Kornbrennerei mit neuem Leben
Der baufällige Backsteinkomplex der einstigen Elmendorfer Kornbrennerei im Gütersloher Ortsteil Isselhorst wurde von Bauherr und Designer Markus Temming und Architekt Thomas Lampe dank eines vielfältigen, modernen Nutzungskonzeptes mit neuem Leben erfüllt.
Auf der Suche nach einer größeren Produktionsstätte für seine Brillenmanufaktur kaufte Markus Temming 2013 das 8000 m2 große Areal der Elmendorfer Kornbrennerei. Deren Anfänge reichen bis in das Jahr 1689 zurück. Der alte Fabrikhof, heute „An der Manufaktur“ genannt, wurde nun sensibel saniert, mit moderner Architektur kombiniert und dem Baufortschritt entsprechend, mit Vielfalt und Leben gefüllt.
Der Herkulesaufgabe der Umnutzung der Brennerei und Mälzerei ging der möglichst schnelle Umzug des Unternehmens Markus T voraus. Die Verwaltung fand ihren Platz im ehemaligen Kontorhaus. Die gläserne Brillenmanufaktur hat, nach umfangreichen Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten, heute ihren Sitz in der im Jahre 1882 erbauten, früheren Kellerei.
„Unzähmbarer“ Koloss
„Ich ging gerne um die Brennerei/Mälzerei herum, aber nicht unbedingt hinein“, erinnert sich Markus Temming an die Zeit vor den Sanierungsarbeiten. Die zentrale Frage war: Wie kann man einen solchen Backsteinkoloss überhaupt sinnvoll nutzen? Ein 80 m langer Gebäudekomplex mit einer Fläche von 1600 m2, mit Raumhöhen zwischen 8 m und weniger als 2,50 m, einer Gebäudetiefe von bis zu 22 m und zwischen 60 cm und 80 cm dicken Wänden. Darüber hinaus erschwerten das durch Feuchtigkeit stark geschädigte Fundament sowie zahlreiche An- und Umbauten innerhalb des Gebäudes die Schaffung eines stimmigen Nutzungskonzepts. Des Weiteren verfügten die üppigen Backsteinfassaden nur über wenige, kleine Fensteröffnungen, während die alten Holzbalkendecken des Gebäudeensembles das Thema Brandschutz aufwarfen.
Kreativität und Sachverstand gebündelt
Ideen und Entwurfsplanung gingen fortan Hand in Hand. Markus Temming und Architekt Thomas Lampe bündelten Kreativität und Sachverstand und ließen sich von Rückschlägen nicht irritieren. Planerische Herausforderungen standen zunächst im Vordergrund. Schnell verständigte man sich darauf, dass das Hauptgebäude, die alte, besonders baufällige Brennerei, für eine reine Wohnnutzung ungeeignet, zu verschachtelt und zu groß sein würde. Somit stand fest, dass auch Gewerbeeinheiten, Büro- und Praxisflächen einziehen sollten.
„Ein Bauwerk mit mehr als 14 m Raumtiefe kann keinen ausreichenden Tageslichteinfall für Wohnraum mehr gewährleisten, geht man von einer klassischen, zweispännigen Gestaltung der Etagen aus“, erklärt Architekt Thomas Lampe. „Die Brennerei misst an der breitesten Stelle 22 m, und so erwies sich das Einfügen breiter Mittelzonen auf die neu zu gestaltenden Geschossflächen als sinnvoll. Diese Mittelzonen bieten heute ausreichend Platz für Nebenflächen, wie Service-, oder Aufenthaltsräume sowie Toiletten. Die enorme Raumtiefe wurde so sinnvoll genutzt und gleichzeitig überbrückt“, so Lampe. Zu beiden Seiten dieser Mittelzonen verlaufen die Flure und erst daran schließen sich die Räumlichkeiten an.
Unzureichender Tageslichteinfall betraf auch die nur eingeschossige Gebäudespitze der ehemaligen Brennerei. Hier wurde das alte Schleppdach entfernt und ein Lichthof eingefügt.
Die zwei großen Loftwohnungen, die in der zweiten Etage der Brennerei entstanden sind, umschließen heute zu drei Seiten Dachterrassen, die den Wohnräumen die Tiefe nehmen.
Auch blieb die entscheidende Frage der Gebäudeerschließung zu klären. Der Turm an der Mälzerei bot sich wegen seiner Höhe als Haupteingang und Treppenhaus an. Auch gab es genug Platz für einen Fahrstuhl. Damit waren die Etagen der ehemaligen Mälzerei erschlossen, nicht jedoch die Brennerei. Ein zweites Treppenhaus war nicht gewollt. Heute führen Brückenkonstruktionen vom Treppenhaus hinüber in die Geschosse der Brennerei. Durch den gezielten Einsatz von Rauchmeldern wurde auch den strengen Vorgaben hinsichtlich des Brandschutzes Genüge getan.
Rückschlägen folgen grandiose Lösungen
Theoretische Lösungen und deren praktische Umsetzung funktionierten im Zuge von Sanierungsarbeiten nicht immer. Um die alten Holzdecken zu erhalten und ausreichenden Brandschutz zu gewährleisten, sollten die Deckenunterseiten in der einstigen Brennerei mit einer Brandschutzverkleidung versehen und oben neuer Estrich aufgebracht werden. Statik und Brandschutz ließen sich jedoch nicht vereinbaren. Die Holzbalkendecken und Fundamente hielten den großen Lasten nicht Stand. Auch zeichnete sich keine befriedigende Lösung hinsichtlich der sehr unterschiedlichen Raumhöhen ab. Man entschied sich daher, alle Decken herauszunehmen und auch das Dach zu entfernen. Stehen blieben nur die tragenden Wände, die aufwendig abgestützt werden mussten.
In der Mälzerei hingegen, dem stabilen Kornlager, konnte man in zwei Geschossen die alten Kappendecken erhalten. Die zwei übrigen Decken dieses viergeschossigen Gebäudes mussten weichen und wurden durch nur eine neue Betondecke ersetzt, um mehr Raumhöhe zu gewinnen. Schädlingsbefall war der Grund dafür, dass auch die hölzerne Dachkonstruktion der Mälzerei abgerissen wurde. Brennerei und Mälzerei erhielten, wie zuvor, neue, mit Bitumenbahnen gedeckte Dachflächen.
Um neue Stahlbetondecken einziehen zu können, stellte es sich als unumgänglich heraus, den Boden unter den von einem Bachlauf durchfeuchteten, alten Bruchsteinfundamenten, in großen Bereichen der tragenden Wände mit einem Injektionsverfahren zu unterspritzen und dadurch zu verhärten. Entlang des gesamten Gebäudekomplexes folgte eine Horizontalsperre mit injiziertem Epoxidharz, um aufsteigender Feuchtigkeit keine Chance zu geben.
Spuren häufiger An- und Umbauten zeichneten die großen Fassadenflächen und die erhalten gebliebenen Backsteinwände, vorwiegend im Erdgeschoss der Brennerei. Unnötige Maueröffnungen galt es zu verschließen, defekte Mauersteine auszutauschen oder zu ergänzen. Dabei war es immer das Ziel, den Charakter der historischen Gebäude zu erhalten und möglichst viele Wandflächen steinsichtig zu belassen. So ist es einem Glücksfall zu verdanken, dass unweit der Manufaktur die Ruine der bereits in den 1960er Jahren stillgelegten Avenwedder Ziegelei noch über eine ausreichende Menge an, in Farbe und Größe passenden Backsteinen verfügte. Diese Arbeiten spiegeln sich auch im „bunten“ Wechsel aus altem Fugenbild und neuer Verfugung mit Zementmörtel wider – eine gewollte Betonung der unterschiedlichen Zeitepochen, die das Industriedenkmal durchlebt hat.
Zusammenspiel aus Tradition und Moderne
Zur Umsetzung des modernen Nutzungskonzeptes und zur weiteren statischen Unterstützung ergänzen heute Wände aus Stahlbeton und Kalksandstein die neue Raumaufteilung. Da die Energieeinsparverordnung bei denkmalgeschützten Bauwerken Spielraum lässt, beschränkte man sich darauf, lediglich eine größere Anzahl von Außenwänden mit einer Innendämmung aus 60 mm dicken Silikatplatten zu versehen – so, dass möglichst viele historische Wandelemente in ihrer Backsteinoptik sichtbar blieben.
Die vorhandenen Fensteröffnungen wurden aufgenommen und bei den alten Fenstern, sofern vorhanden, die Stahlsprossen aufgearbeitet und wieder eingesetzt. Die Verglasung besteht heute aus dahinterliegenden neuen Holzfenstern. Auch erlaubte die zuständige Denkmalbehörde den Ausschnitt einiger neuer Fenster, die sich vergleichsweise größer und bewusst zeitgemäß gestaltet, harmonisch in die Fassade einfügen. Alle Fußböden in Brennerei und Mälzerei erhielten, ungeachtet ihrer zukünftigen Nutzung, eine Industriesohle. Bei diesem nicht ganz klassischen Bodenaufbau bedeckt die Schotterschicht eine gegossene Betonsohle mit integrierter Fußbodenheizung. Die Betonoberfläche erhielt abschließend eine besondere Veredelung – ein optisch überaus gelungenes Zusammenspiel aus Tradition und Moderne, aus grauen Betonböden und roten Backsteinwänden.
Vielfalt hält Einzug
Im Erdgeschoss der ehemaligen Brennerei hat die Volksbank auf über 500 m2 ihren neuen Standort gefunden sowie ein gastronomischer Betrieb. Im ersten Obergeschoss ist eine große Bürofläche entstanden. Neben einer Arztpraxis gibt es im zweiten Obergeschoss zwei große Loftwohnungen. Die Mälzerei beherbergt heute das Hotel Pölter mit acht Studios in der ersten und zweiten Etage und vier Lofts in der dritten Etage über zwei Ebenen – Design Markus Temming. Und für alle, die es nicht wissen: In Ostwestfalen ist Pölter ein Ausdruck für Schlafanzug. Nicht zuletzt bietet ein Veranstaltungsraum im Dachgeschoss einen großartigen Blick über die Dächer von Isselhorst.
Fazit
„Die Sanierung und Umnutzung der alten Brennerei/Mälzerei war in jeder Hinsicht eine große Herausforderung, die wir nicht zuletzt dank der verständnisvollen Zusammenarbeit mit den zuständigen Denkmalbehörden in Gütersloh und Münster annehmen und bewältigen konnten“, zieht Markus Temming nach fast dreijähriger Bauzeit Bilanz. „Es ist ein Mikrokosmos aus Wohnen und Arbeiten entstanden, der sich perfekt in unser Gesamtkonzept einfügt, immer vor dem Hintergrund die historische Hofsituation der ehemaligen Elmendorfer Kornbrennerei zu erhalten und das Bild des Ortsteils Isselhorst in seiner Unversehrtheit zu belassen“, so Temming.
AutorinKristine Meurer-Schröder ist als freie Journalistin und Redakteurin unter anderem für die Zeitschrift bauhandwerk tätig. Sie lebt und arbeitet in Bielefeld.
Baubeteiligte (Auswahl)
Bauherr Temming Holding, Gütersloh, http://an-der-manufaktur.de
Entwurf Markus Temming, Bielefeld
Planung baulampe architekten, Thomas Lampe, Bielefeld, www.baulampe.de
Statik BauStatik Radin, Lippstadt, www.baustatik-radin.de
Innenarchitektur Innen-Architektur und Design, Sebastian David Büscher und Jens Girnus,
Gütersloh
Rohbauarbeiten MBS – Massivbau Schröder, Gütersloh, www.massivbauschroeder.de
Zimmererarbeiten Ing.-Holzbau Vorderwisch, Gütersloh, www.vorderwisch.de
Trockenbauarbeiten Jaeger Ausbau, Paderborn, www.jaeger-ausbau.de
Fensterbau Tuxhorn Fenster- und Sicherheitstechnik, Bielefeld, www.tuxhorn-fenster.de
Matthias Mühlenkord, Verl, https://tischlerei-muehlenkord.de
Dachdeckerarbeiten Wolfgang Hallmann, Gütersloh, https://hallmann.guetersloh.webapp-fv.de
Industrieboden Bau Belag Industrieboden Technik, Bergisch Gladbach, www.industrieboden.com