Listel-Technik – das moderne Sgraffito
Als Gegenentwurf zu Einheits-Fassaden bieten die Putztechniken Sgraffito und Listel dem Handwerk kreative Möglichkeiten, wenn es darum geht, Wandoberflächen individuell mit Putz zu gestalten. Die Listel-Technik lässt sich im Vergleich zum Sgraffito mit weitaus weniger Aufwand ausführen.
Der Begriff „Sgraffito“ leitet sich von dem italienischen Wort „sgraffiare“ ab, zu deutsch „kratzen“. Bereits in der Antike wurde diese Technik zur Gestaltung von Wänden und Fassaden eingesetzt. In der italienischen Renaissance erlebte sie ihre Blütezeit und verbreitete sich anschließend auch nördlich der Alpen. Vom Stuckateur verlangt die Sgraffito-Technik nicht nur handwerkliches, sondern auch künstlerisches Geschick. In Deutschland kam vor allem in der Zeit des Wiederaufbaus in den 1950er und 1960er Jahren der Trend auf, Sgraffito als „Kunst am Bau“ zu etablieren. Heute wird die Putzstruktur nur noch selten genutzt, da diese Technik sehr aufwändig ist.
Die Listeltechnik hat im Vergleich dazu eine noch sehr junge Historie. Sie versteht sich als moderne, vereinfachte Interpretation der Sgraffito-Technik, und wurde ebenfalls im europäischen Ausland hervorgebracht. Vom französischen Putzhersteller Weber & Broutin entwickelt, wurde die Listeltechnik um die Jahrtausendwende auch in Deutschland eingeführt. Da hier häufig nur mit ein bis zwei Farben und geraden Linien gearbeitet wird, ist der französische Begriff „Listel“, der übersetzt „Streifen“ bedeutet, naheliegend.
Verwandte Techniken – ähnliche Anwendung
Für ein Sgraffito-Motiv werden mehrere Schichten farbiger Edelkratzputz mit etwa 1 mm Kornstärke in gleichmäßiger Schichtdicke übereinander aufgetragen. Mit einer Schablone lassen sich die gewünschten Motive auf die Wand übertragen. Je nachdem, welche Farbe an welcher Stelle im Motiv erscheinen soll, wird dort entsprechend viel vom Putz mit Hilfe einer Schlinge oder eines Spatels abgekratzt.
Diese Arbeitsschritte müssen erfolgen, solange der Putz noch feucht ist. Andernfalls besteht das Risiko, dass die Konturen unsauber ausbrechen. Deshalb ist es wichtig, zügig und ohne große Unterbrechungen zu arbeiten. Mit dem fertigen Sgraffito ist ein kunstvolles Wandbild entstanden, das dank des dreidimensionalen Reliefs eine besondere Tiefe bekommt.
Bei der Ausführung der Listeltechnik kommt zunächst nur eine Schicht Edelkratzputz zum Einsatz, die dickschichtig aufgebracht wird. Dabei gilt: je feiner die Körnung, desto feiner die Konturen – eine zu grobe Körnung führt zu unsauberen Linien. Für ein optimales Ergebnis empfiehlt sich ein Edelkratzputz mit einer Körnung von 1,5 oder 2 mm, wie zum Beispiel der „weber.top 203 AquaBalance“.
Für die weitere Verarbeitung wird eine Schablone auf dem noch feuchten Putz ausgerichtet. An ihr entlang wird ein Teil der Putzschicht mit einem Listelwerkzeug in der gewünschten Form, wie Trapez oder Schlinge abgenommen, um die so genannten Bossen oder Faschen zu schneiden. Für gerade Linien wird eine Listelschiene verwendet, die sich auf die gewünschte Breite einstellen lässt. Die Oberfläche wird im Anschluss mit einem Kratzigel bearbeitet, so dass sich im Ergebnis ein dreidimensionales Putzrelief mit Kratzputzoberfläche zeigt.
Alternativ zum dreidimensionalen und einfarbigen Relief lässt sich auch eine farbige und oberflächenbündige Zeichnung an der Putzoberfläche erzeugen. Hierzu wird die zuvor ausgeschnittene Bosse mit einem eingefärbten Edelkratzputz aufgefüllt. Nach einer entsprechenden Abbindezeit des Putzes wird die gesamte Oberfläche mit dem Kratzigel bearbeitet.
Sgraffito und Listel im Vergleich
Bei der Sgraffito-Technik sind der Motiv- und Farbvielfalt kaum Grenzen gesetzt. Die Ergebnisse zeigen individuelle Wandbilder mit räumlicher Tiefe. Die Verarbeitung ist jedoch mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden.
Die Motive der Listeltechnik orientieren sich häufig an einfachen, geometrischen Formen. Dabei muss ein Motiv nicht zwangsläufig große Flächen füllen: So wie im Innenraum oft nur einzelne Wände mit Tapete oder Farbe gestaltet werden, kann auch die Listeltechnik Akzente an der Fassade setzen. Einrahmungen um Fenster oder Türen, Verzierungen an Giebelflächen oder auch Firmen-Logos lassen sich mit der Listeltechnik ausführen. Der Aufwand ist im Vergleich zu Sgraffito verhältnismäßig gering, verlangt aber ebenso das Know-How des Stuckateurs.
Mit beiden schöpferischen Putztechniken – Sgraffito und Listel – lassen sich Fassaden dauerhaft gestalten. Im Gegensatz zu aufgemalten Bildern blättern die mit durchgefärbtem Putz gestalteten Motive nicht ab und verblassen nicht. Dazu kommt gegebenenfalls noch die räumliche Tiefenwirkung durch die Reliefstruktur. Zeitgemäß und an eine moderne Architektursprache angepasst, können diese Techniken ganz neue Spielräume für Bauherren, Planer und kreative Handwerker eröffnen. Noch warten sie – von wenigen Vorreitern abgesehen – auf eine Wiederentdeckung und Neuinterpretation.
AutorDipl.-Ing. Georg J. Kolbe ist Leiter des Produktmarketing Putz- und Fassadensysteme bei der Saint-Gobain Weber GmbH in Düsseldorf.
Sie interessieren sich für Sgraffito? Einen Grundlagenbeitrag zu diesem Thema finden Sie hier.
Auf Grundlage dieser Technik kann man auch eine Klinkeroptik aus Putz herstellen.
„Ich mag die Herausforderung“
Interview mit Stuckateur-Meister Horst Hallenberger, Geschäftsführer der Horst Hallenberger GmbH.
Objekte, die mit Sgraffito oder Listel bearbeitet wurden, überzeugen durch ein individuelles Erscheinungsbild. Doch nicht jeder Handwerksbetrieb beherrscht heutzutage noch die entsprechenden Techniken. Stuckateur-Meister Horst Hallenberger hat sich mit seinem Betrieb „Horst Hallenberger GmbH“ aus Medebach auf die anspruchsvolle Fassadengestaltung spezialisiert.
Herr Hallenberger, Listel und Sgraffito sind eher selten genutzte Elemente in der Fassadengestaltung. Wie sind sie dazu gekommen, sich auf diese Techniken zu spezialisieren?
Horst Hallenberger: Vor fast 20 Jahren habe ich in Frankreich an einer von Saint-Gobain Weber angebotenen Schulung teilgenommen. Während des achttägigen Seminars habe ich die Listel- bzw. Schneidetechnik erlernt. Damit war ich in Deutschland zunächst der einzige Stuckateur, der neben Sgraffito auch die Listeltechnik angeboten hat. Durch dieses Alleinstellungsmerkmal konnte ich mich vom Wettbewerb abheben.
Inwiefern profitieren Sie bei der Kundengewinnung durch diese Spezialisierung?
Horst Hallenberger: In der Region bin ich der einzige Stuckateur, der die Listeltechnik anbietet. Da diese Art der Gestaltung leider wenig bekannt ist, erhalte ich konkrete Anfragen eher selten. Ich kläre meine Kunden aber gerne über die vielfältigen Möglichkeiten auf und mache Ihnen individuelle Angebote. Mein erstes Projekt war das Logo der Volksbank bei einer Filiale in Medebach. Bei einem Wohngebäude habe ich Fenster und Türen mit eingearbeiteter Hausnummer verziert. Für geradlinige Muster nutze ich die Listelschiene. Wenn Kunden individuelle Motive oder Logos wünschen, fertige ich die Vorlagen und maßgetreuen Schablonen selbst an.
Was gefällt Ihnen persönlich an dieser Technik?
Horst Hallenberger: Bei der Listeltechnik reicht – wie bei Sgraffito – eine entsprechende Qualifizierung nicht aus. Es ist wichtig, genügend Vorstellungskraft und Ideen für die Umsetzung zu haben. Zudem sollte man die Proportionen richtig einschätzen können und eine gewisse Leidenschaft für diese Handwerkskunst mitbringen. Ich mag die Herausforderung: Gerade, weil diese Technik nicht banal ist und nicht jeder sie beherrscht, bin ich jedes Mal stolz auf das Ergebnis.
Welche Tipps haben Sie für andere Betriebe, die mit der Listeltechnik arbeiten wollen?
Horst Hallenberger: Für ein Projekt mit der Listeltechnik müssen die ausführenden Stuckateure entsprechend geschult sein. Ohne Know-How im Hinblick auf Material, Abbindezeiten, Werkzeuge und Verarbeitung kann das Projekt schnell misslingen. Außerdem sollte das Stuckateur-Team Spaß an kreativer Gestaltungsarbeit haben.