Grenzen der emissionsarmen Arbeitsverfahren bei der Asbestsanierung
Seit 2011/2012 ist ein Hype um die Zertifizierung von emissionsarmen Schleifverfahren zur Entfernung von asbesthaltigen Klebern entstanden und viele Unternehmer aus verschiedenen Gewerken erkannten darin neue Chancen im Markt der Asbestsanierung.
Die Maschinenhersteller liefern was der Markt verlangt und viele Anwender, die trotz obligatorischer Zertifizierung und Zulassung oft keine ausreichende Sachkenntnis beziehungsweise Sensibilisierung für den Werkstoff Asbest und die Gefährlichkeit einer Faserexposition haben, bieten ihre Sanierungsdienstleistungen nun auf dem „neuen Markt“ an. Das führt dazu, dass die Vorgaben und Grenzen emissionsarmer Verfahren oft nicht im notwendigen Maße beachtet werden. Die Folge sind Sanierungen in Arbeitsbereichen, die aufgrund der Annahme einer geringen Faserbelastung nur mit einem rot-weißen Flatterband von der Umgebung abgegrenzt werden, obwohl es aufgrund falscher Anwendungsweise tatsächlich zu hohen Faseremissionen kommen kann. Maskentragezeitbegrenzungen und notwendige geringe Bearbeitungsgeschwindigkeiten werden außer Acht gelassen, da diese nicht bekannt sind. Auch der Verzicht auf die persönliche Schutzausrüstung der Mitarbeiter im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ist als bedenklich anzusehen, da verschiedene Risikofaktoren (für Mensch, Maschine und Baukörper) beachtet werden müssen, die zu einer unvorhersehbar hohen Asbestfaserexposition führen können.
Arbeiten nach Kochrezept
Zudem wird bei den bautechnischen Verfahren (BT) oft auch außer Acht gelassen, dass die beschriebenen Arbeitsverfahren, nur dann eine Zertifizierung besitzen, wenn sie entsprechend ihrer Beschreibung ausgeführt werden. Das heißt: Alle in der DGUV-Information 201-012 (ehemals BGI 664) beschriebenen Arbeitsverfahren müssen wie ein „Kochrezept“ eins zu eins umgesetzt werden. Freie Interpretationen und Abwandlungen der beschriebenen Verfahren sind unzulässig. Zudem sind die Verfahren, die in der DGUV-Information 201-012 mit Stand Juli 2000 veröffentlicht sind, unter Einhaltung der Fasergrenze von 15 000 F/cbm gemessen worden, die zur Zeit noch gültige Fasergrenze von 10 000 F/cbm wird nachweislich nur von den neueren Verfahren eingehalten.
Was steht hinter dieser Fasergrenze von 10 000 F/cbm? Die Einhaltung der Fasergrenze bedeutet, dass anhand von personenbezogenen Messreihen und stationären Messungen im Arbeitsbereich während der Durchführung der Arbeiten nachgewiesen wurde, dass die Faserkonzentration zu keiner Zeit größer als 10 000 F/cbm ist.
10 000 F/cbm = Akzeptiertes Krebsrisiko von 4 : 10 000
Durch die Messreihen wurde also belegt, dass Mitarbeiter an den Maschinen beziehungsweise im Arbeitsbereich einer maximalen Faserbelastung von 10 000 F/cbm ausgesetzt sind. Bei der Fasergrenze von 10 000 F/cbm liegt das Krebsrisiko des Handwerkers unter der Annahme eines Arbeitslebens von 40 Jahren und einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche bei 4 : 10 000 (= Akzeptanzrisiko gemäß TRGS 910). Bei Einhaltung dieses Grenzwertes gestattet die TRGS 519, Nr. 15.5, dass auf das Tragen von Atemschutz verzichtet werden kann – bei Arbeiten an Asbest ohne Atemschutz liegt die Wahrscheinlichkeit bei 4/10 000 = 0,0004 an Krebs zu erkranken, den Jackpot beim Eurolotto gewinnt man mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/95 000 000 = 0,00000001.
Der Schutz des Umgebungsbereiches ist in der TRGS 519, Nr. 15. 7 eindeutig beschrieben und doch findet man in der Praxis häufig Absperrungen von Öffnungen mit rot-weißem Flatterband und dem Warnschild „Achtung Asbestfaser“ (das entspricht so nicht der zuvor genannten Richtlinie). Wie sinnhaft und sicher diese Arten von Personen- und Umgebungsschutz sind, sei der subjektiven, oder auch objektiven Bewertung des Lesers überlassen.
Arbeiten an Asbesthaltigen Produkten sind verboten!
In der aktuellen Gefahrstoffverordnung steht im
Anhang II Nummer 1: „Arbeiten an asbesthaltigen Produkten sind verboten“; mit Ausnahme der so genannten ASI-Arbeiten. Ebenfalls verboten sind Arbeitsverfahren im Rahmen von Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten, die zu einem Abtrag von asbesthaltigen Oberflächen führen (Abschleifen, Druckreinigen, Abbürsten und Bohren), es sei denn es handelt sich hier um ein emissionsarmes Verfahren nach TRGS 519, Nr. 2.9. Die meisten dieser in der DGUV-Information 201-012 veröffentlichen Verfahren dürfen von Fachbetrieben ausgeführt werden, die über die notwendige Sachkunde und die notwendige Gerätetechnik verfügen und sind einmalig unternehmensbezogen anzuzeigen. Die emissionsarmen Verfahren BT 17, BT 18 und BT 33 bilden hier jedoch die Ausnahme! Diese Verfahren sind aufgrund ihrer komplexen Maschinen- und Gerätetechnik unternehmensbezogen. Existiert ein solches emissionsarmes Verfahren zur Entfernung von asbesthaltigen Bauprodukten, muss dieses zwingend angewendet werden. Da man gerade in Altbauten, die vor 1995 errichtet wurden, immer noch mit asbesthaltigen Baumaterialien rechnen muss und diese gewerkeübergreifend anzutreffen sind, wurde der Gefahrstoff Asbest für alle Gewerke wieder interessant und das Interesse an sicheren, zugelassenen Arbeitsverfahren stieg. Ein allgemein zulässiges Verfahren für das Entfernen von Floor-Flex Platten von Bitumenkleber hatte man bereits mit dem BT 11 gefunden. Dass dieses jedoch nur für das Entfernen von Floor-Flex-Platten auf Bitumenkleber und nicht in Verbindung mit asbesthaltigem Kleber zugelassen ist, wurde und wird oft vergessen. Für das Entfernen von asbesthaltigem Kleber von mineralischem Untergrund gibt es mittlerweile verschiedene Anbieter mit sehr guten Maschinen- und Geräteparks auf dem Markt (BT 17, BT 33). Doch ausschließlich mit der richtigen Technik ist es leider in einem doch sehr komplexen Bereich nicht getan.
Kombination aus Sachverstand und Maschinentechnik
Neben der Gerätetechnik muss man sich noch mit dem Gefahrstoff beziehungsweise den verschiedenen Gebäudeschadstoffen auskennen, um die Technik sicher anzuwenden beziehungsweise die Grenzen der Maschinentechnik zu kennen, um dann die Technischen, Organisatorischen und Personellen Schutzmaßnahmen entsprechend der Gefährdung anzupassen.
Ergänzt man den asbesthaltigen Kleber auf mineralischem Untergrund zum Beispiel um eine Schicht PAK-haltigen Kleber, der aufgrund seines PAK-Gehalts entsprechend der Handlungsempfehlung für PAK-haltige Kleber entfernt werden sollte, ist die Auswahl der geeigneten Schutzmaßnahmen abhängig vom Gefahrstoff PAK, da von diesem die höhere Gefährdung ausgeht und die Schutzmaßnahmen entsprechend gewählt werden müssen. Dass dieses notwendige, höhere Schutzniveau nachvollziehbarer Weise zu Unmut bei den Auftraggebern führt, ist verständlich und bedarf der Erläuterung und des notwendigen Sachverstandes.
Vorteile von emissionsarmen Verfahren
Handelt es sich nur um asbesthaltige Baumaterialien, dann können kleinere Flächen in Bestandsbauten schnell, günstig und ohne großen bürokratischen Aufwand saniert werden. Schnell bezieht sich dabei jedoch nicht auf die tatsächliche Arbeitsgeschwindigkeit bei der Verwendung des BT-Verfahrens, sondern auf den allgemeinen Bauablauf der ASI-Arbeiten, der sich durch die Verwendung des Verfahrens erheblich verkürzt und dadurch auch günstiger wird. Auf Abschottungen und tatsächliche Abgrenzungen von der Umge-bung darf aber auch bei Verfahren gemäß DGUV-
Information 201-012 nicht verzichtet werden und die TRGS 519, Nr. 15 muss vollumfänglich eingehalten werden. Nur die Freigabemessung kann bei Verfahren gemäß TRGS 519, Nr. 2.9 entfallen.
Nachteile von emissionsarmen Verfahren
Durch die fehlende, objektbezogene Anzeigepflicht, die geringen Kontrollen durch die zuständigen Arbeitsschutzbehörden, den meist fehlenden Umgebungsschutz und die nicht geforderten Freigabemessungen, kann regelwidrigem Vorgehen kein Einhalt geboten werden und unzulässige Faserfreisetzungen sind in der Praxis Gang und Gäbe.
Alle am Bau Beteiligten sollten sich bei der Verwendung und Ausschreibung von BT-Verfahren darüber im Klaren sein, das die Verfahren nicht für großflächige Sanierungen oder die Sanierung von ganzen Wohneinheiten größerer Wohn- und Gebäudekomplexe ohne weitere Kontrollen gedacht waren. Auch der Wegfall von Abschottungen bei Teilsanierungen beziehungsweise bei Sanierungen im bewohnten Zustand ist grob fahrlässig.
Klare Abgrenzung des Arbeitsbereichs durch eine Staubschutztür
Neben einer klaren Abgrenzung des Arbeitsbereichs durch geeignete Staubschutzsysteme und einer zusätzlichen Sicherung der Umgebung durch eine technische Luftführung bei bewohnten Gebäuden, sollten die Bearbeitungsgeschwindigkeiten und die Rahmenbedingungen der BT-Verfahren veröffentlicht werden, um ein besseres Verständnis für die Arbeitsverfahren zu vermitteln und die mögliche Asbestexposition durch fehlerhafte Anwendung der Maschinentechnik zu verdeutlichen.
Fazit
Um geeignete Arbeitsverfahren für eine sichere und wirtschaftliche Entfernung von asbesthaltigen Baumaterialien zu entwickeln, benötigt man eine ganzheitliche Betrachtung und Herangehensweise, um alle notwendigen Faktoren die zu einer Gefährdung der Gesundheit und der Umwelt führen können, zu erfassen und zu berücksichtigen.
Autorin
Christina Nixdorf-Doose ist Projektleiterin Arbeits- und Gesundheitsschutz, Schwerpunkt Gebäudeschadstoffe, bei der n-tec Projektbau GmbH in Kamp-Lintfort und Leiterin des Fachausschusses Prävention des BBS e.V. sowie Vertreterin des BBS e.V. beim Nationalen Asbestdialog.
Verordnungen, Regelwerke und Richtlinien
Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten