Tieranatomisches Theater
Restaurierung des von Carl Gotthard Langhans entworfenen Tieranatomischen Theaters der Humboldt-Universität in Berlin
Das Ende des 18. Jahrhunderts in Berlin nach Plänen von Carl Gotthard Langhans erbaute Tieranatomische Theater ist ein aus bauhistorischer und bautechnischer Sicht bedeutendes Baudenkmal. Die Restaurierung des Ende 2012 wieder eröffneten Gebäudes stellt das ursprüngliche Erscheinungsbild wieder her.
Das bekannteste Gebäude des Architekten Carl Gotthard Langhans (1732-1808) ist das Brandenburger Tor. Langhans entwarf in Berlin weitere Bauten – darunter das Tieranatomische Theater. Das dieses Gebäude entstand, hatte seinen guten Grund, denn Pferde besaßen als Zug-, Reit- und Nutztiere im ausgehenden 18. Jahrhundert nicht nur militärisch enorme Bedeutung. Selbst König Friedrich Wilhelm II. hatte großes Interesse an der Gesundheit der Vierbeiner. Da es seinerzeit zu wenige gut ausgebildete Tierärzte gab, beauftragte der König 1787 den Bau einer Tierarzneischule, die er aus seiner Privatschatulle finanzierte. Eine solche Einrichtung brauchte zu allererst natürlich ein Gebäude mit einem Hörsaal. Das entwarf Carl Gotthard Langhans, den Friedrich Wilhelm II. gerade zum Direktor des neu gegründeten Oberhofbauamtes ernannt hatte. Damit hatte Langhans die Planungsverantwortung quasi in der Tasche. Und es sollte ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter Bau werden.
Italien mitten in Berlin
Langhans war als Architekt Autodidakt, hatte aber die antiken Schriften von Vitruv gelesen und gegen Ende der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts, wie viele seiner an Architektur und Kunst interessierten Zeitgenossen, eine Italienreise unternommen. Kein Wunder also, dass die Architektur des italienischen Renaissancebaumeisters Andrea Palladio großen Einfluss auf seine Bauten hatte. Beim Entwurf für das Tieranatomische Theater hatte er wohl vor allem ein Gebäude vor Augen: die von Palladio erbaute Villa Rotonda in der Nähe von Vicenza in Norditalien. Langhans ging beim Bau aber vor allem konstruktiv vollkommen neue Wege. Er wählte für die Kuppel eine Bohlenbinderkonstruktion, was in Deutschland zuvor noch niemand gemacht hatte. Durch eine Öffnung im Zenit der Kuppel fiel wie beim Pantheon in Rom Tageslicht, nur dass diese Kuppelöffnung in Berlin mit einer Laterne verglast war und dazu diente, den Seziertisch in der Mitte des Hörsaals zu belichten. Dieser ließ sich im Boden versenken, um in den Präparationssälen ein Geschoss tiefer mit Tierkadavern bestückt zu werden. Und auch was die künstlerische Ausgestaltung anbelangt, muss sich der frühklassizistische Vorzeigebau nicht verstecken: Der Maler Christian Bernhard Rode bemalte die Wände zwischen den Fenstern des Tambourmauerwerks mit Tiermotiven. An der Kuppelinnenschale flechten gemalte Bänder ein geometrisches Muster bis unter die Laternenöffnung.
Ein Berlintourist brachte die Restaurierung ins Rollen
1790 wurde der Lehrbetrieb im einzigartigen Hörsaal der Tierarzneischule aufgenommen, die später zur veterinärmedizinischen Fakultät der Humboldt-Universität werden sollte. Der Standort wurde für die veterinärmedizinische Forschung und Lehre jedoch aufgegeben, nachdem man nach der Wiedervereinigung die entsprechenden Institute der Humboldt-Universität mit denen der Freien Universität im Westteil der Stadt zusammengelegt hatte. Damit wurden die meisten im Laufe der Zeit auf dem Gelände der Humboldt-Universität errichteten gattungsspezifischen Bauten für Tierarten wie Fische, Großtiere usw. für neue Nutzungen frei. „Unser Büro wurde nach einem Auswahlverfahren als Masterarchitekten für das veterinärmedizinische Gelände ausgewählt“, sagt Thomas Müller vom Berliner Büro Müller Reimann Architekten. Damit fiel auch das Tieranatomische Theater in ihre Planungsverantwortung. Doch es ist schon kurios, wie der Stein zur Restaurierung des Langhans-Baus ins Rollen kam: „Ein Berlintourist aus Hamburg radelte über das Gelände und rief danach bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz DSD an. Er wolle spenden, damit das schöne Gebäude restauriert werden könne. Und wenn die DSD erst mal eine Projektstiftung eingerichtet hat, dann lässt sie nicht mehr locker“, erinnert sich Thomas Müller. Die Spende reichte im September 2004 für ein erstes Stück Musterfassade, mit dem man für weitere Spenden werben konnte.
Wiederherstellung der ursprünglichen Fassade
„Uns ging es im ersten Schritt darum, die Hülle wieder herzustellen, um das Gebäude vor weiteren Schäden zu schützen“, so Architekt Müller. Die mit der Musterfassade betrauten Berliner Restauratoren von Wandwerk untersuchten die Fassadenfarbe, analysierten den Putz und beurteilten die Festigkeit der aus Stuck gefertigten Rinderschädel, die anstelle eines Schlusssteins im Zenit der Bogenfenstergewände sitzen. Danach legten die Restauratoren Buch & Schudrowitz direkt vor Ort eine Kalkgrube an und verarbeiteten die Baustellenmischung als reinen Kalkputz von Hand mit einem Anstrich mit Kalkkaseinfarbe. Vorher mussten sie allerdings noch die im Erdgeschoss vergrößerten Fensteröffnungen auf das ursprüngliche Maß zumauern und zwei auf der Südwestseite im 20. Jahrhundert hinzugekommene Fensteröffnungen komplett schließen, um das ursprüngliche Erscheinungsbild der Fassade wieder herzustellen.
Wie bei einem über 200 Jahre alten Gebäude nicht anders zu erwarten, waren viele der Kastenfenster unterschiedlicher Bauart, was sich gut an den verschiedenen Schließmechanismen ablesen ließ – und das sollte auch so bleiben. Daher reparierten die Restauratoren im Tischlerhandwerk das Holz der Fenster, zum Beispiel die Wetterschenkel, und untersuchten die Farbe: Bleiweiß konnte nachgewiesen werden – eine Farbe, bei deren Erneuerung man für die Verarbeitung eine schriftliche Genehmigung vom Landesdenkmalamt braucht.
Wiederherstellung der ursprünglichen Grundrissstruktur
Noch bis 2009 befand sich im Gebäude das Institut für Lebensmittelhygiene, weshalb die Berliner es auch liebevoll Trichinentempel nannten. Zu diesem Zweck hatte man das Erdgeschoss und die Räume um den Hörsaal herum im Obergeschoss mit Innenwänden für Labore unterteilt. Während die Restauratoren an der Fassade arbeiteten, wurde innen in den Laboren also noch eifrig untersucht. Einen großen Eingriff erfuhr das Gebäude schon 1895, als die Treppe ausgebaut wurde. Den Platz des großen historischen Treppenhauses nutzte man später für Labore und mauerte den Eingang dazu kurzerhand zu. All diese Eingriffe galt es für die Architekten und Restauratoren wieder rückgängig zu machen.
Die hinzugekommenen Innenwände brachen die Handwerker heraus, und das im Erdgeschoss als Kreuzgratgewölbe ausgebildete fehlende Deckenfeld stellte ein Maurer wieder her. Hierzu mauerte er die Gewölbekappen auf einer Holzschalung als Leergerüst aus Ziegelsteinen wieder auf. In diesem Deckenfeld fand auch der für eine Nutzung als öffentliches Gebäude nun erforderliche Aufzug für die behindertengerechte Erschließung seinen Platz.
Rekonstruktion der historischen Treppenanlage
„Schwierig gestaltete sich für uns die Wiederherstellung der fehlenden Treppen. In alten Grundrissen konnten wir zwar ihren Lauf ablesen, nicht aber wie sie einmal ausgesehen haben mussten“, sagt Klaus Pawlitzki, Projektleiter im Büro Müller Reimann Architekten. Fündig wurden die Architekten in einem Buch über historische Treppen, in dem eine Treppe in dem von Carl Gotthard Langhans entworfenen Palais Wallenberg in Breslau zu sehen war, die exakt das gleiche Geländer hatte, wie die Brüstungen der Stuhlreihen im Hörsaal des Tieranatomischen Theaters. Das ließ den Rückschluss zu, dass die Geländer der Treppenanlage in Berlin auch einmal so ausgesehen haben konnten. Nach diesen Vorlagen baute der Tischler schließlich die Treppen. Der Studenteneingang wurde von den Handwerkern wieder geöffnet.
Quecksilberverseuchte Böden und Wände
„Eine sehr unangenehme Entdeckung machten wir in der letzten Bauphase: Wir fanden bei der Untersuchung von Abbruchmaterial Quecksilber in den Wänden und Böden“, erinnert sich Thomas Müller. Das Quecksilber wurde als Quecksilberchlorid zur Desinfektion verwendet. Bei den 4 bis 5 cm dicken Dielen war die Belastung in der Mitte am größten. „Da konnte man mit Abhobeln nichts mehr machen“, meint Klaus Pawlitzki. Es half alles nichts, die Decken mussten bis auf die Balkenlage abgetragen werden. „Wegen der Quecksilberbelastung durften keine handwerklichen Arbeiten an den alten Balken durchgeführt werden“, so Architekt Müller. Die statische Funktion der Decken übernimmt eine Subtragkonstruktion, die der Zimmermann aus neuen Balken in die Deckenfelder einbaute. Die alten Deckenbalken tragen nur noch sich selbst. Die Tischler verlegten im Obergeschoss anschließend Bretter aus Eiche mit der originalen Profilbreite. Das Erdgeschoss erhielt einen Fußbodenbelag aus Sandsteinplatten.
Da das Quecksilber auch im Innenputz steckte, musste dieser komplett abgeschlagen werden. An den Wänden trugen die Handwerker den neuen Kalkputz zweilagig auf. Leider machte die ausführende Firma bei der Nachbehandlung des Kalkputzes Fehler: „Erst haben die Handwerker den Putz nicht ausreichend feucht gehalten, dann nach einem Hinweis unsererseits viel zu viel Wasser mit dem Schlauch auf den Putz gespritzt. Die Oberfläche war so rissig, dass der komplette Oberputz noch einmal abgenommen und ein zweites Mal von der Firma aufgetragen werden musste“, erinnert sich Silke Rünger, Bauleiterin der Humboldt-Universität.
Restaurierung der Kuppelmalerei
Bei der Kuppelkonstruktion handelt es sich um eine Tambourkuppel, also einer Kuppelhalbschale auf einem Mauerwerksring. Die Innenschale der Kuppel ist eine Bretterkonstruktion, auf der Schilfrohrmatten den bemalten Kalkputz tragen. „Durch das über das Dach von der Holzkonstruktion der Außen- bis zur Innenschale eindringende Wasser hatte die Malerei am meisten gelitten“, sagt Thomas Müller. Die vorgefundene Fassung stammt aus den 1970er Jahren. Dies hatte eine Analyse der bis zu zehn Farbschichten ergeben. Auch daraus lässt sich schließen, dass Maler die ursprüngliche Fassung immer wieder erneuert haben mussten. So lässt sich erklären, dass die vorgefundene Fassung schon von den Messbildern abweicht, die man 1909 von der Kuppel gemacht hatte. „Acht Monate lang haben die Restauratoren die Kuppelmalerei überarbeitet“, erinnert sich Klaus Pawlitzki. Risse mussten gefüllt, Putzschollen hinterfüllt und die ganze Fläche gereinigt werden. Nach den Reinigungsarbeiten stellte sich heraus, dass einer der Stierschädel Teile der originalen Malerei von Rode enthalten könnte, die man heute anhand seiner größeren Tiefenschärfe leicht entdecken kann. Auf den Messbildern von 1909 war zudem zu sehen, dass die Wände des Tambourrings einmal eine gegliederte Natursteinillusionsmalerei hatten. „Wir haben bei der Wiederherstellung die Natursteindarstellung stark zurückgenommen, ohne Äderung, aber dennoch mit changierenden Farbflächen“, so Klaus Pawlitzki.
So konnte insgesamt das ursprüngliche Erscheinungsbild wieder hergestellt werden. Vor allem im Hörsaal ist heute wieder die einmalige Geschlossenheit der Architektur von Langhans spürbar. Genutzt werden soll das Gebäude als Vortrags- und Veranstaltungsstätte vom Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (HZK). Noch bis Ende des Jahres ist dort eine Ausstellung zur Geschichte und Restaurierung des Tieranatomischen Theaters zu sehen.
Die statische Ertüchtigung der Bohlenbinderkonstruktion der Kuppel stellen wir in einer der kommenden Ausgaben der Zeitschrift dach+holzbau vor.
Autor
Dipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Alle Wände und Böden waren durch Quecksilber kontaminiert