konnte, wurde der Kamm deutlich flacher im feuchten Mörtel gezogen als in den vorangegangenen Versuchen. Schon nach dem ersten Zug war zu erkennen, dass dies den gewünschten Effekt bringen würde, jedoch nicht so ausgeprägt wie erhofft.
Richtungswechsel beim Kammzug
In einem weiteren Versuch wurde der Kamm zusätzlich in die entgegengesetzte Richtung gezogen. Mit dem Richtungswechsel brach das Korn viel besser aus dem Mörtelgefüge heraus und erzeugte letztendlich eine Kammzugfaktur ähnlich dem Original. Ob aber ein Ziehen des Kammes in zwei Richtungen der richtige Ansatz war, muss in Anbetracht der unterschiedlichen Produktionsbedingungen hinterfragt werden. Auf einer Musterplatte kann viel einfacher in zwei verschiedene Richtungen gezogen werden als an einem gebauten Objekt, da es hier keine Unterbrechungen beim Kämmen gibt. An realen Gebäuden müsste von Öffnungen, Erkern oder Faschen immer weggezogen werden. An diese architektonischen Elemente heranzuziehen ist handwerklich nahezu unmöglich, daher muss ein Ziehen in zwei Richtungen als verwendete Technik an der Originalfassade ausgeschlossen werden. Das tropfenartige Kammzugrelief kann nur durch Ziehen aus einer Richtung und mit entsprechend rezeptiertem Mörtel erstellt worden sein.
Nachstellung des Kammzugsputzes
Basierend auf den Erkenntnissen der Vorversuche ist der Kammzugputz an der Lucile-Grahn-Straße wie folgt nachzustellen:
Als Vorbereitung zu den Oberputzarbeiten muss der Unterputz auf den Putzgrund angeworfen, abgezogen und rabottiert werden. Auf dem aufgerauten Unterputz wird der einlagige Kammzugputz ausgeführt. Für die Nachstellung des Kammzugs ist die richtige Konsistenz des Mörtels von entscheidender Bedeutung. Der Putzmörtel darf dabei nicht zu steif sein, damit sich beim Ziehen des Kammes Tropfen bilden. Das Anfertigen einer Musterfläche im Vorfeld der Putzarbeiten ist dahingehend zwingend erforderlich. Als Zuschlag wird dem Mörtel ein Rundkorn mit einem maximalen Durchmesser von 5 mm hinzugegeben. Zu beachten ist, dass die Korngröße mindestens 1 bis 2 mm kleiner sein muss als der Abstand zwischen den Metallstreifen des Kamms, damit die Körner durch den Kamm gezogen werden können.
Im ersten Versuch wurde auf den Unterputz der Putzmörtel aufgetragen. Der Mörtel durfte nicht allzu stark nachgeglättet werden, damit die unterschiedlichen Schichtdicken des historischen Vorbildes imitiert werden konnten
Foto: Dominik Thoma
Beim Kammzug in der Lucile-Grahn-Straße wurde offensichtlich keine Putzschiene verwendet. Um den Kamm dennoch waagrecht gerade ziehen zu können, empfiehlt sich der Einsatz einer Schlag- oder Führungsschnur. Mit dem Verputz wird oben an der Fassade begonnen. Dazu wird die erste Bahn um etwas mehr als die Breite des Kammes mit der Kelle aufgetragen und grob geglättet, so dass flächig eine etwa gleichmäßig dicke Schicht vorhanden ist. Bevor allerdings die großen Flächen der Fassade gekämmt werden, muss der Oberputz zuerst an den betroffenen Fensterleibungen strukturiert werden. Im Anschluss wird mit dem Stahlkamm waagrecht, immer von den Fassadenelementen, zum Beispiel Pilastern, weggezogen. Nachdem die erste Bahn gezogen ist, wird in der darunterliegenden Bahn wiederum Mörtel aufgetragen, geglättet und anschließend wieder gekämmt. Die Bahnen sollten sich untereinander leicht überlappen. Der Vorgang wird so lange wiederholt, bis die Fassadenfläche fertig verputzt und gekämmt ist. Eine Nachbehandlung der Putzoberfläche ist nicht erforderlich.
Fazit
Das Resultat der Nachstellung ist soweit zufriedenstellend. Mit entsprechendem Werkzeug und Technik konnte die Kammzugstruktur nach historischem Vorbild nachgestellt werden, wenngleich anzunehmen ist, dass die Zugtechnik nicht ganz der Originaltechnik entsprach. Abgesehen von der Erschwernis, den Mörtel inklusive Zuschläge so einzustellen, dass die typische Tropfenform beim Ziehen entsteht, ist der Kammzug im Grunde genommen leicht zu erstellen. Er kann freihändig gekämmt und als einlagiger Kammzug verputzt werden. Vergleicht man den Aufwand der Herstellung mit den üblichen Kammzugputzen, sind die genannten Einsparungen hinsichtlich Arbeitszeit und Kosten sicherlich positiv zu werten. In Zeiten von tadellos verputzten Oberflächen müsste bei diesem Kammzug sicherlich die Optik des Strukturputzes mit der Bauherrschaft abgestimmt werden, um im Nachgang keine Diskussionen über optische Mangel führen zu müssen.
In bauhandwerk 5.2024 ging es in unserer Strukturputze-Serie um scharfkantigen Kammzugputz, in bauhandwerk 7-8.2024 wird es im sechsten und letzten Teil der Serie um Nesterputz gehen.
AutorDominik Thoma ist Architekt, Maler- und Lackierermeister sowie staatlich geprüfter Farb- und Lacktechniker. Er lebt und arbeitet als Architekt und Autor in München. 2022 erschien sein Buch Münchner Strukturputze.