KI im Recruiting: Chance oder Risiko?
Immer mehr Recruiting-Agenturen bieten KI-basierte Bewerbungsmethoden. Solche Verfahren sollen Personalverantwortliche entlasten. Laut einer Studie der Internationalen Hochschule in Erfurt sehen Jobsuchende den Einsatz von KI allerdings sehr kritisch.
Objektiv und effektiv soll die Personalsuche verlaufen. Am besten stehen am Ende gleich mehrere geeignete Bewerberinnen und Bewerber zur Verfügung. Große Konzerne arbeiten bereits mit Künstlicher Intelligenz im Recruiting. Und auch mittelständische Handwerksbetriebe können damit vorankommen, wie Johann Peters von der Recruiting-Agentur Jehn & Peters aus Künzell sagt.
„Welche Infos sollen beispielsweise in die Stellenanzeige? Wie wird sie formuliert? Dazu gibt ChatGPT Ideen“, erklärt Johann Peters. Wie präsentiert sich der Betrieb auf der Website? Welche Fakten und Fotos sollen veröffentlicht werden? Wichtig sei, die KI so genau wie möglich zu fragen, um keine globalen Antworten zu bekommen. Auch bei der weiteren Kontaktaufnahme, wie der Terminvereinbarung für ein Gespräch, könne ChatGPT behilflich sein.
Für Bewerber bietet die KI wertvolle Tipps für Lebensläufe und Anschreiben. Auch Rollenspiele als Vorbereitung für Bewerbungsgespräche könnten geführt werden. „Jobsuchende sollten trotzdem versuchen, sich abzuheben und die Textvorschläge als Anregungen sehen“, rät Peters.
Agenturen bieten KI-basierte Methoden
Immer mehr Recruiting-Agenturen arbeiten mit KI-basierten Methoden
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Mittlerweile bieten immer mehr Recruiting-Agenturen auch KI-basierte Methoden an. Das Unternehmen Brandmonks mit Sitz in Mainz stellen wir exemplarisch vor. „Die Zielgruppe lässt sich genau ansteuern und wird vollautomatisch an ihren digitalen Touchpoints auf neue Jobperspektiven in der Baubranche aufmerksam gemacht. Wer interessiert ist, wird direkt zu einer digitalen Kompetenzreise auf eine Landingpage eingeladen. Dort werden fachliche Skills abgefragt und die individuelle Kompetenz der Kandidaten analysiert. Dazu gehören zum Beispiel Motivation und Lernbereitschaft“, sagt Katharina Pratesi. Sie erklärt die „flynne-Methode“: Das suchende Unternehmen bekommt einen Software-Zugang für flynne und „füttert“ eine Landingpage mit Informationen zu den Jobanforderungen.
Dann wird über KI, passend zum Profil des Stellengesuchs und der Zielgruppe, eine Online-Marketingkampagne generiert (also Werbebanner) für Facebook, Instagram und LinkedIn zur Ansprache der potentiellen Mitarbeiter. Wer so ein Werbebanner anklickt, wird automatisch auf die Landingpage des Unternehmens geleitet. Dort werden die Job-Qualifikationen abgefragt, die dem Arbeitgeber wichtig sind und die er vorab schon definiert hat. KI-gesteuert findet dann eine Vorauswahl der Kandidaten und die Terminanfrage für ein Vorstellungsgespräch statt – vollständig automatisch. Und zwar bei den Kandidaten, die der Unternehmer persönlich kennenlernen möchte.
Kandidaten auf „Bewerbungsreise“
Die Kandidaten begeben sich sozusagen auf eine „Bewerbungsreise“, was auch übers Smartphone funktioniert. Sie beantworten per Click die Fragen, was nur wenige Minuten dauert. Die ersten Bewerbungen können schon nach 24 Stunden eingehen, aber in der Regel läuft eine Bewerbungskampagne mehrere Wochen. Was die Dauer einer Kampagne und die Höhe des Marketingbudgets angeht, dazu gibt Brandmonks Empfehlungen, basierend auf Erfahrungswerten. Der Kunde werde umfassend begleitet, verspricht die Mainzer Agentur.
Eine Künstliche Intelligenz trifft eine Vorauswahl für Bewerbungsgespräche und soll Personalverantwortliche dadurch entlasten
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Wer KI eine Chance gebe und entsprechend programmierte Tools zur Vorauswahl von Kandidaten einsetze, der werde schneller passende Talente finden als seine Wettbewerber, so Brandmonks. Der Grund: Die KI könne so programmiert werden, dass sie auch außerhalb der eigenen Branche effizient nach neuen Mitarbeitenden sucht. „Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass jede zweite Person, die auf die „flynne“-Ansprache reagiert, am Ende auch für ein Vorstellungsgespräch zur Verfügung steht“, so Katharina Pratesi. Den Erfolg des KI-Recruitings erklärt sie folgendermaßen: „Mit der Methode erreichen Unternehmen die 47 Prozent der Arbeitnehmenden, die laut einer Gallup Studie zwar offen für einen Jobwechsel sind, aber nicht aktiv auf Jobsuche gehen. Auch erreichen wir damit 86 Prozent der deutschen Arbeitnehmer, die emotional nicht an ihr Unternehmen gebunden und damit offen für neue Perspektiven sind.“
Mehr Zeit für Gespräche
Neben der Kostenersparnis und der schnellen Besetzung offener Stellen biete ein KI-Tool dank der automatischen Vorauswahl einen weiteren großen Vorteil: Unternehmen können sich zukünftig mehr auf die persönlichen Gespräche konzentrieren. Denn ein KI-Tool erfasst in der Regel alle fachlichen Skills und gleicht sie mit dem Jobprofil ab. Erfordert eine Position zum Beispiel, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat reisebereit ist oder sogar den Wohnort für den Job wechseln müsste oder dass er oder sie ein besonderes Feingefühl im Umgang mit Kunden mitbringt, könne das Tool diese Kriterien entsprechend gewichten. Die Ergebnisse werden anschließend in Echtzeit vollautomatisch ausgewertet und den Recruitern über das Tool zur Verfügung gestellt. Sie brauchen die Bewerber dann nur noch zu kontaktieren, was auch automatisch erfolgen kann.
Und wie denken Bewerber über KI-basiertes Recruiting? Die Internationale Hochschule in Erfurt hat dazu 2022 die Studie „KI im Recruiting: Emotionen, Ansichten, Erwartungen“ erstellt. Befragt wurden 1005 Personen. Rund ein Drittel hatte die mittlere Reife, mehr als die Hälfte Fachabitur und höhere Abschlüsse. 71 Prozent der Befragten war aktuell berufstätig. Das Ergebnis ist: Die meisten Befragten verbinden mit KI im Recruiting Negatives und stehen dem kritisch gegenüber. 43 Prozent sind sogar der Meinung, dass Künstliche Intelligenz den Bewerbungsablauf für sie verschlechtert.
Nachteil KI: Der Mensch kommt zu kurz
Wer kommt ins Team? Darüber soll keine KI entscheiden, wie Befragte einer Studie betonen
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Die Begründung: Der Faktor Mensch komme zu kurz. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer befürchtet, dass zwischenmenschliche Aspekte in den Hintergrund rücken. Nicht hilfreiche Chatbots oder mit einer Roboterstimme geführte Bewerbungsgespräche können in der Folge dazu führen, dass sich Kandidatinnen und Kandidaten nicht wertgeschätzt fühlen. Fast zwei Drittel der Befragten vertraut auch den Entscheidungen nicht, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz getroffen werden. Mehr als 70 Prozent möchten, dass ein echter Mensch Schritt für Schritt den Bewerbungsprozess kontrolliert.
Ein Drittel der Befragten erhofft sich jedoch mehr Chancengleichheit. Prof. Dr. Katharina-Maria Rehfeld, Professorin für Personalmanagement an der IU Internationalen Hochschule, erklärt: „9 von 10 Befragten haben aber noch keine bewussten Erfahrungen mit KI-Recruiting gemacht.“ Sie rät, den Bewerbungsprozess menschlich zu gestalten und den Einsatz von KI transparent zu machen.
In der Studie werden einige Maßnahmen aufgelistet: Eine menschliche Person sollte den Bewerbern als Kontaktperson zur Verfügung gestellt werden, die Fragen zum Unternehmen oder dem Bewerbungsprozess beantwortet. Job-Interessierte sollten frei zwischen KI oder Mensch entscheiden können. Betriebe sollten mehr Informationen darüber geben, welche Vorteile man persönlich durch den Einsatz von KI habe. Schließlich könne durch ein nahtloses Onboarding gelingen: Der KI-Assistent beantwortet Fragen zu Unternehmensrichtlinien, stellt wichtige Informationen bereit und sorgt so für einen reibungslosen Start ins Berufsleben.
Die Studie lässt sich als Whitepaper downloaden
https://static.iu.de/studies/202203_KI_im_Recruiting_Whitepaper.pdf
Michaela Podschun ist Redakteurin der Zeitschriften bauhandwerk und dach+holzbau.