Sanierung und Umbau eines Zehntstadels in Steinheim zum Dorfgemeinschaftshaus

Das neue Dorfgemeinschaftshaus in Steinheim wurde einst als Zehntstadel gebaut und viele Jahre als Bauernhaus genutzt, bis es schließlich ungenutzt zum Schandfleck des Ortes verkam. Das ist inzwischen Geschichte und das Gebäude zu einem attraktivem Zentrum im Dorf geworden.

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Das Dorfgemeinschaftshaus im Memminger Stadtteil Steinheim war einst ein Zehntstadel und ist damit ein gebautes Geschichtsdokument. Das Gebäude, das  zugegebenermaßen vor seiner Sanierung keinen schönen Anblick mehr bot, „erzählt“ aus einer Zeit, als die Landwirte ein Zehntel ihrer Ernte als eine Art Steuer abgeben mussten. Im Zehntstadel wurde diese Naturalien-Abgabe dann gelagert. Lange Zeit war der 1751 gebaute Steinheimer Zehntstadel ein Politikum und stand zwischen denen, die den Bau erhalten und sanieren wollten und denen, die für seinen Abriss waren. Letzteres wäre allerdings ohnehin nicht möglich gewesen, denn das Haus stand seit 1959 unter Denkmalschutz. Hätte man sich also gegen eine Sanierung entschieden, wäre es notgesichert worden und sein Anblick weiterhin allen ein Dorn im Auge geblieben. Wie gut also, dass die Stadt das Gebäude schließlich kaufte, einen Wettbewerb ausschrieb und es zum Bürgergemeinschaftshaus sanieren ließ! Maßgeblich unterstützt wurde der Einsatz für den Erhalt des Hauses vom Förderverein Dorfgemeinschaftshaus.

Gewonnen hatte den Wettbewerb das Büro Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner GmbH bereits 2014. Mit der Sanierung wurde dann erst vier Jahre später begonnen. 2020 schließlich konnte das Gemeinschaftshaus eröffnet werden. Hier sollen sich die Menschen des Ortes begegnen können, um ihre Gemeinschaft zu (er)leben, Feste zu feiern und sich in Vereinen und anderen Gruppen treffen zu können. Das in seiner historischen Struktur erhaltene, barrierefrei sanierte Gebäude mit 750 m2 Nutzfläche ist schon jetzt, nach zwei Jahren, zum gesellschaftlichen Zentrum des Ortes gewachsen.

Zehntstadel, Mittertennhaus, Gemeinschaftshaus

Der Zehntstadel stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und wurde etwa 100 Jahre später zu einem Mittertennhaus, einem Bauernhaus mit einem Wohnteil im Osten und dem Stallbereich im Westen sowie der Tenne in der Mitte, umgebaut. Auch diese zweite ablesbare Schicht war für die Denkmalbehörde bei der Unterschutzstellung relevant. Problematisch war zunächst, dass das Haus nach seiner letzten Nutzung jahrelang leer gestanden hatte und entsprechend heruntergekommen war. Zudem hatte es zwischenzeitlich Käufer gegeben, denen das Geld ausging, so dass sich niemand für den Bau verantwortlich fühlte beziehungsweise in Bezug auf die denkmalpflegerischen Belange hätte in die Pflicht genommen werden können.

Im ehemaligen Zehntstadel in Steinheim befindet sich heute das neue Dorfgemeinschaftshaus Im ehemaligen Zehntstadel in Steinheim befindet sich heute das neue Dorfgemeinschaftshaus
Foto: Elena Henrich

Im ehemaligen Zehntstadel in Steinheim befindet sich heute das neue Dorfgemeinschaftshaus
Foto: Elena Henrich
Für die Nutzung als Bürgergemeinschaftshaus bot der Grundriss allerdings viele Möglichkeiten: Der Stallteil wurde zum großen Festsaal umgebaut und die kleinteilige Struktur des ehemaligen Wohntrakts für Vereinssitzungen, Jugendarbeit oder kleine Veranstaltungen vorgesehen. Den letzten Ausschlag zur Sanierung gab schließlich die Zusage der Stadt, der ansässigen Musikkapelle einen Probenraum zur Verfügung zu stellen. Diese hatte bis dahin in einer Kita geprobt und konnte nun in den neuen Raum über dem Festsaal, im Obergeschoss des sanierten Gebäudes, umziehen.

Ganz neu ist im Haus ein Kellergeschoss unterhalb des ehemaligen Stallteils, in dem Sanitärräume und Lagerflächen untergebracht sind. Auf dieser Ebene hatte es zuvor lediglich einen kleinen Gewölbekeller unterhalb des Wohnteils gegeben. Der neue Keller wird nur über die Abwärme der Bauteilaktivierung in der Kellerdecke beheizt.

Die tragende Struktur des Hauses wurde durch ein wesentliches Element ergänzt: ein eingestelltes hölzernes Tragwerk im Bereich der alten Stallungen, mit einer Holzbetonverbunddecke auf der Oberseite.

Die neue Statik

Das statische Problem des Bestands lag nämlich im Wesentlichen darin, dass an einer Stelle an der Nordseite des Gebäudes durch Schädigung der Holzkonstruktion die nach außen schiebenden Kräfte des

Dachtragwerks nicht mehr von den Zerrbalken aufgenommen werden konnten. Die Sparren drückten dadurch die nördliche Traufwand nach außen. Die Idee der Architekten stand bereits im Wettbewerb fest: Dach und Außenwand sollten nicht erneuert, sondern das Gebäude in seiner Schiefheit gesichert und stabilisiert werden, um auf diese Weise möglichst viel des alten Charakters erhalten zu können. Es sollte eine neue Struktur in den Bestand eingestellt werden, die dann auch den Blick auf die historische Konstruktion ermöglicht. „Als aussteifendes Element fungiert die HBV-Decke, die im Verbund auf der neu eingestellten Holzkonstruktion aufgebracht wurde. Es werden einerseits die Zugkräfte des nach außen schiebenden Dachstuhls aufgenommen und andererseits Horizontalkräfte der verformten nördlichen Außenwand über die scheibenartig ausgebildete HBV-Decke in Giebel- und Tennenwand eingeleitet“, erläutert Björn Manns, Projektleiter des Architekturbüros. „Die vertikalen Lasten des liegenden Dachstuhls wiederum werden über die Außenwände in die Fundamente geleitet.“

Auf der neuen Holzkonstruktion befindet sich eine Holz-Beton-Verbunddecke als aussteifendes Element Auf der neuen Holzkonstruktion befindet sich eine Holz-Beton-Verbunddecke als aussteifendes Element
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth

Auf der neuen Holzkonstruktion befindet sich eine Holz-Beton-Verbunddecke als aussteifendes Element
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth
Im ehemaligen Wohnteil wurden die vorhandenen Holzdecken im Wesentlichen durch die Herstellung einer HBV-Decke ertüchtigt. Im kleineren Mehrzweckraum des Gemeinschaftshauses, der im ersten Obergeschoss des Wohnteils liegt, wurde eine Trennwand entfernt. Auf dieser lag einer der beiden Balken, die in Gebäudelängsrichtung von Giebelwand zu Giebelwand spannen. Diesen verstärkten die Handwerker – auch auf Grund der zusätzlichen Lasten darüber – durch einen Stahlträger.

Die Decke reicht nicht bis an die Traufwände heran. Diese werden mit Rundstählen an der Decke gehalten Die Decke reicht nicht bis an die Traufwand heran, die mit Rundstählen an der Decke gehalten wird
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth

Die Decke reicht nicht bis an die Traufwand heran, die mit Rundstählen an der Decke gehalten wird
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth
Die Traufwände werden mit Rundstählen an der HBV-Decke gehalten. Diese reicht nicht bis an die Traufwände heran, da die Dachuntersicht hier auch vom Erdgeschoss aus sichtbar bleiben sollte. Daher wurden hier horizontale, begehbare Glasflächen in den Zwischenraum eingesetzt. Auch in der Holzkonstruktion zwischen ehemaliger  Tenne und Festsaal sorgen Glasscheiben für eine akustische Trennung, ohne auf Durchblicke zu verzichten.

Der Bauablauf

Während in einem Neubau logischerweise von unten nach oben gebaut, also mit dem Keller begonnen wird, ging es hier, wie bei vielen Sanierungen üblich, mit der Dachsanierung los. Hierfür mussten zunächst die Außenwände mit Stützböcken gesichert werden.

Zunächst wurden die Außenwände mit Stützböcken gesichert. Erst dann konnte das Gerüst für die Reparaturen und Ertüchtigungen des Dachstuhls aufgestellt werden Zunächst wurden die Außenwände mit Stützböcken gesichert. Erst dann konnte das Gerüst für die Reparaturen und Ertüchtigungen des Dachstuhls aufgestellt werden
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth

Zunächst wurden die Außenwände mit Stützböcken gesichert. Erst dann konnte das Gerüst für die Reparaturen und Ertüchtigungen des Dachstuhls aufgestellt werden
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth
Erst dann konnte das Gerüst für die Reparaturen und Ertüchtigungen des Dachstuhls aufgestellt werden: Balken wurden ausgetauscht oder repariert, alle Balken mit neuen Sparren aufgedoppelt, um so eine neue Dämmschicht eben aufbringen zu können, Zugstangen ergänzt und die Kräfte des Dachstuhls insgesamt wieder ins Gleichgewicht gebracht. Schließlich deckten die Dachdecker das Dach mit Biberschwanzziegeln neu ein.

Nach der Dachstuhlsanierung ging es an das Unterfangen der Außenwände beziehungsweise die Ertüchtigung der Fundamente sowie den Kellerbau. Für den Bau der Kellerwände baggerten die Handwerker den alten Stallteil Meter für Meter aus. Anschließend brachten sie Spritzbeton auf, bis die Kellerwand von oben nach unten erstellt war. „Mit einem Bohrgerät haben wir schließlich Stahlstangen durch den Beton in das Erdreich eingebracht und mit Mörtel verpresst, um die Wände auf diese Weise rückzuverankern“, erklärt Wolfgang Zettler, Geschäftsführer der Zettler Bau GmbH. „Bei den Unterfangungen sind wir ähnlich vorgegangen und haben die Wände Stück für Stück immer wieder untergraben und ausbetoniert.“

Schließlich musste noch die Unterfahrt des neuen Aufzugs ausgehoben und betoniert werden. Den oberen Abschluss des Kellers bildet eine monolithische Stahlbetondecke mit geglätteter Oberfläche und Bauteilaktivierung.

Auf dieser Decke konnte nun das Holzgerüst aus Spalierwänden und -decken aufgestellt und darauf die neue HBV-Decke gegossen werden. „Ungewöhnlich beim Bau der Holzkonstruktion war, dass hier durch die Lage der Zerrbalken nicht von oben gearbeitet werden konnte“, erzählt Hermann Rehklau, Geschäftsführer der Rehklau GmbH, die neben der Durchführung der Dachsanierung das Holzgerüst gebaut und montiert hat. „Die Leimträger wurden daher mit einer Knapp-Spezialverbindung an den Stützen befestigt. Für die Montage konnten wir die Träger nun von unten zwischen die Stützen schieben und einhängen.“ Nachdem schließlich die gesamte aussteifende Konstruktion stand und die Wände fixiert waren, wurden Gerüst und Stützböcke entfernt. Allerdings musste dann ein zweites Gerüst für die Fassadensanierung aufgestellt werden.

Fassadensanierung und energetische Ertüchtigung

Bevor der neue Putz aufgebracht werden konnte, entfernten die Handwerker den alten Putz vom Ziegelmauerwerk Bevor der neue Putz aufgebracht werden konnte, entfernten die Handwerker den alten Putz vom Ziegelmauerwerk
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth

Bevor der neue Putz aufgebracht werden konnte, entfernten die Handwerker den alten Putz vom Ziegelmauerwerk
Foto: Förderverein Dorfgemeinschaftshaus / Thomas Barth
„An der Fassade und im Innenputz haben wir nicht mit einem historisch nachgestellten Putz gearbeitet, sondern mit vom Denkmalamt zugelassenen Putzen, die nicht im standardisierten Neubau zum Einsatz kommen“, erläutert Bernd Weiß, Stuckateurmeister und Restaurator im Stuckateurhandwerk sowie Geschäftsführer der Johann Weiß GmbH. „Während wir den Grundputz maschinell aufgespritzt haben, wurden die Endputzlagen von Hand aufgetragen. Hierbei fallen je nach Fassadenseite zwei verschiedene Putze auf: Während an der West- und Nordseite ein sehr körniger Rauputz im Kellenwurfverfahren an die Wand gebracht wurde, ist an der Ost- und Südseite eine sehr feine Kalkputzstruktur zu sehen.“ Auch an den Innenwänden des Wohnteils wurde der Putz im ersten Obergeschoss größtenteils erhalten und ergänzt. In der historischen Stube konnte die Holzvertäfelung an Decke und Wänden aufwendig restauriert werden. Die Vertäfelung musste hierfür abgenommen, aufgearbeitet und wieder angebracht werden.

Im Sockelbereich der Außenwände sorgt jetzt ein hochhydraulischer, widerstandsfähiger Trasskalkputz in Verbindung mit einer Wandtemperierung dafür, zukünftige Feuchteschäden zu vermeiden. Im Saal sind die Außenwände von innen mit einer Wärmedämmputzschicht energetisch ertüchtigt, während die Innentrennwände eine Kalkschlämme erhielten. Auch die Fensterlaibungen bekamen einen Dämmputz.

Eine besondere Raffinesse des Gebäudes ist ein großes, sehr tiefes Fenster im Saal, das zugleich als Bühne dient. Von außen ist es an der Westseite des Gebäudes zu sehen, wo es von einer an die Holzkonstruktion im Inneren erinnernde Lamellenwand eingerahmt wird, hinter der auch die neue Außenfluchttreppe verschwindet.

 

Autorin

Dipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.

Baubeteiligte (Auswahl)

 

Bauherr Stadt Memmingen, www.memmingen.de

Architektur Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner GmbH, Greifenberg, www.bbdarch.de

Statik Kayser+Böttges Barthel+Maus Ing. und Architekten, München, kb-bm.de

Denkmalpflege Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, www.blfd.bayern.de

Maurer- und Rohbauarbeiten Zettler GmbH, Memmingen, www.zettler-bau.de

Holzbauarbeiten Rehklau GmbH, Memmingen,www.rehklau-holzbau.de

Putzarbeiten Johann Weiß GmbH, Dietenheim-Regglisweiler, www.weiss-stuckateur.de

Unterstützung Förderverein Dorfgemeinschaftshaus (jetzt Dorfgemeinschaft Steinheim e.V.),
Vorsitzender Thomas Barth

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