bauhandwerk-Serie über Strukturputze: Wie Nesterputz nachgestellt wird
Nesterputz taucht mit seinen charakteristischen „Fehlstellen“ erst ab der Mitte des 20. Jahrhundert auf. Ausgeführt wird er mit Hilfe eines Putzwerfers, der so genannten Putzhexe, Putzleier oder Putzorgel, mit der der Putz angeworfen beziehungsweise angespritzt wird.
Der denkmalgeschützte Putzbau in der Münchner Schellingstraße 7 wurde um 1853 erbaut. Im Gegensatz zu den übrigen Putzrekonstruktionen in der Strukturputze-Serie ist der Putz nicht bauzeitlich. Nesterputze fanden im spätklassizistischen München noch keine Anwendung. Der ursprüngliche Putz muss also im Zuge eines Purifizierens der Fassade durch den jetzigen Nesterputz ersetzt oder überputzt worden sein.
Obwohl Gebäude und Putz nicht derselben Bauzeit entsprechen, lohnt es sich aus zwei Gründen, den Nesterputz nachzustellen. Erstens ist die Struktur des Putzes und der Nester vergleichsweise fein und das Zuschlagskorn recht gering. Üblicherweise wirken Nesterputze viel gröber. Zweitens können die Nester im Putz auf verschiedene Weisen generiert werden. Die Übergänge zwischen Nestern und geglätteter Fläche so fließend zu gestalten wie an der viergeschossigen Lochfassade in der Schellingstraße war die größte Herausforderung.
Bei der Nachstellung des Nesterputzes wurde als erste Lagen ein gewöhnlicher Scheibenputz ausgeführt
Foto: Dominik Thoma
Da Nesterputze erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts ausgeführt wurden, ist davon auszugehen, dass an der Fassade bereits ein werksmäßig hergestellter Putz verwendet wurde. Außerdem scheint die Kornstruktur über die gesamte Straßenfassade gleich zu sein, was die These einer Verwendung von Werkmörtel festigt. Die Auswahl des Putzmörtels hing von der Art und Weise ab, wie die fleckigen Nester erzeugt werden sollten.
Nesterputz mit charakteristischen „Fehlstellen“
Nesterputze können einlagig verputzt werden. Dazu wird der Mörtel satt an die Fassade angeworfen und oberflächlich geglättet. Stellen mit weniger Material bleiben als Nester zurück. In der Regel werden Nesterputze aber dadurch erzeugt, dass zwei Lagen mit einer Putzhexe angespritzt werden, von denen die erste Lage flächig und die zweite unmittelbar im Anschluss nass-in-nass, aber nur punktuell angeworfen wird. Durch Glätten der zweiten Lage bleiben die „Fehlstellen“ unberührt, nur die punktuellen Bereiche werden von der Kelle geglättet. Übrig bleiben die charakteristischen Nester.
Die Technik des Nesterputzes ist also weitestgehend bekannt. Ziel speziell dieser Nachstellung war daher vor allem eine Neuinterpretation der Nesterputztechnik, bei der die Nester mit einer alternativen Putztechnik erzeugt werden. Zeiteffizientes Verputzen, einfache Durchführbarkeit und Verwendung werksmäßig hergestellter Putze nach aktuellem Stand der Technik spielten bei der Umsetzung eine wichtige Rolle. Obwohl ein einlagiger Verputz wahrscheinlich die günstigere Variante dargestellt hätte, entschied man sich wegen der einfacheren Ausführung für einen zweilagigen Nesterputz. Für die erste Putzlage fiel die Wahl auf den mineralischen Oberputz „Baumit Fascina SEP“ auf einer Kalk-Zement Bindemittelbasis und mit einer Körnung von 2 mm. Bei der zweiten Lage wurde bis auf eine geringere Korngröße von nur 1 mm exakt der gleiche Putz verwendet.
Neuinterpretation des Nesterputzes
Mit dem entsprechenden Material und der Ambition einer Abwandlung der gängigen Technik, wurde der Nesterputz wie folgt interpretiert:
Im Grunde genommen entspricht die erste Lage einem gewöhnlichen Scheibenputz. Für diese Technik ist mäßiges handwerkliches Geschick absolut ausreichend, jeder Putzer oder Maler ist problemlos fähig, diese geriebene Oberfläche herzustellen. Zur Strukturierung des Scheibenputzes wird der mineralische Oberputz vollflächig auf den Untergrund aufgetragen und auf Kornstärke – in diesem Fall 2 mm – abgezogen. Unmittelbar nach dem Abziehen des Mörtels muss die Oberfläche mit einer Kunststoffkelle von einem weiteren Putzer gerieben werden, so dass man die charakteristische, monotone Oberfläche des Standard-Scheiben-Putzes erhält. Parallel zum Verputz der ersten Lage wird ein dünnflüssigerer Mörtel für das eigentliche Putzfinish angemischt, da die zweite Lage direkt nass-in-nass auf den noch feuchten Scheibenputz aufgetragen werden muss.
Putzwerfer, Putzhexe, Putzleier und Putzorgel
Der Putzwerfer, die so genannte Putzhexe, Putzleier oder Putzorgel, ist im Prinzip nichts anderes als der manuell betriebene historische Vorgänger der Putzmaschine
Foto: Dominik Thoma
Zum Auftragen der zweiten Oberputzlage wird ein Putzwerfer, eine so genannte Putzhexe, Putzleier oder Putzorgel, verwendet – im Prinzip nichts anderes als der manuell betriebene historische Vorgänger der Putzmaschine. Seine Funktionsweise ist simpel: Durch Drehen einer Kurbel wird der Stahlbesen im Inneren des Gehäuses zum Rotieren gebracht. Dabei wird der dünnflüssige Mörtel, der zuvor in das schneckenartige Gehäuse gefüllt wurde, von den Stahlborsten aufgenommen und an die Fassade geschleudert.
Mit dem Putzwerfer lassen sich mehrere Lagen hintereinander anspritzen. Dadurch erhält man ein sehr feines, handwerkliches Spritzbild. Zum Erzeugen der Nester sind genau diese beiden Eigenschaften von Vorteil. Einerseits können auf Grund des feinen Spritzbildes des Putzwerfers kontrolliert genau die Flächen gespritzt werden, die im Nachgang mit der Venezianerkelle zu glätten sind und sich an der Fassade als erhabene Stellen abzeichnen. Andererseits ist es mit Hilfe des Putzwerfers möglich, den Nesterputz auf die optimale Größe und Verteilung der Nester nachzuverdichten. Zusätzlich können die Übergänge der Nester zur geglätteten Fläche besser erstellt und harte Kanten vermieden werden. Nach jedem Anspritzen mit dem Putzwerfer muss der angeworfene Mörtel mit der Venezianerkelle geglättet werden. Das Anspritzen mit dem Putzwerfer kann solange erfolgen, bis die Oberfläche des Nesterputzes fertig strukturiert ist oder keine nass-in-nass Bearbeitung mehr möglich ist.
Fazit
Mit Hilfe eines Putzwerfers nachgebildeter Nesterputz
Foto: Dominik Thoma
Das Ergebnis der Putzinterpretation ist eine attraktive Nesterputz-Oberfläche, die zum einen dem Original an der Schellingstraße ähnlich sieht und zum anderen mit einfachen Mitteln auf dem heutigen Stand der Technik hergestellt werden kann.
In bauhandwerk 6.2024 ging es im Teil 6 unserer Strukturputze-Serie um wackeligen Kammzugputz. Mit Teil 7 über Nesterputz endet unsere Strukturputze-Serie.
Autor
Dominik Thoma ist Architekt, Maler- und Lackierermeister sowie staatlich geprüfter Farb- und Lacktechniker. Er lebt und arbeitet als Architekt und Autor in München. 2022 erschien sein Buch Münchner Strukturputze.