bauhandwerk-Serie über Strukturputze: Wie sich grober Kellenstrich nachahmen lässt
Die viergeschossige Großwohnanlage entlang der Münchner Pilgersheimerstraße entstand im Stil der neuen Sachlichkeit. Die Fassade ist fast vollständig mit schneckenartigen Putzstrukturen mit grobem Kellenstrich bedeckt, die mit einer rechteckigen Kelle nachgestellt werden konnten.
An der viergeschossigen Großwohnanlage entlang der Münchner Pilgersheimerstraße fällt sofort die lebhaft strukturierte Putzfassade auf. Der langgestreckte Wohnblock mit seinen turmartig überhöhten Erkern steht unter Denkmalschutz und wurde 1928 von Hellmuth Wolff und F. Lebrecht im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfen. Das Baujahr gibt erste Aufschlüsse darüber, welcher Putz damals zum Einsatz kam. Da seinerzeit keine Werktrockenmörtel hergestellt wurden, muss eine Baustellenmischung verarbeitet worden sein. Damit der Putz möglichst lange bearbeitbar blieb und Ansätze beim Strukturieren vermieden werden konnten, ist anzunehmen, dass es sich um einen Luft- oder Trasskalkmörtel gehandelt haben muss.
Großflächig grob modellierter Putz
Der große Kellenstrich ist ein Hingucker auf jeder Fassade
Foto: Dominik Thoma
Der Strukturputz hat eine verhältnismäßig grob modellierte Oberfläche und tritt an der Fassade großflächig in Erscheinung. Die Putzfassade wird mit Ausnahme der Betongewände um Fenster und Eingänge durch kein anderes Baumaterial irritiert. Trotz seiner groben, lebhaften Faktur wirkt der Strukturputz sehr homogen. Die auffällig grüne Beschichtung der Fassade unterstreicht den organischen Charakter der Oberfläche. Damit der Putz in einer derart großen Fläche ansatzlos verarbeitet werden konnte, musste die Putztechnik bestens koordiniert und relativ effizient modelliert worden sein. Mit dem Hintergrund, dass Maschinentechnik wohl nicht zum Einsatz kam, muss an der großflächigen Putzfassade ein mannstarker Putztrupp vor Ort gewesen sein.
Daher liegt die Vermutung nahe, dass der Putz von mehreren Putzern großflächig angeworfen wurde. Die Strukturierung hingegen kann nur von ein und demselben Putzer und mit einer relativ einfachen, aber flächenerzeugenden Technik ausgeführt worden sein. Wären zwei oder mehrere Putzer beim Strukturieren zugange gewesen, würde sich dies wegen der individuellen Handschrift des Putzers an der Oberfläche abzeichnen. Ein fließender Übergang der Putzstruktur über Eck ist nicht zu erkennen. Daraus ist zu schließen, dass am selben Tag nur eine Seite der Fassade geputzt wurde und erst am nächsten Tag die ums Eck liegende Fassade. Die Kanten wurden offensichtlich leicht einander angeglichen.
Mit halbkreisförmiger Handbewegung zu schneckenartigen Putzstrukturen
Originaler Strukturputz in der Pilgersheimerstraße in München
Foto: Dominik Thoma
Die mit einer halbkreisförmigen Handbewegung erzeugten schneckenartigen Putzstrukturen prägen das Erscheinungsbild der Fassade. Im Mittel beträgt der Radius der Schnecken etwa 20 cm, bei einer maximalen Tiefe von 3 cm. Abhängig vom Putzer variieren jedoch die Schnecken in Größe und Form: Bei genauerer Betrachtung sind von Tagwerk zu Tagwerk unterschiedliche Handschriften in der Putzstruktur zu erkennen, das heißt für die Modellierung des Putzes an der gesamten Fassade wurden verschiedene Putzer eingesetzt. An einem Teil der Fassade wirken die Kellenzüge des Putzers kreisrund, am nächsten Tagwerk haben die Schnecken eher elliptische Züge. Für die Nachstellung wird daher nur ein kleiner Ausschnitt stellvertretend für das Gesamtwerk ausgewählt.
Putz mit grobem runden Gesteinskorn
Mit der rechteckigen Kelle nachgestellter Strukturputz
Fotos: Dominik Thoma
Neben den markanten Schneckenmustern ist das grobe Gesteinskorn charakteristisch. An stark bewitterten Stellen liegt das Korn frei und konnte für Proben entnommen werden. Es handelt sich um ein rundes Korn mit einer Größe von maximal 5 mm. Der Befund deckt sich mit der ersten Annahme, dass für die halbrunde Handbewegung nur ein Rundkorn in Frage kam, weil es besser mit der Kelle mitgeführt werden konnte als ein gebrochenes Korn. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass es sich beim Gesteinszuschlag um Isarkies handeln muss. Der Wohnblock befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Isar.
Ziehen der Schnecken mit rechteckiger Kelle
Beim Nachbilden wurde im ersten Schritt zunächst die Wahl der Bindemittel in Verbindung mit dem Putzwerkzeug getestet. Dabei handelt es sich um einen Werktrockenmörtel mit 5 mm Körnung und einem Zuschlag von Bruchkorn. Die Konsistenz des Mörtels ist gut kellengängig, damit die Masse gut angeworfen werden kann. Zum Ziehen der Schnecken wurde eine Spitzkelle verwendet. Beim Modellieren wurde deutlich, dass dies das falsche Werkzeug war, da die Größe des Schneckenmusters nicht dem Original entspricht. Außerdem schiebt die Spitze der Kelle den Mörtel nicht gut genug beim Schwung und zeichnet sich außerdem zu stark ab. Die damals verwendete Kelle muss also eine rechteckige Fläche gehabt haben.
Mörtel auf Trasskalk-Bindemittelbasis
Während der Bearbeitung wurde ebenfalls schnell deutlich, dass ein mineralischer Dünnlagen-Leichtputz keine Alternative darstellt. Der Mörtel bindet so rasch ab, dass kaum Zeit zum Modellieren bleibt. Bei der Größe dieser Fassade kann Werktrockenmörtel keinesfalls verwendet worden sein. Bei den nächsten Versuchen muss dieser ersetzt werden. Im nächsten Versuch wurde auf Grund der ersten Ergebnisse ein Mörtel auf Trasskalk-Bindemittelbasis angesetzt. Dabei handelt es sich um einen Normalputzmörtel nach DIN EN 998-1 auf der Basis von Trasskalk mit einer Körnung von 4,5 mm („Keim Deckputz historisch grob“). Trasskalke haben eine längere Offenzeit und können dementsprechend besser modelliert werden. In den weiteren Versuchen wurde daher mit Trasskalk verputzt.
Zuschlag sorgt für markante Oberflächentextur
Zum Ziehen der Schnecken wurde bei der Nachstellung des Strukturputzes eine Kelle mit rechteckiger Fläche verwendet
Foto: Dominik Thoma
Da die Spitzkelle das falsche Modellierwerkzeug war, wurde im zweiten Schritt mit einer Glättkelle modelliert. Mit der größeren Kellenfläche konnte ein Muster gestrichen werden, das dem Original in der Größe recht nahe ist. Jedoch unterscheiden sich die Schnecken dieses Versuches noch zu deutlich vom Muster des Originals. Daraus lässt sich schließen, dass zumindest eine größere rechteckige Kelle verwendet worden sein muss. Ob die Modellierung nun mit einer Traufel oder einer normalen Kelle ausgeführt wurde, ist schwer abzuschätzen. Mancher Putzer konnte besser mit Kellen, manch anderer besser mit Traufeln modellieren. Die Menge des Zuschlages war offensichtlich zu gering und musste im nächsten Versuch erhöht werden. Der Anteil des Kornes im Mörtel war eindeutig zu gering. Der Putz hatte noch nicht die beschriebene markante, raue Oberflächentextur erlangt.
Basierend auf den vorangegangenen Resultaten wurde die Menge des Zuschlags von etwa 30 Prozent auf etwa 60 Prozent Volumenanteile erhöht, um die nötige Grobkörnigkeit des Putzes zu erreichen. Beim Modellieren wurde eine Kelle anstatt einer Traufel verwendet. Die streichende Handbewegung konnte mit der Kelle deutlich flüssiger ausgeführt werden, so dass die Schnecken eine bessere Rundung erhielten. Auch das Ansetzen der Kelle in den feuchten Mörtel schien einfacher von der Hand zu gehen. Beim vorigen Versuch hatte die Traufel den Mörtel teils verschmiert. Es wurde angenommen, dass die Zeit zwischen Applikation und Modellieren zu knapp war. Im nächsten Versuch musste etwas mehr Zeit zum Ansteifen des Mörtels eingehalten werden.
Dennoch stellte das Ergebnis dieses Versuches eine sichtbare Verbesserung beziehungsweise Annäherung an die Originalfassade dar: Der Putz hatte durch den Mehranteil des Zuschlags eine wesentlich gröbere Anmutung erhalten. Auch die schneckenartigen Muster schienen runder und in ihrer Bewegung flüssiger in den Putz modelliert worden zu sein. Zugleich reißt die Oberfläche am Ende des Kellenschwunges ähnlich wie im Original leicht ab.
Und so wird der Putz ausgeführt
In Anbetracht aller Ergebnisse der Vorversuche, könnte der als Abwandlung eines Kellenstrichputzes ausgeführte Strukturputz folgendermaßen ausgeführt werden: Zunächst wird der Mörtel kraftvoll mit der Hand auf den Unterputz angeworfen. Dadurch wird eine hohe Adhäsion des Mörtels auf den Unterputz garantiert. Die Anwürfe sollten sich gut überdecken, damit ausreichend Mörtel zum Strukturieren des Oberputzes bleibt.
Nachdem eine ausreichend große Fläche vorgeworfen wurde und der Mörtel leicht angezogen hat, kann mit dem Modellieren diagonal von links oben nach rechts unten begonnen werden. Hierfür wird die Kelle verhältnismäßig flach, in einem Winkel von zehn bis 15 Grad zur Fassade im Mörtel angesetzt. Es folgt eine halbkreisförmige Bewegung mit der Kelle, bei der der Mörtel mitgezogen wird. Am Ende des Schwunges muss die Kelle flach und ansatzlos von der Oberfläche abgezogen werden. Beim nächsten Schwung wird die Kelle um den Radius des Kreises diagonal versetzt und wieder in die gleiche Richtung geschwungen. Die Halbkreise müssen abwechselnd oben und unten offen sein. An den vorstehenden Gasbetonfaschen muss entsprechend angearbeitet, also ohne Anpassen oder Anschließen an begrenzende Bauteile herangeführt, werden. Rasch ergibt sich ein gleichmäßiges und homogenes Oberflächenbild. Aufgrund der Größe der „Schnecken“ und der effizienten Putztechnik können daher in kürzester Zeit sehr große Fassadenflächen verputzt werden. Kleine unbeabsichtigte Fehlstellen unterstreichen die Authentizität des Putzhandwerks und sollten keineswegs nachgebessert werden. Der Strukturputz benötigt keine weitere Nachbehandlung, außer der Farbbeschichtung.
Nach dem Modellieren muss der Putz ausreichend lange trocknen, bevor er beschichtet werden kann. Als Faustregel gilt: 1 mm pro Tag. Damit Spannungsrisse während der Erhärtung vermieden werden, sollte der Putz nicht direktem Sonnenlicht ausgesetzt sein. Notfalls müssen Fassadenflächen mit Sonnenschutz am Gerüst vor zu schnellem Trocknen geschützt werden.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Ergebnis der Nachstellung dem Originalputz recht nahe kommt. Technik, Werkzeuge und Putzzusammensetzung waren aller Wahrscheinlichkeit nach der historischen Putztechnik sehr ähnlich. Nur das Korn des Zuschlags entspricht nicht ganz dem Original. Ein gebrochenes Korn lässt sich schwerer mit der Kelle ziehen. Dem Befund entsprechend muss ursprünglich ein Rundkorn verwendet worden sein.
Die Abwandlung der Kellenstrichtechnik passt perfekt zur Größe des Wohnblocks und zu dessen Fassade: Die Schneckenmuster können rasch über viele Quadratmeter hinweg strukturiert werden, ohne Ansätze zu erzeugen. Ungeachtet der notwendigen Vor- oder Nachbearbeitungsschritte handelt es sich um eine verhältnismäßig kostengünstige Strukturputztechnik, da der Oberputz im Prinzip unmittelbar nach dem Auftragen und lediglich in einem Arbeitsgang erstellt werden kann.
In bauhandwerk 1-2.2024 ging es in unserer Strukturputz-Serie um Stechputz, in bauhandwerk 4.2024 wird es im dritten Teil um modellierten Putz gehen.
AutorDominik Thoma ist Architekt, Maler- und Lackierermeister sowie staatlich geprüfter Farb- und Lacktechniker. Er lebt und arbeitet als Architekt und Autor in München. 2022 erschien sein Buch Münchner Strukturputze.