Farbspiel im wilden Verband
Die Erweiterung der Darmstädter Georg-Büchner-Schule orientiert sich am Bestand
Ziegelwände und kleinteilige, durch Mauerwerkspfeiler unterbrochene Öffnungen prägen die Georg-Büchner-Schule, einen von fünf Darmstädter Meisterbauten. Bei der Erweiterung um eine Mensa vermauerten die Handwerker als Vorsatzschale einen Klinker, dessen Verband, Format und Farbigkeit sich am Bestand orientiert.
Nachdem Darmstadt im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde, sollte in der Zeit des Wiederaufbaus eine zukunftsorientierte, menschliche Architektur entstehen. 1951 erhielten namhafte Architekten wie Otto Bartning, Ernst Neufert, Hans Schwippert, Max Taut, Hans Scharoun und Rudolf Schwarz Planungsaufträge für ursprünglich elf dringend benötigte Kommunalbauten. Letztlich wurden wegen knapper Kassen nur fünf der so genannten Darmstädter Meisterbauten ausgeführt.
Einer davon ist die Georg-Büchner-Schule: Architekt Hans Schwippert entwarf und baute bis 1960 einen eingeschossigen Klassenteppich aus Pultdachhäusern mit zugeordneten Gartenhöfen. Erschließungsgänge verbinden die fünf Gebäuderiegel, zwischen den Gängen ist jedem Klassenraum ein Hof zugeordnet. Ein zweigeschossiger Bau für Verwaltung und Fachräume schließt die Anlage nach Westen hin ab. Die beiden äußeren Gänge wurden später nach Osten verlängert und um eine Turnhalle, ein Heizhaus und eine Hausmeisterwohnung ergänzt. Wie der Grundriss sind auch die Fassaden der Schule nach einem klaren Raster geordnet: Geschlossene Ziegelwände an den Giebelseiten wechseln sich mit kleinteiligen, durch Mauerpfeiler unterbrochene Öffnungen ab.
Weiterbauen am Bestand
Im Rahmen des Ausbaus zur Ganztagsschule erweiterte das Darmstädter Büro opus Architekten das denkmalgeschützte Ensemble 2012 um eine Schulmensa. „Wir wollten das schlichte, schöne Konzept Schwipperts weiterführen und stärken“, sagt Projektleiterin Tina Ritter. Die Architekten verlängerten den nördlichen Erschließungsgang nach Osten und übernahmen dabei Struktur und Materialität des Altbaus mit seinen versetzten Pultdächern und dem Wechsel zwischen ruhigen, verklinkerten Wandpartien und kleinteiligen Öffnungen. In der Flucht der nördlichen Klassenräume entstanden drei weitere „Häuser“ in gleicher, eingeschossiger Grundform. Im Ersten befinden sich Eingang, Garderobe, WCs und Nebenräume. Im Zweiten die Küche mit Lager und Essensausgabe. Die Mensa mit 120 Sitzplätzen an 30 Tischen bildet den dritten Gebäuderiegel. Damit der Speisesaal höher ist als die übrigen Räume, wurde die Bodenplatte hier um 40 cm abgesenkt. Eine Rampe im Erschließungsflur gleicht den Niveausprung aus.
Die zweischalige Außenwand des Neubaus setzt die schlanken Proportionen des Bestands fort und erfüllt zugleich die heutigen energetischen Anforderungen. Die tragende Innenschale aus 24 cm dicken Stahlbetonwänden wurde mit 20 cm Mineralwolle als Kerndämmung isoliert. Als Vorsatzschale vermauerten die Handwerker einen rötlichen Klinker, dessen Format und Farbigkeit sich am Mauerwerk des Altbaus orientiert.
Identische Klinkerfarben
„Unser Ziel war eine möglichst identische Fassade“, sagt Tina Ritter. Zu diesem Zweck stellte die Firma Deppe Backstein-Keramik eine individuelle Mischung von Klinkerfarben aus zwei verschiedenen Brennungen auf vier Mustertafeln zusammen. In mehreren Bemusterungsterminen mit den Architekten, Maurern und dem Denkmalamt wurden die Tafeln vor die Bestandsfassade gestellt und abgeglichen. Die Wahl fiel schließlich auf einen 240 x 115 x 52 mm großen Wasserstrichziegel im Dünnformat, der unter sauerstoffreduzierter Atmosphäre bei etwa 1150 Grad gebrannt wurde. Durch den Sauerstoffentzug entstand ein lebhaftes, zwischen hellrot, orangerot und blaurot changierendes Farbspiel.
Die Steine vermauerten die Handwerker im wilden Verband. Da die Fassade des Altbaus eine häufige Reihung der Klinkerköpfe im Verband in Reihen von zwei bis fünf Köpfen aufweist, verwendeten die Maurer der L+S Verblend GmbH auch beim Erweiterungsbau mehr Köpfe als üblich. Einige der Ziegel drehten sie und nutzten die Rückseite als Schauseite, da ihr Farbton und ihre raue, unglasierte Oberfläche dem Bestand am Nächsten kommen.
Das Sichtmauerwerk wurde vollfugig im Fugenglattstrich hergestellt: Dabei benutzten die Maurer einen Werktrockenmörtel als Vormauermörtel, dessen Farbe dem der Bestandsfassade ähnelt. Den beim Mauern ausquellenden Mörtel strichen die Handwerker mit der Kelle ab und füllten Fehlstellen aus. Nach dem Abbinden zogen sie den Mörtel mit einem Schlauchstück ab und verdichten ihn. „Wichtig war eine immer gleichmäßige Abbindezeit zwischen Mauern und Verfugen, da diese Auswirkungen auf die Oberflächenbeschaffenheit und Fugenfarbe hat“, sagt Jörg Steinzen von der L+S Verblend GmbH. Nach dem Hochmauern schnitten die Handwerker die obersten Ziegel mit einer Nassschneidemaschine zu, um sie an die Dachschräge anzupassen. Eine schmale Attika aus dunkel vorpatiniertem Titanzinkblech verdeckt die Schnittkanten.
Die verglasten Flächen zwischen den Klinkerwänden gliedern 24 x 24 cm große Mauerwerkspfeiler, die bis zu einer Höhe von 4 m frei vor der Fassade stehen. Vor dem Hochmauern der Pfeiler wurde zunächst der 37,5 x 24 cm große Sichtbetonfertigteilsturz per Kran auf die Vormauerschale aufgelegt und mit einem Gerüst abgestützt. Dann mauerten die Handwerker die Pfeiler mit ganzen, schichtweise versetzten Dünnformaten wandbündig bis unter den Sturz hoch. Anschließend wurde die Pfosten-Riegel-Fassade montiert. Hinter dem Sturz angebrachte Raffstores bieten im Sommer auf der Südseite einen zusätzlichen Sonnenschutz.
Innenwände aus Sichtbeton
Während außen das Bild des Bestandes weitgehend übernommen wurde, sind die Innenräume mit zeitgenössischen, robusten und langlebigen Materialien gestaltet: Sichtbeton, Klinker, Holz und Linoleum. Im Gegensatz zum Schwippert-Bau wurden die Betonwände nicht verputzt. „Man darf ruhig sehen, dass es ein Neubau ist“, sagt Tina Ritter. „Wir wollten Materialien, die in Würde altern und es aushalten, wenn Kinder mal über den Boden rutschen oder ihre Füße gegen die Wand stellen.“
Um perfekte Sichtbetonoberflächen ohne Verfärbungen, Rost- und Schmutzflecken zu erhalten, mussten die Schaltafeln penibel mit einem Dampfstrahler gesäubert werden und frei von Betonüberresten, Röteldrähten und Bleistiftmarkierungen sein. Die 2,6 x 1,8 m großen Tafeln wurden exakt auf das geplante Fugenbild abgestimmt, gezeichnet und zugeschnitten. Nach dem Ausschalen blieb eine glatte Oberfläche zurück, deren Muster sich perfekt in den Raum einfügt: Die 10 cm breiten, vertikalen Fugenstreifen setzen exakt das Raster der Pfosten-Riegel-Fassade fort. Die Ankerlöcher wurden in einer Achse mit den Deckenleuchten angeordnet. An den Stirnseiten sind die Betonwände als Nischen ausgebildet, so dass die Kubatur der drei „Häuser“ ablesbar bleibt. Zwischen den vorspringenden Wandpartien montierten die Handwerker Sitzbänke aus Eiche-Massivholz, auf die sich die Schüler in den Pausen hocken oder legen können.
Vorgespannte Betonhohldielendecken überdachen den Raum. Die 16 m langen und 1 m breiten Elemente wurden per Kran auf die Stahlbetonwänden aufgelegt und die Fugen zwischen Deckenstreifen und Wandanschlüsse mit Ortbeton vergossen. Darüber dichteten die Handwerker die einzelnen Pultdächer konventionell mit einer Dampfsperre, EPS-Wärmedämmung und einer zweilagigen Dachabdichtungsbahn.
Abgehängte Akustik-Holzlattendecke
Wegen der vielen schallharten Flächen wurden die Deckenunterseiten in der Mensa und im Flur mit einer abgehängten Akustik-Holzlattendecke verkleidet. Die 2,5 mal 1,25 m großen Deckenfelder wurden komplett vorgefertigt und vor Ort in eine Holzunterkonstruktion eingehängt. Um den Schall zu dämmen, liegen Akustikfilzplatten auf. Da schwarzer Filz einen harten Schwarz-Weiß-Kontrast und damit ein Flirren vor den Augen erzeugt hätte, wählte man einen grauen Filz, ähnlich dem Sichtbeton.Zwischen den stehenden Holzlatten passten die Handwerker Langfeldleuchten flächenbündig in die Decke ein. Ein Detail, das zum Gesamtauftritt des Neubaus passt, der den Bestand dezent erweitert und um zeitgemäße, robuste und handwerklich perfekt umgesetzte Architektur bereichert.
Autor
Dipl.-Ing. Michael Brüggemann studierte Architektur in Detmold und Journalismus in Mainz. Er arbeitet als Redakteur und schreibt außerdem als freier Autor unter anderem für stern, DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau.
Als Vorsatzschale vermauerten die Handwerker einen Klinker, der sich am Altbau orientiert