Sanierung und Umnutzung der Kantgaragen in Berlin
In Berlin steht die älteste erhaltene Hochgarage mit einer doppelt gewendelten Auf- und Abfahrtsrampe Europas. Sie war im Stil der neuen Sachlichkeit gebaut worden. Das besondere Verkehrsbauwerk wurde nun, nach jahrelanger Vernachlässigung, saniert und einer neuen Nutzung zugeführt.
Lange Zeit war die Zukunft der Kant-Garagen ungewiss, da der ehemalige Besitzer nicht bereit war, das Gebäude sanieren zu lassen, sondern sich den Abriss des Baus wünschte. Bereits seit 1991 stand die architektonisch und baugeschichtlich wichtige Hochgarage unter Denkmalschutz. Sie war 1929/1930 im Stil der neuen Sachlichkeit unter anderem von dem Architekten Hermann Zweigenthal geplant und realisiert worden.
Als das zuständige Bauamt Charlottenburg-Wilmersdorf den Antrag auf Abriss 2013 ablehnte, wurde der Kantgaragenpalast schließlich doch 2016 verkauft, um von seinem neuen Besitzer denkmalgerecht saniert und einer neuen Nutzung zugeführt zu werden. Das Architekturbüro Nalbach + Nalbach Architekten wurde mit der Sanierung beauftragt. Wichtigste Ansatzpunkte waren dabei der möglichst umfangreiche Erhalt der Originalsubstanz sowie die Ablesbarkeit der historischen Gebäudestruktur.
Älteste Hochgarage mit Doppel-Helix
Die historische Aufnahme der Kantgaragen in Berlin von 1930 zeigt sehr deutlich, wie stark der Neubau das Straßenbild bestimmt hat
Foto: Ullstein-Verlag
Die auffälligste architektonische Besonderheit des Garagenbaus ist die Doppel-Helix der Auf- und Abfahrtsrampe, durch die sich die Fahrzeuge nicht begegnen können. Die Hochgarage gilt als die älteste erhaltene Hochgarage mit Doppel-Helix in Europa. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die gläserne, geschwungene und vom Erdgeschoss bis in das 4. Obergeschoss durchgehende Vorhangfassade an der Südseite.
Betrachtet man die historischen Aufnahmen von 1930 fällt besonders auf, was für ein Novum der Bau allein schon in seiner Größe, aber auch in seiner Anmutung seinerzeit darstellte. Das Auto hatte im Laufe der 1920er-Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen und das Abstellen der Fahrzeuge forderte gerade auch in Berlin neue Antworten. Bei dem Kantgaragenpalast handelte es sich nicht allein um Parkflächen, sondern um eine Aneinanderreihung von beheizbaren, garagenähnlichen Metall-Parkboxen (sogenannte Heinrichsboxen) sowie Angeboten zur Autopflege und -wartung. Heute wird die Kantgarage nicht mehr als Parkhaus genutzt. Gemietet wird sie derzeit vom Design-Kaufhaus stilwerk aus Hamburg, das hier mehrere Etagen als Showroom nutzt.
Vernachlässigte Fassaden
Die Süd-Fassade konnte nicht erhalten werden und wurde nachgebaut
Foto: Oskar Fritz
„Der Zustand des Gebäudes vor der Sanierung war schlecht, vor allen Dingen ungepflegt und vernachlässigt,“ erzählt Architekt Balthasar Freise vom Büro Nalbach + Nalbach Architekten. „Die Vernachlässigung hatte allerdings auch Vorteile: Viele Originalbauteile waren erhalten geblieben beziehungsweise belegten noch immer recht gut bauzeitliche Details und Farbfassungen, wie beispielsweise der beige Farbton der Fassadenprofile.“
Die Zustände der beiden Fassaden an der nördlichen Kantstraße und an der südlichen Bahntrasse waren allerdings unterschiedlich, sodass im Endeffekt die Nordfassade saniert werden konnte und nur zur energetischen Ertüchtigung durch eine zweite Fassadenebene ergänzt wurde. Die Südfassade hingegen konnte nicht erhalten werden und wurde von der Firma Oskar Fritz GmbH, die auch mit der Sanierung der Straßenfassade beauftragt war, nachgebaut.
„Ein anspruchsvolles Projekt, das uns technisch große Freude bereitet hat!“ so Andreas Ullrich, Geschäftsführer der Firma, der die Statik der Fassaden-Tragkonstruktion selbst per Hand gerechnet und in einer 100-Seiten starken Statik festgehalten hat. „Die Besonderheit der Fassaden lag nicht zuletzt darin, dass die Profile extrem schlank waren und dennoch die Anforderungen an ein zeitgemäßes Gebäude erfüllt werden mussten.“ An der Kantstraße konnte dies über die zweite Scheibenebene erfüllt werden, die nun circa 80 cm von innen vor der Bestandsfassade sitzt. Auf dieser Seite wurden die alten Fenster demontiert, gesandstrahlt und Fehlstellen ergänzt.
Geschädigte Profile wurden nachgebaut
Die neuen Profile für die Südfassade sind sehr schlank
Foto: Oskar Fritz
Teilweise mussten einzelne Profile, in Einzelfällen auch ganze Fenster, die zu stark beschädigt waren, nachgebaut und ausgetauscht werden. Von den 24 Bestandsfenstern sollten nach der Sanierung 12 weiterhin gang- und schließbar sein und über die notwendigen, funktionierenden Beschläge verfügen. Durch diese Reduzierung konnten alle Beschläge durch den Bestand gedeckt werden. Allerdings musste die bestehende Tragkonstruktion komplett ersetzt werden, da die alte zu viele Schäden aufwies und nicht mehr als standsicher eingestuft worden war. Sie wurde durch eine neue Tragkonstruktion mit den bauzeitlichen I-80-Profilen, also mit Profilen, die es damals gab und auch heute noch gibt, nachgebaut.
Das alte, teils blind gewordene Drahtglas konnte ebenfalls nicht erhalten werden. Es wurde durch baugleiches historisches Drahtglas ersetzt. „Für die Rekonstruktion der Tragkonstruktion der Südfassade kam unser neuer Schweißroboter umfassend zum Einsatz, da alle Profile durchweg geschweißt werden mussten“, erläutert Fachingenieur Ullrich. Auf der rekonstruierten Südseite hielt man sich an die geringe Breite der Profile von nur 5,6 cm und kompensierte dies durch eine höhere Tiefe. Eine insgesamt hervorragende, sorgfältig ausgeführte Arbeit, die einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des bauzeitlichen Erscheinungsbildes der Hochgarage geleistet hat.
Die Betonsanierung
Beim Höchstdruckwasserstrahlen wird mit hohem Druck Wasser durch eine sehr kleine Düse gepresst, so dass mit dem Strahl der Beton abgetragen werden kann ohne den Stahl zu schädigen
Foto: ifb frohloff staffa kühl ecker
Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Projektes war die Sanierung des Betons. Zu dieser umfassenden, von der Firma Bekor aus Hamburg durchgeführten Maßnahme gehörte unter anderem der Austausch des Betons in einzelnen Deckenfeldern mit Höchstdruckwasserstrahlen. Gearbeitet wird dabei mit einem 3-mm-Wasserstrahl und einem Druck von 2500 bis 3000 bar. „Das Verfahren hat den Vorteil, dass die vorhandene Bewehrung erhalten bleibt und weiter genutzt werden kann. Nur der Beton wird quasi weggespült“, erklärt Michael Kühl vom Ingenieurbüro ifb Tragwerksplaner. „Der Eingriff ist mit sehr viel Dreck und Wassereintrag verbunden, was in diesem Fall kein Problem darstellte.“ In den Deckenbereichen, die nicht ausgetauscht wurden, ist die brandschutztechnisch notwendige Überdeckung gemäß F90 nicht gegeben. Dies wurde durch den Einbau einer Sprinkleranlage ausgeglichen.
Unterzüge und Stützen sind in ihrer Funktion erhalten geblieben und wurden aus brandschutztechnischen Gründen mit 2 bis 3 cm Spritzmörtel ertüchtigt. An der 60 m langen Brandwand an der Ostseite hingegen sind Stützen und Riegel sowie die in den Nischen ergänzte Ausmauerung weiterhin durch einen Schlämmputz ablesbar.
Schwimmender Estrich
Um die Räumlichkeiten zukünftig auch als Büroflächen nutzen zu können, mussten die Betondecken in einigen Bereichen um einen schwimmenden Estrich ergänzt werden. Dafür musste zunächst der bestehende Verbundestrich heruntergefräst werden, bevor der neue, schwimmende Estrich aufgetragen wurde. „Für die Statik war wichtig, dass der neue Aufbau nicht schwerer sein durfte als der alte“, erklärt Statiker Kühl. „Von den 4 kN, die seinerzeit für die Garagennutzung zu Grunde gelegt worden waren, benötigten wir nun nur noch 2 kN für die Büronutzung sowie 0,8 kN für die neuen Trennwände. Die verbleibende Differenz von 1,2 kN hatten wir also noch in Reserve für den Einbau des schwimmenden Estrichs.“
Im Untergeschoss war die Ergänzung mit einer Weißen Wanne erforderlich geworden, da für das benachbarte Hotel ein Baugrundgutachten erstellt worden war. Dies hatte ergeben, dass der ZeHGW, der zu erwartende Höchstgrundwasserstand, oberhalb des Kellerfußbodens lag. Obwohl es in der gesamten Standzeit des Gebäudes nie zu einem solchen Fall gekommen war, entschied sich der Bauherr letztendlich dafür, auch diese Maßnahme durchführen zu lassen.
Maßnahmen im Dachgeschoss
Über dem Oktagon der Rampenanlage tragen ein Stahlrost und eine 14-cm-Betonplatte das neue Penthouse
Foto: ifb frohloff staffa kühl ecker
Das Kellergeschoss musste also abgedichtet, das oberste Geschoss vor allen Dingen statisch ertüchtigt werden. Die Garage war seinerzeit für sechs Obergeschosse tragwerkplanerisch gerechnet worden. Es wurden aber 1930 nur vier Obergeschosse gebaut, beziehungsweise 1935 um ein 5.OG ergänzt, sodass für neue Lasten noch ein ausreichender Puffer gegeben war. Allerdings hatten bisher die über 20 m freitragenden Träger im Dachgeschoss nur ihr eigenes Gewicht und die leichte Dachkonstruktion zu tragen. Nun aber sollte hier nicht nur ein neues Penthaus auf dem Dach entstehen, auch die Technik des Gebäudes musste statisch berücksichtigt werden.
Daher wurden die Träger an jeweils zwei Stellen, in den Achsen B und C, zusätzlich unterstützt. Die aufwändige Lüftungstechnik, die hier ebenfalls ihren Platz finden musste, begründet sich durch die Idee – die bislang allerdings noch nicht umgesetzt wurde – im Erdgeschoss unterschiedliche gastronomische Angebote vorzuhalten. Entsprechend umfangreich ist nun also die Haustechnik, die oben auf der Dachfläche oberhalb des Hallenbereiches auf einer eigenen Haustechnik-Bühne steht. Diese wiederum lastet auf der neuen Dachfläche aus Spannbeton-Hohldielen. Das neue Penthouse wiederum steht auf einem Stahlrost auf einer neuen 14-cm-Betonplatte oberhalb der Rampe.
Umgang mit dem Bestand
Der Fluchtsteg vom Penthouse zum bestehenden Treppenhaus am Hof kommt per Kran
Foto: ifb frohloff staffa kühl ecker
Manchmal gibt es erstaunlich einfache Lösungen für komplexe Probleme! In diesem Fall ging es um das hofseitige Fluchttreppenhaus mit einem alten Stahlgeländer, mit dem die heute notwendige Absturzsicherung nicht mehr nachgewiesen werden konnte. „Das Geländer war nicht hoch genug und die Streben zu weit voneinander entfernt. Die Lösung besteht nun in einem von oben abgehängten und verspannten Netz, das vor die gesamte Treppe gespannt wurde“, so Architektin Johanne Nalbach. „Die alte Struktur ist erhalten geblieben und die Sicherheit gewährleistet.“
Auch die alten Rampen und die Garagentore sollten zumindest teilweise weiterhin in ihrer Funktion ablesbar bleiben. Die Rampenanlage ist daher geschossweise durch brandschutztechnisch notwendige Glas-Trennwände von den übrigen Bereichen getrennt, die alte Garagenfunktion trotzdem optisch erhalten. Die Rampen mit ihren historischen Betonoberflächen eignen sich sehr gut als Ausstellungsflächen, können theoretisch aber auch befahren werden.
Zudem blieben 36 der 132 Garagenboxen erhalten, die auch als kreative Büroflächen genutzt werden könnten. Die historischen Tore wurden ausgebaut, während der neue Estrich aufgebracht wurde, so dass sie mit neuen Schienen wieder eingepasst werden mussten. Die Stellplätze im Untergeschoss bleiben in ihrer Funktion erhalten und werden von dem Hotel nebenan genutzt und auch über dieses erschlossen.
AutorinDipl.-Ing. Nina Greve studierte Architektur in Braunschweig und Kassel. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Lübeck (www.abteilung12.de) und ist unter anderem für die Zeitschriften DBZ, bauhandwerk und dach+holzbau tätig.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Rational Generalunternehmer GmbH & Co, Berlin, Dirk Gädeke Immobilien, Berlin
Architektur Nalbach + Nalbach Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin, www.nalbach-architekten.de
Tragwerksplanung ifb frohloff staffa kühl ecker, Beratende Ingenieure PartG mbB, Berlin, ifb-berlin.de
Betonsanierung Bekor GmbH, Hamburg, bekor.net
Fassadensanierung und Rekonstruktion Oskar Fritz GmbH, Berlin, metallbau-oskar-fritz.de
Generalunternehmer KoHa Bauausführungen und Immobilien GmbH, Berlin, www.koha.ag
Bild-Quellen
Die historische Aufnahme der Kantgaragen in
Berlin von 1930 stammt von Ullstein-Verlag in: Architektur für Automobile, Hochgaragen und Parkhäuser in Deutschland, Eine Auto(Mobil)-Vision im 20. Jahrhundert; (Hartmann, René), Dissertation an der Fakultät I - Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin, 2016
Das historische Foto der Rampenanlage mit Blick in den Waschplatz stammt aus: Bundesarchiv, Signatur: Bild 102-10459. September 1930