Putzen wie früher

Besenstrichputz, Schleppputz, Steinputz – diesen und weiteren historischen Putzarten kommt bei der Denkmalpflege eine besondere Bedeutung zu. Mit dem entsprechenden Know-how werden Handwerker, die diese Techniken beherrschen, zu gefragten Experten.

Bauweisen, Techniken und Baumaterialien haben sich in den vergangenen Jahrhunderten fortlaufend entwickelt. Bei der Sanierung denkmalgeschützter Fassaden stellt die Beschaffung traditioneller Putze daher eine ebenso große Herausforderung dar wie die Wahl der richtigen Verarbeitungstechnik. Zwar ist Putz – heute wie vor Jahrhunderten – die häufigste Fassadenoberfläche in Deutschland, allerdings kommen bei der Verarbeitung überwiegend Standardtechniken zum Einsatz. Fachhandwerker können sich durch Kompetenz im Bereich historischer Putztechniken daher einen deutlichen Wettbewerbsvorteil sichern.

Denkmalschützer auf Fachhandwerk angewiesen

„Putz bietet mit seinen unterschiedlichen Bindemitteln, Körnungen und Sanden eine einzigartige Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten. Allerdings sind viele der klassischen Verarbeitungsformen Planern und Handwerkern nicht mehr geläufig. Viele alte Putztechniken geraten daher in Vergessenheit“, bedauert Architektin Pinar Gönül, Mitherausgeberin des Fachbuches „Über Putz – Oberflächen entwickeln und realisieren“, die sich mit Prof. Annette Spiro an der ETH Zürich intensiv mit verschiedenen Putztechniken befasste. „Fachhandwerker sollten versuchen, stärker auf den Bedarf von Architekten einzugehen und sich wieder mit den unterschiedlichen Techniken zu befassen. Das Handwerkerwissen bleibt dem Architekten meistens verborgen, kann für ihn aber von großem Nutzen sein,“ sagt Pinar Gönül.

Gerade Denkmalschützer stehen bei der Rekonstruktion historischer Putzfassaden häufig vor Problemen, insbesondere wenn die Baudokumentation ganz oder teilweise fehlt, oder wenn die ursprünglichen Herstellerfirmen nicht mehr oder unter anderem Namen existieren.

So kamen beispielsweise die mit der Sanierung des UNESCO-Weltkulturerbes „Haus am Horn“ in Weimar beauftragten Architekten nur durch einen Zufall darauf, dass der ursprüngliche Putzlieferant Terranova in der Firma Saint-Gobain Weber aufgegangen war. Als diese Verbindung hergestellt war, konnte der Schabeputz „weber.top 200“, der an dem Bauhaus-Denkmal bereits 1923 von den Handwerkern verwendet wurde, wieder originalgetreu bezogen werden.

Die Vielfalt der mineralischen Edelputze

Mineralische Putze haben sich seit Jahrhunderten bewährt und bieten noch heute entscheidende Vorteile: Im Gegensatz zu organisch gebundenen Alterna­tiven basieren sie auf natürlichen Rohstoffen, sind individueller in der Gestaltung und lassen sich schnell und effizient verarbeiten. Die Werktrockenmörtel unterscheiden sich in der Art und Größe des eingesetzten Strukturkorns. Besonders feine Oberflächen lassen sich mit Korngrößen von 1 mm erzielen. Währenddessen sorgen Körnungen von bis zu 8 mm für ein kräftiges Er­scheinungsbild. Diverse Zuschläge ermöglichen zudem unterschiedlichste Farbvariationen. So lässt sich bei­spiels­weise durch Marmor in Kombination mit Bin­de­mitteln wie Kalkhydrat und Weiß­zement eine natürlich weiße Färbung erreichen. Durch die unterschiedli­chen Putzformen und die Art der Oberflächen­behandlung ergibt sich schließlich eine ganz individuelle Form des Oberflächenfinishs.

Heutzutage gilt die Fassadengestaltung mit einem Filz-, Scheiben- oder Reibeputz als Standard. Die Verarbeitung mit Kunststoffglätter oder Filzbrett ist den meisten Handwerkern geläufig. Die Produkte stehen sowohl als organische als auch mineralische Varian­te zur Verfügung. Interessanter wird es, sobald die Oberflächengestaltung durch den Ein­satz unterschiedlicher Techniken und Werkzeuge freier wird.

Individuelle Strukturen mit Edelkratzputz

Eine Besonderheit auf diesem Gebiet ist der mineralische Edelkratzputz. Während bei den zuvor genannten Putzen die Körnung von einem Bindemittelfilm umgeben ist, der eine relativ homogene Putzoberfläche entstehen lässt, bietet Edelkratzputz die Möglichkeit, unterschiedlichste Körnungen frei an der Oberfläche zu präsentieren. Der Grund liegt in der Verarbeitung: Die Auftragsdicke beträgt in der Regel 10 bis 15 mm. Nach der Erhärtungszeit wird die bindemittel- und spannungsreiche Oberfläche mit einem Kratzigel bis auf eine Schichtdicke von 8 bis 10 mm abgekratzt. Durch das gekonnte Herauslösen des Korns beim Kratzvorgang entsteht eine charakteristische lebendige Struktur.

Diese Technik ist ein handwerklich-künstlerischer Vorgang, mit dem man der Fassade eine ganz eigene Handschrift verleiht. Durch den Zusatz von Glimmerspat werden Glitzereffekte ermöglicht. Zudem lässt sich mit feinen Körnungen mühelos die oft geforderte gleichmäßige Oberfläche herstellen. So wirkt ein Edelkratzputz mit feiner Korngröße ruhiger als ein Scheibenputz mit der gleichen Körnung. Eine weitere Form des Edelkratzputzes ist der Schabeputz. Statt mit dem Nagelbrett wird er dabei mit der Ziehklinge abgezogen.

Renaissance der Putztechniken

Immer häufiger zum Einsatz kommt gegenwärtig der Besenstrichputz. Er wurde früher gerne zur Gliederung von Sockelzonen eingesetzt und ist heute an Hauptfassaden durchaus wieder gefragt. Dafür wird ein dickschichtiger mineralischer Oberputz in zwei Lagen von je 2 bis 3 mm Dicke aufgetragen und noch im frischen Zustand mit einem einfachen Straßenbesen horizontal gestrichen. Das Ergebnis ist eine geometrisch anmutende, kraftvolle und zugleich filigrane Reliefstruktur.

Um eine lebhafte Fassadenoberfläche herzustellen, eignet sich insbesondere der Spritzputz. Er kann – auch als pastöse Variante – einfach maschinell aufgebracht werden. Dafür wird ein feinkörniger, dünnflüssiger Mörtel zwei- oder mehrmals auf die Hauswand aufgespritzt. Die finale Struktur lässt sich durch die Kornstärke des Materials bestimmen. Durch die spätere Licht- und Schattenwirkung entsteht ein fast verspielter Eindruck.

Eine weitere, heute selten anzutreffende Fassadenoberfläche ist der Schleppputz. Dieser wird von Handwerkern überwiegend an  denkmalgeschützen Gebäuden verarbeitet. Je nach Kornabstufung lässt sich mit ihm eine individuelle Schleppstruktur erzeugen, die sich aus der Größe der gerundeten Gesteinskörperchen ergibt. Die Formen entstehen, indem der auf einen ebenen Unterputz vollflächig geworfene oder aufgezogene Mörtel mit einer Kartätsche oder einer Putzlatte bei schwachem, gleichmäßigem Druck senkrecht überzogen wird. Dabei wird das Material von unten nach oben so über das Strukturkorn geführt, dass dieses auf dem Untergrund mit rollt. Dabei entstehen unregelmäßige Kornläufe in ungleichmäßiger Matrix.

Mit Steinputzen lassen sich Oberflächen herstellen, die den Eindruck einer nahezu fugenlosen Steinfassade vermitteln. Das Material wird in 6 bis 10 mm Dicke aufgezogen, mit der Glättkelle plan verzogen und im Anschluss flächig verrieben. Nach erstem Ansteifen kann – zur besseren Steinsichtigkeit – die Oberfläche gewaschen werden. Anschließend wird dem Putz nach historischen Vorlagen eine spezielle Optik gegeben. Dabei bedient man sich traditioneller Techniken der Steinmetze wie Scharrieren, Stocken, Schleifen oder Sandstrahlen, was zu der charakteristischen unregelmäßigen Struktur und Farbgebung führt. Steinputz kommt vorrangig bei Bauwerksteilen wie Türeinfassungen, Eck- und Sockelquadern oder Fenstersohlbänken zum Einsatz. Viele repräsentative Gebäude in Berlin und Umgebung sind mit Steinputz ausgeführt, beispielsweise das Rathaus Neukölln oder Teile der Fassade des Bundesumweltministeriums in Berlin-Mitte.

Autor
Georg Kolbe ist Leiter Produktmarketing Fassade/Wand bei der Saint-Gobain Weber GmbH in Düsseldorf.
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