Wie man eine Fassade mit Bossen als Bänder aus Putz herstellen kann
Die nach Plänen des Büros Hild und K Architekten mit wellenförmigen Stuckelementen gestaltete Fassade eines Gründerzeithauses in München beweist, dass sich das historische Motiv der Bosse modern interpretieren und mit handwerklich hergestellten Formteilen ausführen lässt.
Das Münchner Büro Hild und K Architekten, das für seine einzigartigen Entwürfe in Sachen Putz bekannt ist, hat das rustizierende Gestaltungsmittel der Bosse aufgegriffen und so verfremdet, dass dabei ein wellenförmiges Relief herauskam, das je nach Sonnenstand und Blickwinkel ein lebendiges Schattenspiel auf der Fassade erzeugt. „Die Bossierung ist ein traditionelles Gestaltungsmittel von Putzfassaden gerade hier in München. Ungewöhnlich ist eher, dass wir die Bossierung über die Sockelzone hinaus bis ins zweite Obergeschoss fortgeführt haben“, erklärt Dionys Ottl vom Büro Hild und K Architekten. Eine solche Gestaltung hat er an wenigen erhaltenen historischen Häusern in der Nähe des 1870 in der Reichenbachstraße 22 erbauten Wohn- und Geschäftshauses gefunden.
Bossierte Quaderungen, wie man sie als wehrhaft-repräsentative Gestaltung ursprünglich von Burgen und Schlössern kennt, kamen im Historismus aus Putz imitiert vor allem an Sockelzonen auch in München wieder groß in Mode – so auch an der Fassade des Gründerzeithauses in der Reichenbachstraße. Dieser spätklassizistische Schmuck war an dem im Zentrum der Stadt gelegenen Haus jedoch längst dem „Fassadenhobel“ zum Opfer gefallen. Nun galt es für die Mitarbeiter der Restauro Putz GmbH Arte Antica die schmucklos glatte Fassade mit geputzten Bossenbändern nach Plänen des Büros Hild und K neue zu gestalten – eine in Wellen über die Wand wogende Neuinterpretation des historischen Motivs zur Gliederung von Fassaden.
Zusammenarbeit zwischen Handwerkern und Architekten
Drei Gesimse gliedern die Fassade. Die Flächen dazwischen werden am Sockel- und am ersten und zweiten Obergeschoss von den gegenläufig-wellenförmigen Bossenbändern strukturiert. Andreas Hild und Dionys Ottl haben diese Bossenbänder gemeinsam mit dem Münchner Stuckateurbetrieb Restauro Putz GmbH Arte Antica entwickelt, der solch anspruchsvolle Gestaltung handwerklich umzusetzen weiß.
Verschiedene Arten der Herstellung wurden im Vorfeld zwischen den Architekten und Handwerkern diskutiert und dabei der zeitliche und wirtschaftliche Aufwand abgewogen. „Wie immer bei solchen Prozessen geht es um die Entwicklung eines gemeinsamen Ergebnisses, schließlich ist der Architekt von der glücklichen Hand seines Handwerkers abhängig. Auf dem Weg dorthin ist dann mal der eine oder mal der andere skeptisch gegenüber dem nächsten Schritt. Die ausführende Firma hat aber den Referenzcharakter des Projektes erkannt und sich weit über ihre wirtschaftlichen Grenzen hinaus engagiert“, sagt Andreas Hild.
Herstellung der Stuckformteile
Die Bossen wurden schließlich mit Hilfe vorgefertigter Formteile vor Ort im Keller des Gebäudes aus Stuckmörtel gegossen. Hierzu füllten die Stuckateure den mit Zement gebundenen, schnell härtenden Mörtel „Stuccoco Guss SG 87“ von Baumit in eine mit Silikonkautschuk ausgekleidete Hartschale, die den Stuckelementen ihre Form gibt. Eine hohe Aushärtungsgeschwindigkeit ist erforderlich, damit auch in dünnen Bereichen keine Spannungsdifferenzen und damit Risse in den Stuckelementen entstehen. „Der Gießstuckmörtel wird dann ein bisschen mit der Kelle verdichtet, damit die Luft rausgeht“, erklärt Hans Nonnenmacher, der Geschäftsführer der Restauro Putz GmbH Arte Antica ist. Für dünne Elemente verwendeten die Handwerker Glasfasergewebe als Armierung, für dicke Elemente legten sie eine Putzträgerplatte aus Blähglasgranulat in die mit Gießstuckmörtel ausgekleidete Silikonkautschukform. „Dünn meint 15 bis 20 mm, dick ab 40 mm“, präzisiert Nonnenmacher. Die Putzträgerplatte klopften die Handwerker anschließend mit einem Holzklotz fest und verfüllten den verbleibenden Raum zwischen der Platte und der größeren Gussform ebenfalls mit Gießstuckmörtel. Nach dem Aushärten des Mörtels wurde ausgeschalt: die Silikonkautschukform vom umgestülpten Bossenrohling gezogen. Auf diese Weise stellte die Restauro Putz GmbH Arte Antica hunderte Stuckformteile für die Fassade in der Münchner Reichenbachstraße her.
Montage und Überarbeitung der Stuckformteile
Zunächst zogen die Stuckateure auf die 50 bis 80 cm dicken Außenwände einen Luftporenleichtputz als Ausgleichsputz auf. Zur Verklebung der Stuckelemente kam eine Haftspachtelung als Fassadendünnschichtputz auf Kalkzementbasis zum Einsatz. Zur Sicherheit wurden die Stuckelemente mit je zwei Dübeln befestigt. Um Risse zwischen den Formteilen zu vermeiden, haben diese an ihren Enden Aussparungen, damit die Handwerker über die vertikalen Stöße bei der Montage in die Vertiefungen einen Streifen Armierungsgewebe einlegen konnten. Anschließend wurden die Stoßfugen mit Bewehrungsmörtel sauber überputzt.
Den horizontalen Fugenabstand zwischen den Stuckbändern legten die Handwerker mit Holzkeilen fest, indem sie je zwei Keile übereinander in entgegengesetzter Richtung trieben. Das gesamte Wellenrelief wurde nach Abschluss der Montagearbeiten mit einem faserbewehrten Kalkzementputz überputzt, die Oberfläche gefilzt und das Korn abgeschliffen.
Im dritten Obergeschoss brachten die Handwerker auf das Ziegelmauerwerk ebenfalls einen Kalkzementputz als Ausgleichsputz auf. Für die anschließende Bewehrungsschicht mit Gittergewebe verwendeten sie denselben faserbewehrten Kalkzementputz, den sie an den Geschossen darunter aufgebracht hatten. Das Putzkorn wurde hier allerdings fein abgekratzt, um eine glattere Oberfläche zu erzielen. Am Eingang mussten die Stuckateure die Bossenbänder von Hand ziehen. „Dann haben wir noch einmal alles mit einem vergüteten Renovierputz überarbeitet, damit die Fassade nicht wie aus einzelnen Elementen zusammengesetzt aussieht“, sagt Stuckateurmeister Nonnenmacher.
Weil sein Betrieb die Malerarbeiten grundsätzlich mit anbietet und ausführt, trugen seine Mitarbeiter als letzten Arbeitsgang eine weiße Sol-Silikatfarbe von Keim mit der Bürste auf. „Die helle Farbgebung haben wir gewählt, um die Kontrastwirkung von Licht und Schatten zu optimieren und das ausgeführte Relief sichtbar zu machen“, sagt Andreas Hild. Rund 700 Euro pro Quadratmeter kostete das Fassadenrelief inklusive der Faschen für die Fenster und Türen.
AutorDipl.-Ing. Thomas Wieckhorst ist Chefredakteur der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Euroboden, Grünwald
Planung Hild und K Architekten, München
Putz- und Stuckarbeiten Restauro Putz GmbH Arte Antica, München
Herstellerindex (Auswahl)
Putz und Stuck Gießstuckmörtel, „Stuccoco
Guss SG 87“, Kalkzementausgleichputz, „LuftporenLeichtputz LL 66 Plus“, Fassadendünnschichtputz, „multiContact MC 55 W“, Baumit, Bad Hindelang,
Putzträgerplatte „StoVentec“, Sto, Stühlingen,
Sol-Silikatfarbe „Keim Soldalit“, Keim, Diedorf,